Mission Impossible: Bio, übernehmen Sie!

Österreichs Bio-Landwirtschaft schreibt seit 20 Jahren eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. In diesem Fach gilt das Land seither als amtierender und praktisch unschlagbarer Bio-Europameister. Der Erfolg mag viele Väter haben, ganz wesentliche Anteile daran hat erfreulicherweise die österreichische Agrarpolitik. 

Als das Lebensministerium Alois Posch 1988 ein zartes Pflänzchen in Form einer Bio-Abteilung zur Leitung übergeben hat, da ahnte noch niemand, dass der „kleine rote“ Beamte dies im Sinne eines letzten Mohikaners als Mission wahrnehmen würde. Mit seiner unvergleichlich bescheidenen Art hat er sich unermüdlich und oft gegen harte Widerstände für „seine“ Biologische Landwirtschaft als Speerspitze einer umweltgerechten, artgemäßen, biodiversen und nachhaltigen Landwirtschaft eingesetzt. Heute gilt Österreichs Bio-Landwirtschaft als Sehenswürdigkeit mit mehrfachem Zusatznutzen.

Anlässlich seiner kurz bevorstehenden Pensionierung trafen wir den Lieblingsbeamten der Bio-Landwirtschaft in seinem schmucklosen Büro im Lebensministerium, um ihm für seinen Einsatz und überhaupt zu danken sowie um seine Leistungen vor den Vorhang zu holen. Dabei plauderten wir über politische Farbenspielereien in der Argarpolitik, den Futterneid an den Fördertrögen, die Unschärfe zwischen gesund und ungesund, beratungsresistente Kantinen sowie über Glücksmomente einer langen Beamtenkarriere.

Herr Ministerialrat Posch, 2011 beging das Landwirt­schafts­ministerium ein Jubiläum: 25 Jahre ÖVP-Dominanz. Angeblich soll sich all die Jahre ein „roter Beamter“ im schwarzen Haus gehalten haben. Können Sie uns bitte den Namen verraten, wir würden dem Herrn gern Blumen überreichen…

(Schweigen, Lächeln und Handeln ist bisweilen die beste Antwort. Ministerialrat Posch nimmt die Blumen entgegen, steht auf und holt ein Wasserglas – frischt die Blumen ein und nimmt wieder Platz.)
Posch: So, jetzt beginnen wir aber mit dem Interview…

War es hart als SPÖler in der Landwirtschaft zu überleben?

Nein. Hart war es nicht, aber schon eine Umstellung als der rote Minister Haiden gegangen und der schwarze Landwirtschaftsminister Riegler gekommen ist.

Sie sind dann bald in eine andere Abteilung entschwunden?

Darauf war ich geistig vorbereitet. Meine ursprüngliche Ab­teil­ung im Ministerium unter SP-Landwirtschaftsminister Haiden war strategisch wichtig, eine sogenannte Grundsatz­abteilung. Daher war es eigentlich klar, dass es zu Umgestaltungen kommen wird. Ich bin dann vom Präsidium in die „Sektion Landwirtschaft“ gewechselt. Ich persönlich hab’ mich allerdings nie beleidigt ins Eck gestellt, sondern mich für andere Aufgaben engagiert, es gab ja eine Menge zu tun: Zum Beispiel die GATT-Unterlagen (General Agreement on Tariffs and Trade) oder die Förderungsrichtlinien, die wir von 30 aufgesplitteten Richtlinien in eine zusammengefasst haben.

Ein „falsches Parteibuch“ kann aber auch ein richtiger Glücksfall sein. Ihnen wurde die „Biologische Land­wirt­schaft“ anvertraut.

Offenbar hat man nach und nach im Ministerium den Eindruck gewonnen, der Posch ist arbeitswillig und verlässlich. Minister Riegler hat mich dann 1988 mit der Aufgabe „Biologische Landwirtschaft“ betraut. Ein neuer, spannender Arbeitsbereich im Ministerium. Das war für mich ein wirklich großer Glücksfall.

Mit der ÖVP und Landwirtschaftsminister Riegler hat also die Erfolgsgeschichte des österreichischen Biolandbaus begonnen?

Das kann man so nicht sagen. Der SP-Minister Haiden hat auch schon Bio unterstützt, aber eher im Stillen. Im Nachhinein bin ich dem SPÖler Haiden dankbar, dass er das so still gemacht hat, denn sonst hätte der ÖVP-Mann Riegler nicht den Biolandbau als neuen Weg in der Landwirtschaft aufzeigen können. Der Biolandbau war dadurch parteipolitisch unbelastet. Als dann Riegler die Diskussionen geführt hat, welche neuen Wege und Ziele in der Agrarpolitik verfolgt werden sollen, da hat die Biologische Landwirtschaft den Vorstellungen entsprochen und konnte prominent in den Vordergrund gerückt werden, mit einem eigenen Aufgabengebiet, einem eigenen Budget. Riegler hat zweifellos mit seiner Politik Bio salonfähig gemacht. Damit haben aber sicher nicht alle in der ÖVP eine Freude gehabt.

Sie haben 1988 den Biolandbau mit knapp 250 Betrieben unter Ihre Fittiche genommen. Ein paar Jahre später, 1995, gab es in Österreich bereits 20.000 Biobetriebe. Was war das Erfolgsgeheimnis?

Das Verständnis und Bewusstsein für Bio wurden in der Öffentlichkeit enorm gehoben. Der ORF hat schon sehr früh Beiträge – ja, ganze Filme zum Thema Bio gemacht und regelmäßig darauf hingewiesen, wie gut das für die Umwelt ist, wie gut es auch für einen persönlich ist. Ich bin schon sehr stolz, dass die Medien und dann vor allem die österreichischen Konsumenten den Biolandbau von Anfang an sehr geschätzt haben. In Frankreich oder Italien hätte damals wohl kaum eine Supermarktkette Interesse gehabt, Bio in ihre Regale zu stellen, so wie’s in Österreich passiert ist. Also dieses öffentliche Bewusstsein war ausschlaggebend – das hat wiederum den Boden in der Politik aufbereitet. In dieser allgemeinen positiven Stimmung hat sich die Politik auch weiter entwickelt: 1990 haben wir zum Beispiel ein Pilotprojekt für „umweltfreundliche Bewirtschaftung“ gemacht. Da haben die Biobauern erstmals Förderentgelte für ihre ökologische Wirtschaftsweise bekommen. Also nicht nur für ihre Bio-Organisationen, sondern direkt als Bauern.

Manche Zyniker meinen, der Bio-Erfolg basiere eigentlich auf dem agrarpolitischen System „Tausche Giftspritze gegen Geldspritze“.

Nein. Mit diesen Fördermaßnahmen wurden wichtige Instrumente für umweltfreundliche Leistungen geschaffen. Das haben wir dann relativ rasch weiter entwickelt: 1991 gab es die Umstellungsförderung auf Biologische Landwirtschaft, 1992 haben wir dann ein ähnliches Modell kreiert, wie es heute noch besteht: Alle biologisch wirtschaftende Betriebe haben in diesem Modell eine Abgeltung für ihre ökologischen Leistungen bekommen. Darüber war sogar ich überrascht, denn ich hätte mir nie gedacht, dass die Politik diesen revolutionären Schritt wagt: Allen Bauern unbefristet, also auf Dauer, Förderungen zu gewährleisten. Das war in Europa einmalig.

Das hört sich nach einem Gerangel an den Futtertrögen an – konventionell gegen bio?

Reibereien gibt es bis heute zwischen den verschiedenen Lagern. Mein Bemühen war es immer, diese Gegensätze erst gar nicht aufkommen zu lassen – soweit ich halt Einfluss darauf hatte. Es geht ja nicht um „gut“ und „böse“ in der Landwirtschaft, sondern um eine umweltfreundliche Wirtschaftsweise. Ja, eine umweltfreundliche Landwirtschaft ist zweifellos gut, aber deshalb ist alles andere nicht automatisch schlecht. Mit dieser Haltung ist uns viel gemeinsam gelungen. Das zeigt auch unser Agrarumweltprogramm – alle Gruppen werden da gut bedient und gleichzeitig steht außer Streit, dass Bio die Speerspitze der „Umweltfreundlichen Bewirtschaftung“ ist.

Kurze Zwischenfrage: Sind die Bio-Funktionäre bei den Förderverhandlungen wirklich die schlimmsten „Wadlbeißer“?

Das empfinde ich nicht so. Die Bio-Funktionäre kämpfen nicht stärker darum als alle anderen auch. Tatsache ist, wenn man biologisch wirtschaftet, hat man niedrigere Erträge und ohne bestimmte Entgelte für die Umweltleistungen rechnet sich das für die meisten nicht.

Bei aller Bio-Euphorie in Österreich fällt eines auf: Seit dem Bio-Boom in den 90er Jahre stagnieren die Zahlen. Die Betriebszahlen haben sich bei 20.000 eingependelt, die Flächenzuwächse sind bescheiden. Ist Bio am Zenit?

Gut, die steilen Zuwachskurven beim Bio-Konsum sind etwas abgeflacht. Aber trotz Krisenzeiten hat die Nachfrage nach Bio ständig zugenommen! Bio hat sich in Österreich als krisenfest erwiesen – und da sollten wir schon stolz drauf sein. Wir dürfen nicht vergessen: Der Bio-Markt ist in Österreich auf einem sehr hohen Niveau und hat sich dort gut etabliert. In den Anfängen ist die Nachfrage öfters zwischen „zu wenig“ und „zu viel“ hin und her gependelt. Mit dem Einstieg der Supermarktketten ist die Nachfrage kontinuierlich gestärkt worden. Das war auch immer ein wesentliches Ziel der Politik: Eine harmonische Entwicklung zwischen Angebot und Nachfrage sicherzustellen. Wir haben zwar immer gesagt, wir gelten die Umweltleistungen der biologischen Landwirte ab, wir fördern aber nicht, dass Bio produziert wird. Die Umweltleistung ist eine Aufgabe der Gesellschaft und nicht nur des einzelnen Bauern, daher muss man diese Leistung für die Gesellschaft mit Steuergeld abgelten. Aber wir wollten und wollen nicht, dass Bio nur wegen der Förderung produziert wird. Ein Gleichgewicht zwischen Produktion und Nachfrage ist da unerlässlich. Und wie gesagt: In Österreich gibt es heute dieses Gleichgewicht und Bio wächst trotzt der Krise.

Sind für einen neuen Bio-Schub nicht Maßnahmen wie „Mehrwertsteuer-Befreiung auf gesunde Lebensmittel“ notwendig?

Nein. Wenn die Nachfrage nicht vom Motiv her getragen wird, soll man das nicht mit Geld zu steuern versuchen. Als erfahrener Bürokrat weiß ich sehr gut, wie schwierig es ist, Grenzen zwischen „gesund“ und „ungesund“ zu ziehen. Nur weil Bio weitgehend gesund ist, heißt das ja noch lange nicht, dass alles andere ungesund ist. Nein, so einfach ist die Welt auch wieder nicht.

Apropos gesund und ungesund: Dem Biolandbau wird gegenwärtig vorgeworfen, dass er sich in eine höchst ungesunde Richtung entwickle – nämlich in Richtung intensiver, konventioneller Landwirtschaft?

Ja, es gibt einzelne Betriebe, die Bio auch sehr intensiv betreiben. Wenn ich einen Milchkuhbetrieb mit einer Leistung von mehr als 10000 kg pro Kuh sehe, dann tue ich mir persönlich auch schwer. Das ist dann von der Bio-Philosophie doch weit weg. Aber so viele gibt es von diesen Betrieben nicht. Ich bin fest davon überzeugt: Die Konsumenten können noch sehr, sehr gut darauf bauen, dass Bio weitgehend der Philosophie entspricht, eine an die Natur angepasste Produktionsform ist und bleibt.

Was sagen Sie als „alter Bürokrat“ eigentlich zu gesetzlich verordneten Leistungsgrenzen für Biobetriebe?

Leistungsobergrenzen für Bio einführen? Wäre sicher eine Möglichkeit – ja, könnte man diskutieren. Die Frage stellt sich ja auch im Bereich der Pflanzenproduktion. Wenn Biobauern eher einen hohen Anteil an Getreide und „Cash-Früchten“ im Auge haben als die Fruchtfolge – dann belastet das den Boden und geht in Richtung Konventionalisierung. Darüber muss man sich Gedanken machen. Allerdings darf man damit Bio nicht in Verruf bringen. Es ist ja eigentlich das Gegenteil der Fall: Die Richtlinien und Bedingungen werden für Bio immer strenger.

Auf EU-Ebene stehen mit der Neuausrichtung der „Gemeinsamen Agrarpolitik“, der GAP, äußerst wichtige Entscheidungen für den Biolandbau an. Welche Rolle wird Bio in Zukunft spielen?

Ich bin sicher, dass die Biologische Landwirtschaft auch bei der Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik einen hohen Stellenwert einnehmen wird. Es liegt ja von der EU sogar ein Vorschlag vor, Bio als eigene Maßnahme aus dem Agrarumweltprogramm herauszunehmen und mit einigen Vorteilen auszustatten. Auf jeden Fall kann man heute schon sagen, Bio bleibt in der EU-Agrarpolitik wichtig. Was freilich nicht automatisch heißt, dass es für die Biologische Landwirtschaft keine Veränderungen geben kann – auch was die Förderung betrifft. Aber im Vergleich zu den anderen Bereichen wird Bio sicher ganz vorne sein.

Sie haben die letzten 35 Jahre den heimischen Biolandbau entscheidend mitgeprägt. Was war Ihr schönster Moment?

Der glücklichste Moment war für mich, Bio überhaupt als Aufgabe bekommen zu haben. Das hat mich wirklich sehr glücklich gestimmt. Und freilich habe ich da immer auch meine Träume gehabt: Ein Traum war beim Budget die Biobauern-Milliarde zu erreichen, also in Schilling. Dieser Traum ist zum Glück längst in Erfüllung gegangen.

Weil wir schon beim Geld sind. Jetzt wo Sie in Pension gehen, kann man ja offen drüber reden: Wie viele Biobetriebe wurden Ihnen im Laufe der Karriere angeboten?

Mir wurde natürlich nie ein Biohof angeboten. Aber ich habe zum Glück viele, gute Freunde im Biolandbau gefunden. So gesehen würden sich viele Biobauernhöfe finden, auf denen ich schöne Momente verbringen dürfte.

Als Beamter mit 52 in Pension zu gehen – ist das ein gutes Gefühl?

Schön wär’s, es sind mehr als 64 Jahre.

Noch eine abschließende Frage: Haben Sie auch die Kantine im Lebensministerium auf Bio umgestellt?

Nein. Da sind wir mit Bio leider nicht erfolgreich gewesen. Zwar gab es ein paar Bemühungen in diese Richtung, aber die sind von den Betreibern eher lieblos ausgefallen. Die Leute haben meistens gar nicht überrissen, dass das Angebot außer etwas teurer auch biologisch war. Freilich fehlte dann der Zuspruch und mit der schlechten Nachfrage hatte man dann auch das passende Argument zur Hand, nicht mehr Bio anzubieten. Ich habe immer mit einem etwas neidischen Blick zu unseren Kollegen im Umweltteil des Lebensministeriums geschaut – die haben in ihrer Kantine in der Stubenbastei einen feinen Bio-Anteil.

Aber Ihr Kühlschrank ist auf Bio umgestellt?

Das kann ich mit guten Gewissen sagen – in meinem Kühlschrank sind sehr viele Bioprodukte drinnen.

Danke für das Gespräch.

Mir fehlt da noch ein wichtiger Punkt. Ich möchte mich bei all jenen bedanken, die für die erfolgreiche Entwicklung der Biologischen Landwirtschaft in Österreich verantwortlich sind. Einerseits bei den Biobäuerinnen und Biobauern, ohne die es ja keine biologischen Lebensmittel gäbe. Und andererseits bei den Konsumenten für ihre Bereitschaft, Bio mit höheren Preisen zu honorieren. Wir vom Lebensministerium können solche Initiativen natürlich bestmöglich unterstützen, aber wir können nur etwas fördern, was da ist und von den Bauern und Konsumenten gemeinsam getragen und entwickelt wird. Darum danke ich allen, die bei der Erfolgsgeschichte des österreichischen Biolandbaus mitgewirkt haben.

Interview: Wilfried Oschischnig und Reinhard Geßl
Fotos: Geßl, FiBL Österreich

Das Interview ist in Bio-Fibel – Zeitschrift für Wissen aus der Biologischen Landwirtschaft, Ausgabe 1-2012 erschienen. Wir danken der Bio-Fibel für die freundliche Genehmigung der Wiedergabe auf biorama.at

 

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