Ackern gegen die Mafia
Fairtrade ist meist das, was außerhalb Europas passiert. Libera Terra aus Sizilien zeigt, warum soziale und ökologische Gerechtigkeit auch hier Sinn macht und wie sie sich im Kampf gegen die Mafia bewährt.
Ein leicht verschwitzt wirkender Mann in den 30ern, Glatze, Drei-Tage-Bart, in einem abgedunkelten Hotelzimmer. Mit unruhigem Blick spricht er über sein Leben und das Buch, das alles verändert hat. Das ist wohl das Bild, das viele Menschen im Moment mit der Mafia verbinden. Seitdem Roberto Saviano »Gomorrha« veröffentlicht hat, lebt er unter Polizeischutz, versteckt vor der Mafia, wechselt alle zwei Tage seinen Aufenthaltsort. Über das Leben der Menschen in Süd-Italien und die alltägliche Realität der Mafia weiß man im Normalfall aber so gut wie nichts. Selbst vor Ort bleibt die Realität der Mafia meist verborgen. »Als Tourist wird man von der Mafia nichts mitbekommen. Nur wenn man genau hinsieht, werden einem die Addio Pizzo (Lebewohl Schutzgeld)-Aufkleber an den Eingangstüren von Geschäften, Gedenktafeln für ermordete Carabinieri oder Schildern auf konfiszierten Feldern auffallen«, sagt Martin Klupsch vom Fairhandelszentrum Rheinland, das die Produkte von Libera Terra in Deutschland vertreibt.
Cosa Nostra als Schattenregierung
»Pizzo« ist das Schutzgeld – es ist nicht nur eine Einnahmequelle der Mafia, sondern markiert auch ihren Gebietsanspruch auf weite Teile Süditaliens, das traditionell von hoher Arbeitslosigkeit gekennzeichnet ist. In Gebieten wie Sizilien, Kampanien und Kalabrien stellt die Mafia eine Art Schattenregierung, die für Jobs, Wohnung und medizinische Versorgung sorgt. Ihre Macht ergibt sich nicht aus ihrer zahlenmäßigen Stärke – nur rund 5.000 der knapp fünf Millionen Einwohner Siziliens sollen den Clans angehören –, sondern aus ihrer Position. Die Mitglieder der Cosa Nostra leben nicht am Rand der Gesellschaft, sondern in ihrer Mitte. Zu ihnen zählen Ärzte, Rechtsanwälte, Unternehmer, Politiker und Beamte. Wie groß ihr Einfluss ist, lässt sich etwa daran erahnen, dass etwa 80 Prozent der Geschäfte Palermos Schutzgeldzahlungen leisten, während jene Unternehmen, die sich der Aktion Addio Pizzo angeschlossen haben, auffällig oft von den Behörden kontrolliert werden. Ein Alltag ohne Mafia ist fast nicht möglich. Doch Initiativen wie Addio Pizzo und Libera gelingt es zusehends, den Griff der Mafia um die Insel zu lockern.
Mit dem Boden der Mafia
Als die Mafia in den 90ern Italien mit einer Serie von Morden überzog, wurde Libera gegründet. Die Initiative sollte auch normalen Menschen, nicht nur Richtern oder Journalisten, Handlungsmöglichkeiten im Kampf gegen die Mafia eröffnen. Im Fokus der Organisation, die mittlerweile eine der größten NGOs Italiens ist, stehen Bildungs- und Aufklärungsarbeit. Kulinarisch wurde Liberas Kampf gegen die Mafia erst später: »Libera sammelte binnen weniger Monate eine Million Unterschriften und brachte einen Gesetzesentwurf ein. Dieser sah vor, dass Kommunen konfiszierte Liegenschaften an Kooperativen vergeben können«, erklärt Klupsch. Kooperativen können sich um diese Objekte bewerben und für einen geringen Betrag langfristig pachten. Diese Rahmenbedingungen ermöglichten 2001 die Gründung von Libera Terra. Der nächste Schritt die Organisation zu etablieren war jedoch noch schwieriger. Größtes Hindernis dabei war die Angst der Menschen mit der oder für die Organisation zu arbeiten. Anfängliche Angriffe der Mafia – verbrannte Felder, Wein- und Olivengärten, gestohlene Traktoren, Einschüchterungsversuche – machten dieses Unterfangen nicht leichter. Aktuell scheint sich die Mafia ruhig zu verhalten, um die Stimmung nicht noch weiter gegen sich aufzubringen.
Kulinarische Leckerbissen voller Symbolkraft
Den Hunger nach Gerechtigkeit und Legalität stillt die Organisation, die mittlerweile zehn Kooperativen umfasst, auf einer Fläche von rund 1.000 Hektar. Produziert wird in eigenen Betrieben oder in Kooperation mit Bauern und Unternehmen, die ebenfalls ohne die Mafia arbeiten wollen, nach gehobenen Umwelt- und Sozial-Standards. Ökologische und soziale Verantwortung sind bei Libera Terra untrennbar miteinander verknüpft. Francesco Galante, Leiter der Organisation, sagt dazu: »Die Entscheidung, biologisch zu produzieren, war eine Frage des Respekts. Es geht darum, sich gegenüber der Erde gütig zu verhalten, neu zu beginnen und symbolisches wie reales Gift von ihr zu entfernen.« Auf den ehemaligen Ländereien der Mafiosi wachsen nun Obst, Gemüse, Wein und Oliven. Mit jedem daraus entstehenden Produkt – Antipasti, Olivenöl, Wein, Pasta, Kekse – hält ein Stück Normalität auf Sizilien Einzug. Es zeigt, dass man auch im Süden Italiens legal und ohne die Mafia Geld verdienen und leben kann, wenn man mutig genug ist.
Waren die Produkte anfangs vor allem ein politisches Statement, werden sie in Italiens Slowfood-Szene mittlerweile auch für ihre Qualität geschätzt. Von ihrem Symbolgehalt haben sie aber nichts eingebüßt: Die Weine von Libera Terra, die als mitverantwortlich für die gestiegene Reputation sizilianischen Weins gelten, sind nach ermordeten Anti-Mafia Aktivisten benannt – trinken gegen das Vergessen quasi.
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