Brauchen wir 2023 ein Gesetz zur Halbierung des Pestizid-Einsatzes in der EU? »Nein.«

... sagt LKÖ-Generalsekretär Ferdinand Lembacher und fordert eine Folgen- und Umsetzbarkeitsprüfung statt populistischer, gefährlicher Schnellschüsse auf Kosten von bäuerlichen Familienbetrieben, Versorgungssicherheit und Klimaschutz. 

Zu sehen ist ein landwirtschaftliches Feld.
Ein Feld in der Landwirtschaft. Bild: Istock.com/Denis Vesely.

Das Ziel, den nachhaltigen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu fördern, wird von Österreichs Landwirtschaft nicht nur befürwortet, sondern seit langem gelebt. So gelten wir in Europa und international als Vorreiter im Hinblick auf integrierte Pflanzenproduktion. Das bedeutet, dass primär alle verfügbaren vorbeugenden, physikalischen, biologischen, biotechnischen Maßnahmen (Sortenwahl, Fruchtfolge, mechanische Verfahren) genützt werden. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM) findet als Ultima Ratio nach dem Motto »So wenig, wie möglich, so viel, wie notwendig« statt. Pflanzenschutzmittel unterliegen einem langwierigen Prüfungs- und Zulassungsverfahren nach europäischen und nationalen Regeln, sehr ähnlich jenem für Medikamente. Digitalisierung ermöglicht »Precision Farming« und Tools wie den LKÖ-Warndienst und ist ein Ansatz, um die PSM-Menge sinnvoll zu reduzieren. Nicht zuletzt werden bereits 27 Prozent der Agrarnutzfläche biologisch bewirtschaftet.
Die pauschale Reduktion der Menge an Pflanzenschutzmitteln um 50 Prozent »querbeet«, ohne Berücksichtigung der Vorleistungen von Mitgliedsstaaten und individuelle Bewertung jedes einzelnen Wirkstoffes, ist entschieden abzulehnen. Solche ideologisch motivierten quantitativen Ziele berücksichtigen in keiner Weise Effizienz und Risiken der Substanzen. Sie entbehren jeder wissenschaftlichen Basis und sind sogar widersinnig. Beispielsweise macht der natürliche Luftbestandteil CO2, der zur Verlängerung der Haltbarkeit von Lagerfrüchten eingesetzt wird, 35 Prozent der ausgewiesenen PSM-Menge in Österreich aus, während er in anderen Ländern nicht statistisch erfasst wird. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr die Basis hinkt. Äpfel dürfen nicht mit Birnen verglichen werden.

»Es drohen erhebliche Ertragseinbußen, Lebensmittel-Preissteigerungen, Rückgänge der EU-Eigenversorgung und zusätzliche klimaschädliche Importe.«

Ferdinand Lembacher, Landwirtschaftskammer Österreich


Politische Strategien wie der Green Deal der EU mit Farm-to-Fork stammen aus einer Zeit vor Corona und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Ihnen liegt der Irrglauben zugrunde, dass Lebensmittel auf alle Zeiten in ausreichender Menge und Qualität verfügbar sind. Sie negieren aber vollkommen, dass wir nicht nur die Versorgungsverantwortung für eine der kaufkräftigsten Regionen der Welt tragen, sondern auch für Länder, wo die größte Sorge jene  der nächsten Mahlzeit ist. Gefährden wir den ausreichenden Schutz für gesunde Pflanzen in Europa, ignorieren wir auch unsere Verantwortung zur Ernährung der wachsenden Anzahl an hungernden Menschen weltweit. Der EU-Wissenschaftsdienst und auch andere Institute haben schon vor den genannten Krisen auf die Gefahren dieser politisch motivierten Strategie hingewiesen. Demnach drohen erhebliche Ertragseinbußen, Lebensmittel-Preissteigerungen, Rückgänge der EU-Eigenversorgung und zusätzliche klimaschädliche Importe. Die negativen Effekte träfen nicht nur die bäuerlichen Familien, sondern auch das Klima und die Versorgungssicherheit der europäischen Bevölkerung. Pflanzenschutz undifferenziert zu untersagen, wäre aus unserer Sicht ein unverantwortbarer Irrsinn! 
Wir fordern daher – wie auch viele andere EU-Staaten – die EU-Gremien zu einer Folgenabschätzung und zur Berücksichtigung der neuen weltpolitischen Situation auf. Die fatale Abhängigkeit, die uns bei fossilem Gas und Energie in eine so schwierige Lage gebracht hat, darf sich bei Lebensmitteln nicht wiederholen! Es wäre falsch, lediglich den populistischen Forderungen praxisferner Lobbyisten zu folgen. Vielmehr brauchen wir echte Nachhaltigkeit, eine Balance zwischen Umwelt, Wirtschaft und Sozialem.
Wer ernten und essen will, muss nicht nur anbauen, sondern die Felder und Gärten auch vor Schädlingen und Krankheiten schützen. Der Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung beginnt nicht in der Küche, sondern schon auf unseren Feldern.

DI Ferdinand Lembacher ist seit Jänner 2018 Generalsekretär der Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ). Zuvor war der 52-jährige Pflanzenbaudirektor an der LK Niederösterreich.

Anderer Meinung ist Agrarökonom Sebastian Lakner – er hält ein Gesetz zur Halbierung des Pestizideinsatzes für sinnvoll. Hier seine Ansicht im Format Pro/Contra.

BIORAMA #83

Dieser Artikel ist im BIORAMA #83 erschienen

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