Braucht es ein Tempolimit auf der Donau?
Wellenschlag spült junge Fische an Land. Nach einer Studie über die Donaubestände wird nun ein Tempolimit diskutiert.
Als die Menschen zu Hause blieben, um die Ausbreitung der Pandemie zu verlangsamen, tauchten in den Lagunen Venedigs Delfine auf. Anderswo wagten sich Haie und Wale in Gegenden, die sie wegen des Lärms der Schiffsturbinen sonst mieden. Mittlerweile ist weltweit eine Vielzahl von Studien erschienen, die das veränderte Verhalten von Wildtieren während dieser sogenannten »Anthropause« untersuchten. Auch in der Donau gab es während der Lockdowns offensichtliche Veränderungen. Auf den flachen Kiesbänken entlang des Hauptstroms waren 2020 und 2021 deutlich mehr kleine Fische zu sehen als sonst. Dass diese Beobachtung kein subjektiver Eindruck war, belegt die nun veröffentlichte »Wellenschlag Corona«-Studie über die »Auswirkungen des schifffahrtsbedingten Wellenschlags auf das Jungfischaufkommen in der Donau«.
Forschung im Lockdown
»Die Lockdowns boten die einmalige Gelegenheit, zu untersuchen, wie es sich auswirkt wenn der Wellenschlag im Hauptstrom weitgehend wegfällt«, sagt Martin Mühlbauer, Wasserbauer, Fischökologe und einer der beteiligten Forscher. Weitgehend, weil in den Lockdowns zwar die Ausflugsschifffahrt pausierte, Frachtschiffe etwas eingeschränkt aber unterwegs blieben. Dass der Wellenschlag nicht ohne Folgen bleibt ist bekannt. Auch der Nationale Gewässerbewirtschaftungsplan (2021) stuft ihn für Fließgewässer als »relevanten Belastungstyp« ein. Es sind besonders die schnellen Ausflugs- und Kreuzfahrtschiffe (die sogenannte »weiße Schifffahrt«), deren Wellen mit hoher Energie ans Ufer schlagen. Die Wellen der »schwarzen Schifffahrt«, die ihre Fracht langsam flussauf- oder -abwärts bringt, haben erwiesenermaßen wenig Auswirkung.
Die breiten, flachen Kiesbänke entlang der Donau sind für die Fische im ersten und zweiten Lebensjahr besonders wichtig und als Habitat besser geeignet als Nebenarme. Vor allem der Nachwuchs von Karpfenartigen – von Fischen wie Barbe, Brasse, Döbel, Nase, Schleie, aber auch Rotfeder und natürlich Karpfen und Karausche – leidet unter den Wellen der weißen Schifffahrt. Ein großer Teil wird entweder von ihnen an Land gespült. Oder aber er wird in den Hauptstrom »verdriftet«. Das heißt: Der Sog der Welle zieht die Tiere aus dem flachen Uferbereich in die Strömung. »Bezüglich der Schädigungsraten ist davon auszugehen, dass der überwiegende Teil der Jungfische ein Stranden nicht überlebt und die Tiere nur in seltenen Fälle – etwa durch weitere Wellen – rechtzeitig wieder ins Wasser gelangen«, heißt es in der Studie. Werden sie verdriftet, ist die Wirkung »nicht unmittelbar letal, aus ihren Habitaten gespülte Jungfische sind aber in der Regel ebenfalls einer erhöhten Mortalitätsrate ausgesetzt«. Sie werden gefressen, finden weniger geeignete Nahrung, geraten in die Turbinenpassagen von Kraftwerken und generell in ungünstigere Flussabschnitte. Durch den Energieverlust werden sie jedenfalls geschwächt.
Wieviele Fische es insgesamt in der Donau gibt, lässt sich schwer präzise sagen. In vergangenen Zeiten – vor der systematischen Regulierung und vor der Nutzung zur Energiegewinnung – war die Donau bekannt für ihren schier unerschöpflichen Fischreichtum. Damals war die Donau ein wichtiger Lebensmittellieferant. Die Forschung ist sich aber einig, dass Bestände und Biomasse gerade in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen sind. »Wir finden in der Donau jedenfalls nur mehr einen Bruchteil der früheren Fischbiomasse«, sagt Thomas Friedrich, Fischökologe an der Universität für Bodenkultur. »In einem natürlichen Lebensraum müsste ein Fluss wie die Donau 200 bis 500 Kilogramm Biomasse pro Hektar aufweisen«, sagt er. »Aktuell sind eher unter 50 Kilo pro Hektar die Regel, sehr punktuell kommen wir in manchen Abschnitten nach Renaturierungsmaßnahmen auch einmal auf 100 Kilogramm.«
»Der ökologische Vorschlag wäre es, in sensiblen Bereichen ein Tempolimit zu fordern.«
Martin Mühlbauer, Wasserbauer und Fischökologe
Mehr Jungfische durch weniger Wellenschlag
Die Erhebungen der »Wellenschlag Corona«-Studie konzentrierten sich nicht aufs große Ganze, sondern aufs Mikrohabitatniveau – gewissermaßen auf die Kinderstube der Donaufische. Von Alubooten aus wurde bis maximal einen Meter vom Ufer entfernt mit Stromaggregaten befischt; in Oberösterreich an der Stauwurzel des Kraftwerks Aschach (bei Engelhartszell), wo 2016 vom Verbund Kiesbänke wiederhergestellt worden waren. In der Wachau befischte man die Fließstrecke bei Rossatz. Gerade in den besonders sensiblen ersten Wochen nach dem Schlüpfen gab es während der Lockdowns teilweise um das Achtfache mehr Fischlarven und Jungfische als 2017 oder 2022. Das galt für Allerweltsarten wie Nase, Laube oder Aitel ebenso wie für seltenere Arten. Auch besonders bedrohte Arten profitierten von der Anthropause. Zumindest in der Wachau konnte die Erhebung 2020 und 2021 sogar junge Huchen nachweisen. Die Schlussfolgerung der Studie ist eindeutig: eine Eindämmung der Wellenschlagsbelastung würde dafür sorgen, dass sich die Fischbestände der Donau wieder erholen (»quantitativ ein hohes Potenzial zur Sanierung der Fischbestände in der Donau«). Als praktikable Maßnahme empfehlen die Forscher eine räumliche, saisonale Einschränkung des Wellenschlags, das heißt: der privaten Schifffahrt. Langfristig wäre zu hinterfragen, ob besonders wellenschlagintensive Schiffe und die Kreuzfahrtschifffahrt, die auch auf der Donau zuletzt stark zugenommen hat, »mit dem Erhalt von Fischbeständen und geltenden ökologischen Sanierungserfordernissen vereinbar ist«, heißt es.
Die Forschung fordert ein Tempolimit
»Der ökologische Vorschlag wäre es, in sensiblen Bereichen ein Tempolimit zu fordern«, sagt Martin Mühlbauer diplomatisch, »anzupeilende Geschwindigkeit wäre die der Frachtschifffahrt«. Er wird die Studie demnächst in einem Vortrag vor dem Beirat des Nationalpark Donau-Auen vorstellen. Dort möchte er die abschnittsweise Reduktion des Wellenschlags entlang von besonders wertvollen Jungfischhabitaten ansprechen. »Vorsichtig«, wie er betont. Das Thema sei heikel, gerade im Nationalpark, durch den zwischen Wien und Bratislava der »Twin City Liner« pendelt, ein Katamaran, der eine hohe Geschwindigkeit braucht, um sich überhaupt fortbewegen zu können.
Der schnelle Katamaran – mit einer Geschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde – steht seit langem in der Kritik für den von ihm verursachten Wellengang. Weshalb für die Neuanschaffung zuletzt eine Spezialkonstruktion beauftragt wurde. Für den unter Wasser befindlichen Teil des neuen Schiffs tat sich die britische Werft Wight Shipyard mit dem australischen Unternehmen Incat Crowther zusammen, das auf das Design von Schnellkatamaranen mit niedrigem Wellengang spezialisiert ist, erklärt Gerd Krämer, Geschäftsführer des Twin City Liners: »Vertraglich fixiert wurde, dass die durch das neue Schiff verursachten Wellen, gemessen in einem Abstand von 25 Metern von der Schiffsmitte, nicht höher als 30 Zentimeter sein dürfen – das ist niedriger als die Höhe einer Mineralwasserflasche!« Bereits vor der ersten Fahrt mit dem neuen Modell im März 2019 wurde in maßstabsgetreuen »Schleppversuchen« überprüft, ob die Vorgabe eingehalten wird. »Die maximale Wellenhöhe bewegt sich innerhalb des Grenzwerts von 30 Zentimetern«, sagt Krämer. Wichtig sei in diesem Zusammenhang noch, »dass die tatsächlich im Uferbereich ankommende Welle noch wesentlich geringer ist, da Wellen bis zum Ufer hin ja auslaufen und sich abflachen«. Der Fluss ist im Augebiet etwa 200 Meter breit, die Schifffahrtsrinne in der Strommitte. Krämer gibt sich überzeugt, dass auch die Reduktion von früher zwei Katamaranen auf ein nun doppelt so viele PassagierInnen fassendes Schiff positive Auswirkungen hat.
Die Donaudampfschifffahrtsgesellschaft DDSG, die mit einer Flotte von sieben Schiffen unterwegs ist, verweist auf ihre Ausflugsschiffe mit geringerer Breite und geringerem Tiefgang als die gängigen Kabinenschiffe der Kreuzfahrtunternehmen – »wodurch sich ein wesentlich kleinerer Wellenschlag ergibt«, wie Geschäftsführer Wolfgang Hanreich sagt. Er stellt aber klar, »dass zum sicheren Manövrieren der Schiffe eine Mindestgeschwindigkeit nicht unterschritten werden darf, die über der Fließgeschwindigkeit des Gewässers liegen muss«. Wie schnell ein Gewässer fließt variiert aber je nach Wasserstand. Sie kann bis zu zwölf Kilometer pro Stunde betragen. Bei der DDSG sei man »durchschnittlich mit einer Geschwindigkeit von 15 Stundenkilometern in Fahrt«, so Hanreich, »und damit deutlich langsamer als die Kabinenschifffahrt«.
»In einem natürlichen Lebensraum müsste ein Fluss wie die Donau 200 bis 500 Kilogramm Biomasse pro Hektar aufweisen. Aktuell sind eher unter 50 Kilo pro Hektar die Regel.«
Thomas Friedrich, Fischökologe, Universität für Bodenkultur (BOKU)
Die Via Donau, die im Auftrag der Republik den Schiffsverkehr auf der Donau regelt und gewährleistet, hat die »Corona Wellenschlag«-Studie zwar aufmerksam gelesen. Stellung möchte man dazu aber keine nehmen. Stattdessen verweist man auf das zuständige Ministerium. Auch Markus Simoner, Abteilungsleiter für Schifffahrt im Verkehrsministerium, hält sich mit seinen Aussagen zurück: »Ein generelles Verbot (der weißen Schifffahrt, Anm.) könnte Österreich auf einer internationalen Wasserstraße wie der Donau aber nicht aussprechen«, sagt er. »Für manches fehlt noch die Datenlage. Aber das Thema ist angekommen. Der Dialog ist eröffnet. Wir werden uns das in den nächsten ein, zwei Jahren detailliert ansehen.«
Konflikte zwischen den wirtschaftlichen Interessen der Personenschifffahrt und den Geboten der Wasserrahmenrichtlinie (die im geringen Fischbestand der Donau ein zentrales Defizit sieht), dem Tierschutzgesetz, vor allem aber auch der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) scheinen dabei unvermeidlich. Denn der in der Anthropause mit Nachwuchs nachgewiesene Huchen – ein ausgewachsen bis zu 1,5 Meter langer Verwandter des Saiblings – ist stark gefährdet. Nach geltendem EU-Recht muss er deshalb besonders geschützt und ein günstiger Erhaltungszustand gefördert werden. Die Mitglieder der neun österreichischen Landesfischereiverbände haben ihn 2023 jedenfalls bereits zum »Fisch des Jahres« gewählt.
Die Studie »Corona Wellenschlag« lässt sich hier in Gänze nachlesen.
BIORAMA Niederösterreich #11