Die Alpe der Träume

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BILD Simon Vetter

Die Alpe Süns, unweit von Dornbirn in Vorarlberg gelegen, ist die älteste urkundlich erwähnte Alm Europas. Sie wird bis heute von Mensch und Tier genutzt.

Die Hochalpe Süns wird seit 1.200 Jahren bewirtschaftet. Kann dieses Stück Erde über so eine lange Zeit übernutzt werden? Oder gar unternutzt? Die Almnutzung kann wohl als nachhaltig bezeichnet werden, heute wie damals weidet das Vieh im Juli und August auf denselben Weiden. Um das Prinzip der Almwirtschaft zu verstehen und zu deuten, sollte die  Geschichte der Alm – oder wie sie alemannisch heißt: »Alpe« –, die bis in die Römerzeit zurückreicht, knapp erzählt werden. Wie kamen Menschen auf die Idee, im hochalpinen Gelände Vieh grasen zu lassen, wenn es sich doch in den Tälern viel einfacher gestaltet? Die Historie der Viehweiden in höchsten Höhen ist älter als das Wort dafür, die Bezeichnung Alb(e) ist ein vorrömischer Ausdruck, der für  »hoher Berg« und/oder »Hochweide« steht. Die alte Bezeichnung lebt im alemannischen Dialekt weiter. Im Dachsteingebiet fanden Archäologen Belege für eine Almwirtschaft aus der Bronzezeit, auch Überreste von Hütten wurden gefunden. Diese Almen dienten der Versorgung des Salzbergbaus der Hallstatt-Kultur. Aus dem Versorgungsdenken, ohne das der Salzbergbau nicht passieren hätte können, wurde eine nun nicht mehr wegzudenkende Linie der Landwirtschaft. Auch in der Römerzeit wurde Almwirtschaft betrieben. Die Hauptgründe für ein Bestehen der Nutzung von Almen sind die Entlastung der Talweiden und das Schaffen von Vorräten für die Wintermonate. Ebenso wäre ohne Viehhaltung die Landschaft bis auf ungefähr 1.500 Meter durchgehend bewaldet. Almen werden heute hinterfragt, vor allem in Nationalparks, wo Naturschutz an erster Stelle steht, wird die Viehwirtschaft sekundär. Die Frage der nachhaltigen Bewirtschaftung von Almen ist genauso essenziell wie im Tal. Durch Förderungen ist es möglich, die hochalpinen Gebiete als Standorte zu erhalten und vielleicht so eine größere Streuung von Flächen zu ermöglichen. Damit Almen nicht »abgegrast« werden, werden die Rodung von Bergwald und die Viehwirtschaft streng reglementiert.

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BILD Stadtarchiv Dornbirn/ J. Hilbe

Die altvordere Alpe

Aus dem Jahre 842 stammt eine der ältesten Alpurkunden aus der Geschichte der europäischen Alpwirtschaft. Abgefasst wurde die Urkunde im alemannischen Gebiet. In diesem Dokument wird Süns, damals noch Suniu, zum ersten Mal erwähnt. Der Name geht auf das Wort »Sun« zurück, was im Keltischen Hochgebirgsgewässer bezeichnete. Damals war das Gebiet das romanische Churrätien. Das ist der Anfang der Aufzeichnungen über Süns, die nicht abbrechen. Es existieren Mitschriften über Besitztümer, Anteile verschiedenster Bauern, die spätere Käseproduktion, initiiert von den Appenzeller Käsern um 1700 und  die Ersteigerung der Alpe im Jahre 1803 mitsamt allen Almhütten aus der Konkursmasse der Emser Grafen um 6.100 Gulden. Das sind einige Eckpfeiler der interessanten Geschichte von Süns. Ein Ereignis wie aus einem Heimat-Thriller durfte auch nicht fehlen: Im Jahre 1820 soll laut mündlicher Überlieferung der gesamte Hüttenkomplex vorsätzlich von einem Alpler angezündet worden sein. Freilich ging es um Neid und Besitzansprüche. In den Jahren 1945–51 wurde dann die Erreichbarkeit der Alm um einiges erleichtert, es wurde eine Materialseilbahn gebaut, die die Alpen Garnitza (Gemeinde Laterns), Gävis, Vordermellen und Hintermellen mit Süns verband.

Heute ist die Alm nicht mehr von der Sennerei geprägt, die ein noch härteres Los für die arbeitenden Menschen bedeutete: ein mühsames Leben, das die Labkäseherstellung bis zu dem Transport ins Tal einschloss. Heute ist Süns eine reine Rinderalpe des Vetterhofs Lustenau, es gibt zwar vier Milchkühe, doch kann nicht von einer Melkwirtschaft die Rede sein.

Wir halten uns an den Rhythmus der Tiere

Der Mann, der im Juli und August für die Tiere der Alpe zuständig ist, ist Matthias Klocker. Im restlichen Jahr ist er Zimmermann im Tal. BIORAMA sprach mit dem Hirten der Sünsalpe über sein Leben auf der Alm.

Matthias Klocker: »Ich bin ins Hirte-Sein hineingewachsen. Zuerst ist man Jung-Hirte. Ich bin auf der Alpe Süns gemeinsam mit zwei zwölfjährigen Buben, die gerade lernen. Wir bleiben zwei Monate oben, im Juli und im August. Ab Mai können wir auf die Voralpe. Es ist ein anderes Leben da oben, es gibt keine Störungen, es ist ein Ausgleich zu dem hektischen Leben unten. Zur nächsten Straßenverbindung ist es von der Alpe eine halbe Stunde Fußmarsch, eine Seilbahn gibt es auch. Für mich gibt es nicht wirklich eine Zustandsveränderung, wenn ich wieder im Tal bin. Man sollte sich generell nur um wichtige Dinge kümmern, so wie auf der Alpe auch. Wir haben Solarlicht und Radio, aber kein Fernsehen und kein Internet. Der Tag beginnt um 5 Uhr 30 mit dem Melken der vier Milchkühe, dann gibt es Frühstück, um 6 Uhr 30 gehen wir zum Jungvieh, insgesamt haben wir 270 Tiere oben. Auf die passen wir tagsüber auf, die Tiere sollten nirgendwo hinunterstürzen, deswegen tun wir, was wir tun. Die Weiden sind größtenteils elektrisch eingezäunt. Wir halten uns an den Rhythmus der Tiere, bis es dunkel wird bleiben wir draußen. Um 10 Uhr abends gehen wir schlafen. Das Jungvieh kommt generell nie in den Stall. Wir bleiben durchgehend zwei Monate oben, wir bekommen manchmal Besuch von der Freundin oder von der Mama. Eigentlich bin ich Zimmermann, aber im Sommer bin ich Hirte.«

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BILD Simon Vetter

ALM-FAKTEN 

In Österreich gab es im Jahre 1997 mehr als 12.000 bewirtschaftete Almen, auf denen 70.000 Almbauern lebten und sich ca. 500.000 Tiere auf den Bergweiden tummelten. Zum Vergleich: In Bayern gab es im Jahr 2002 um die 1.384 Almen mit Bewirtschaftung (Quelle: Wikipedia). Die Sünser Spitze ist die höchste Erhebung Dornbirns mit 2063 Metern, die Alpe liegt auf 1764 Meter und ist in den Sommermonaten durch die Furkastraße problemlos erreichbar. Diese Straße ermöglicht auch, dass es seit einigen Jahren eintägige Führungen auf die Alpe gibt. Viele der Besucher der Alm können es schwer fassen, dass ein Gebiet, dessen Entfernung zum Marktplatz per Luftlinie 15 Kilometer beträgt, noch immer zur Gemeinde Dornbirn gehört. Die sogenannte »Stechweid« liegt auch im Gebiet der Alpe, über sie verlaufen die Grenzen der Bezirke Dornbirn, Feldkirch und Bregenz, man kommt leicht in Versuchung diese Weide als Landesmitte anzusehen. Die Geschichte hinter dem Namen »Stechweide« hat mit den Besitzansprüchen, auf die kein Eigentümer verzichten wollte, zu tun. Die Weide war und ist ein prächtiges Stück Erde, so wurde um sie gestritten, laut Überlieferungen mit Hilfe der stärksten Kuh. Vielleicht waren dies wirklich Kuh-Kämpfe, wie der französische Ausdruck »batailles des vaches« nahelegt? In späterer Folge gab es dann andere Methoden zur Findung der Weiderechte, z.B. wechselte die Weide von Jahr zu Jahr ihren Besitzer. Man findet auf Süns eine 150 Jahre alte und zehn Meter hohe Zirbe, etwas Besonderes in diesem Gebiet, wo man diese Baumart sonst kaum findet. Ein Besuch der Sünsalpe kann sicher ein wenig Einblick in die Kargheit und Bescheidenheit des Älplerlebens geben, auf der Alm sind nur die wichtigen Dinge wichtig – das sollte man sich ins Tal mitnehmen.

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