Die Zeit der Alge
Der Acker im Meer.
Nutztierhaltung und Fleischproduktion setzen das Land unter Druck. Nicht ein bestimmtes Land, Land im Sinne von Landnutzung. Wird Fleisch durch – zum Beispiel – Soja ersetzt, wird Druck vom Land genommen, das passiert allerdings bisher nicht ausreichend. Zur Ernährung von über 8 Milliarden Menschen ist die Fläche knapp. Außer, wir denken die globalen Wasserflächen mit und betrachten die Meere als Ackerfläche. Das Potenzial der Algen als nachhaltige Nahrungsquelle ist enorm, ihre Funktion im Ökosystem Meer zentral, ihre Integration in den europäischen Speiseplan erfolgt allerdings zögerlich. Noch ist mit ihnen also nicht das große Geschäft zu machen. Auf den Weltmärkten, den Warenbörsen und in den Containerschiffen dominieren immer noch Mais und Weizen. Aber die Algen stehen bereit. Grund genug, die Wasserpflanzen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.
»Die Zeit der Eiche ist vorbei, jetzt ist die Zeit der Alge.«
Friedrich Liechtenstein, Musiker und Schauspieler
Ganz grundsätzlich. Bei den Algen gibt es eine derart umfassende, unfassbare Vielfalt, sodass wir mit den Nori-Blättern, dem Wakame-Salat und dem Spirulina-Pulver gerade einmal an der Oberfläche kratzen. Entsprechend ausufernd sind auch die Definitionsversuche, was alles Alge genannt werden kann: »Der Begriff Algen umfasst eine heterogene Organismen-Gruppe, deren Gemeinsamkeit es ist, dass sie Photosynthese betreiben und oft etwas mit dem Medium Wasser zu tun haben«, lautet etwa der Versuch von Josef Reichholf in seinem Grundsatz-Aufsatz zum Thema Algen im Journal Culinaire (Nr. 33/2021). Es gibt eine internationale Datenbank, in der 33.248 gelistet sind. In Wirklichkeit könnten es mehr als doppelt so viel sein.
Von diesen vielen Arten haben es noch nicht allzu viele in die Küchen der Welt geschafft. Die bekannten Speisealgen haben ihre kulinarischen Wurzeln in der asiatischen Küche. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass Länder wie China, Indonesien, Japan oder Südkorea in Sachen Algenzucht die längste Tradition und mittlerweile auch die Nase vorn haben.
Who’s who
Beginnen wir mit dem, was wir alle kennen: Nori. Das sind die dunklen, trockenen Algenblätter, die durch das Aufkommen der ersten Sushi-Bars bei uns bekannt wurden. Die Algenblätter sind hauchdünn, zart, knackig und haben – vermutlich ihr Erfolgsrezept – einen dezenten Krustentier-Ton. Klassischerweise werden sie für Maki Sushi verwendet. Wobei Nori keine Sortenbezeichnung ist. Vielmehr steht der Begriff für etwa 25 bis 30 verschiedene Grün- und Rotalgen. Dementsprechend variiert auch die Farbe von graugrün bis violett schimmernd. Die Krabbennote hat auch zur Folge, dass Nori – gerieben – gerne als Gewürz für Fischgerichte oder Pasta verwendet wird.
Salatalge
Wir gehen bei den Algen weiter, bleiben aber in Japan und der japanischen Küche. Kombu, die jodige Braunalge, die im Norden des Landes kultiviert und geerntet wird, ist die Grundlage für Dashi, und Dashi ist das Alpha und das Omega der Küche Japans. Ein Sud aus Kombu, Katsuobushi (getrockneter und gehachelter Bonito), der die Basis vieler Gerichte ist. Kombu schmeckt nussig und immer leicht geräuchert. Kombu ist eine Glutamatbombe. Will man jemanden erklären, was ›umami‹ ist und wie das schmeckt, macht man einen Sud aus der Alge und stellt die Schüssel hin. Da sind keine weiteren Worte notwendig. Außerdem, und das ist der gesundheitliche Aspekt, gibt es keine Alge mit einem höheren Anteil an Vitaminen und Mineralstoffen. Leider ist auch der Jodgehalt recht hoch. Also für ein »All you can eat«-Buffet nicht wirklich geeignet.
Wakame ist die vegetarische Alternative zur Auster. Oder zum Seeigel. Der grüne Algensalat ist Materie gewordene Meeresfrische. Dazu mit spannender, knackiger Textur. Verwendet wird Wakame entweder frisch, als grüner Algensalat. Macht aber auch als Suppeneinlage, als Beilage zu Fisch oder – getrocknet – als Gewürz was her. Die Herkunft ist übrigens wieder südostasiatisch: China, Japan. Südkorea.
Nudelparty
Frankreich- oder EnglandurlauberInnen sind möglicherweise schon einmal mit einem Gericht namens Meeresspaghetti überrascht worden. Die entsprechende Alge heisst auch ›Riementang‹, hat einen deutlich geringeren Jodgehalt (man kann also so richtig reinhauen!) und ist in allen kalten Meeren Europas daheim. Im Nordost-Atlantik, in der Ost- und der Nordsee. Geerntet werden die langen Riemen, die bis zu vier Meter lang werden können, bei Ebbe. Am Teller schmecken sie nach Mungobohnen, Meer und Muscheln. Perfekte Garnitur.
Letztlich noch ein Tipp für ambitionierte KöchInnen. Knorpeltang (bekannt auch als Irish Moss) ist eine Rotalge, die erstens über eine extrem ausgeprägte Krustentiernote und zweitens über unglaubliche Bindungseigenschaften verfügt. DIE Alge also, wenn es um Saucen, cremige Suppen oder Desserts geht. Man kann in der Küche damit sogar Gelatine oder Agar-Agar ersetzen.
Rotalgen sind nicht nur zum Essen geeignet, sondern auf spezielle Weise wahre Klimaretter. Mehr dazu hier.
BIORAMA #84