Biogemüse statt Kraftfutter

Restaurationsprojekte bringen Arbeitsplätze jenseits der Agrarkonzerne in den Cerrado.

Der Cerrado in Brasilien.
Der brasilianische Cerrado wird zum Opfer des globalen Appetits auf Fleisch- und Milchprodukte. Bild. Myke Sena/WWF Brasil.

»Für mich bedeutet der Cerrado Leben«, sagt die brasilianische Landwirtin Maria Luzinete Alves Santos. Sie steht im Schatten eines Jackfruchtbaums vor ihrer Holzhütte in ländlichen Planaltino, nicht weit von der Hauptstadt Brasilia. Maria sammelt die wild wachsenden Früchte und Nüsse der Umgebung und verarbeitet sie zu Marmeladen, Aufstrichen und traditioneller Medizin zum Verkauf auf lokalen Märkten. »Der Cerrado bringt Freude und Gesundheit. Ich verdanke ihm meine Existenz«, fasst Maria zusammen. 
Der Cerrado ist eine tropische Savanne mit strauchiger Vegetation und extrem großer Artenvielfalt. Fünf Prozent aller weltweit vorkommenden Arten leben in dieser Feuchtsavanne, einer Region so groß wie ganz Westeuropa, die sich wie eine Schärpe diagonal durch Brasilien zieht. Die Bäume dort sind nicht spektakulär groß, haben aber außergewöhnlich tiefe Wurzelsysteme, die die Savannenfelder zu einer Kohlenstoffsenke unschätzbaren Wertes machen.
Als Heimat vieler indigener und afro-brasilianischer Communities würde das Gebiet auf nationaler und internationaler Ebene mehr Aufmerksamkeit und Schutz verdienen. Der Cerrado fällt dem globalen Appetit auf Fleisch– und Milchprodukte zum Opfer: Die Vegetation wird für ausgedehnte Sojaplantagen gerodet und ist in den letzten zehn Jahren sechs Millionen Hektar geschrumpft. Die Bohnen, die dort nun produziert werden, dienen vor allem als Tierfutter.

Wo landet das Soja, das im Cerrado produziert wird?

45% Export nach China
24% Verbrauch Brasilien
9% Export in die EU
5% Export nach Thailand 

Das bedroht die Kleinbäuerinnen und -bauern des Cerrado in mehrfacher Hinsicht: Der Verlust der Vegetation der Savanne trocknet Böden und lokale Grundwasserquellen in den Monokulturen, aber auch darüber hinaus, aus. Nicht nur die Wasserspeicherkapazität, sondern auch die Reinigungsfunktion der Böden geht somit verloren. Zusätzlich werden die lokalen Oberflächengewässer von industriellen Bewässerungssystemen förmlich ausgesaugt. Die Monokulturen sind extrem durstig und durch die dort notwendigen, oft mit Flugzeugen großräumig ausgebrachten Pestizide, werden Böden und das schwindende Grundwasser in den Plantagen, aber auch in nahegelegenen Wohngebieten und Gärten vergiftet. 
»Für die Kleinbäuerinnen und -bauern steht das Wasser nicht mehr zur Verfügung«, erklärt Anna Carolina Crisostomo, Naturschutzexpertin des WWF Brasilien. »Oft wird ihnen von Großgrundbesitzern schlicht der Zugang zum Fluss verwehrt.«

Die Natur soll weichen

Die Ausdehnung der Sojabohnenfelder hat den Rand von Galho D‘água erreicht, eine Gemeinde im westlichen Teil des brasilianischen Bundesstaats Bahia. Dort betreibt Nascimento Vieira de Barros einen bescheidenen Familienhof: einige Gemüsebeete, Obstbäume und ein Dutzend herumgackernde Hühner. 
Nascimento berichtet, dass er in der Gegend sehr große Pumpen der Sojaproduzenten gesehen hat – von einer Größe, »dass ein Mann hineinpasst«. Er selbst wurde von bewaffneten Männern vom Fluss vertrieben und bedroht: »Diese Menschen wollen illegal in unser Land eindringen. Ich bin 64 Jahre alt. Ich wurde hier geboren. Und dann kommt dieser Typ hierher und droht, mir mein Land wegzunehmen.«

Feuer gegen die Naturlandschaft und kleinräumige Landwirtschaft

Immer wieder gehen auch Bauernhöfe in Flammen auf. Feuer legen ist eine gängige Taktik im Kampf um Land im Cerrado. Brände sind zwar ein natürliches Phänomen in der Savanne, aber die Häufigkeit ist verdächtig. Dem Brasilianischen Institut für Weltraumforschung zufolge wurden heuer schon mindestens 5000 Quadratkilometer vernichtet. »Die Feuer verbrennen die Ernte, die die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern hier anbauen«, sagt Bianca Nakamoto, Naturschutzexpertin beim WWF Brasilien. »Das hat große Auswirkungen, nicht nur finanziell, sondern auch psychisch. Betroffene werden zum Beispiel depressiv und etwa auch anfälliger für verlockende Angebote, ihr Land zu verkaufen.«  

Im Cerrado wird für den ganzen Planeten gekämpft

Eine Autostunde südwestlich von Brasilia liegt der kleine Bauernhof von Fátima Cabral. Vor Kurzem hätte sie ihre Farm beinahe verloren, ihren Acker haben die Flammen erreicht, ihr Haus blieb verschont. Sie ist sich sicher, dass der Brand absichtlich gelegt worden war. Nach wochenlanger Verzweiflung darüber hat sie sich doch wieder zum Weitermachen aufraffen können. Die Landwirtschaft aufzugeben sei keine Option gewesen: »Es geht nicht nur um mich. Es geht um meine Familie, mein Land. Es geht um einen tiefen Respekt und um Liebe zur Erde«, erklärt sie. »Was wir hier schaffen, ist für die ganze Menschheit. Nicht nur für Brasilien, sondern für den gesamten Planeten.«
Die Geschichte des Cerrado ist leider allzu oft die einer zerstörerischen Agrarindustrie und ihrem kurzsichtigen, aber erfolgreichen Kampf gegen die Umwelt. Es gibt aber auch eine andere: Die Geschichte einer Allianz zwischen ökologisch versierten LandwirtInnen und dem natürlichen Reichtum, der sie ernährt. Fátima ist Teil eines Projekts namens »Community that Sustains Agriculture«, kurz CSA. Im Rahmen dieses Projekts wird Landwirtschaft gefördert, die auf Vielfalt und Humusaufbau setzt. Neben klassischen Kräutern und Gemüsen wie Kohl, Karotten, Rüben oder Rucola baut sie alte regionale Sorten an. Diese originären Sorten sind an die hiesigen Bedingungen besonders gut angepasst, kommen mit weniger Wasser aus und leisten einen besonderen Beitrag dazu, das Ökosystem im Gleichgewicht und den Boden fruchtbar zu halten.

Monokulturen für die Exportmärkte

Kleinbäuerinnen und -bauern wie Fátima sollten staatliche Unterstützung erhalten – zur Finanzierung ihrer Landwirtschaft und zur Sicherung ihres Landbesitzes, argumentiert Bianca Nakamoto vom WWF. Es sind schließlich die Kleinbäuerinnen und -bauern, die das Essen für die Teller der BrasilianerInnen anbauen. Die Monokulturplantagen aus Soja, Mais und Baumwolle werden überwiegend für den Export produziert. Das Agrobusiness zieht mit haushohen Maschinen durch die baumlose Landschaft, lässt seine ArbeiterInnen mit Pestiziden arbeiten, deren Einsatz in der EU und den USA verboten sind.   

Soja Importe

Im Jahr 2020 wurden 34 Millionen Tonnen Sojabohnen, Sojaschrot und Sojaöl in die EU 27 (Großbritannien noch miteingerechnet) importiert.

Fátimas kleiner Bauernhof erscheint hier als widerständiger Gegenpol. Ein Symbol für Gesundheit, echten Nährwert und Nachhaltigkeit. Die regionale Bevölkerung findet in der Pflege der Obst- und Gemüsegärten Arbeit in der Produktion von Lebensmitteln, die an die BewohnerInnen der umliegenden Städte verkauft wird. Diese Form der Landwirtschaft mit Unterstützung der lokalen Communities sei der beste Weg, den Cerrado zu schützen, betont Bianca Nakamoto und beschreibt den Zusammenhalt vor Ort: »Die LandwirtInnen lieben, was sie tun. Sie lieben ihren Wohnort«, sagt Bianca. »Und die Nahrung, die sie produzieren, ist biozertifiziert, frei von Giftstoffen und ihr Anbau trägt nicht zur Abholzung im Cerrado bei.«
Auf meiner Reise durch den Cerrado werde ich jeden Tag Zeuge des Ausmaßes der Zerstörung, sehe und rieche den Rauch der Feuer. Mitten in der Klimakrise ist das eine besonders entmutigende Erfahrung. Aber an meinem letzten Tag in der Savanne treffe ich einen Mann mit einem seligen Lächeln. Kleinbauer Robemário Ribeiro de Souza restauriert langsam degradiertes Land in der Nähe der Gemeinde Alto São Bartolomeu. Er forstet auf, pflanzt neue Vegetation mit alten heimischen Samen, die von Einheimischen penibel gesammelt werden. Wenn das natürliche Ökosystem wiederhergestellt wird, kann der Boden Wasser absorbieren und wieder effizient speichern. Als er den kleinen Abschnitt des Cerrado betrachtet, den er gerettet hat, strahlt er vor Glück: »Ich fühle mich so gut, weil die Rückkehr schnell erfolgt ist. Bereits im zweiten Jahr begann der Wasserpegel wieder zu steigen, sodass ich nach fünf Jahren des Projekts wirklich zufrieden bin.«
»Wir haben eigentlich reichlich Wasser«, sagt Robemário, »und ich bringe den Fluss wieder zum Fließen. Das verspreche ich!«

Hier haben wir über weitere Auswirkungen der Zerstörung von Ökosystemen für den Anbau von Monokulturen in Brasilien geschrieben.

BIORAMA #87

Dieser Artikel ist im BIORAMA #87 erschienen

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