»Hausrotschwanz, nice!«
Wie sieht die Stadt der Zukunft aus? Ein Hörspiel zum Gehen führt durch das Wien des Jahres 2049.
Sie sind seltsam leblos und selten mitreißend: die künstlichen Renderings und Illustrationen, mit denen uns Stadtplanungs– und Architekturbüros die Zukunft von Stadtvierteln vermitteln wollen; zweidimensionale Bildschirmidyllen, in denen Kleinfamilien ihre Kinderwägen zwischen frisch gesetzten Alleebäumchen schieben und SeniorInnen auf Parkbänken plaudern. Wie sich das Geplante einmal anfühlen könnte, erahnen wohl nur beruflich damit Beschäftigte.
Einen gänzlich anderen Ansatz haben Clara Hirschmanner und Philipp J. Ehmann vom Verein Play Vienna gewählt: ein Hörspiel zum Gehen. Etwas mehr als eine Stunde lang führt »Bird Watch« spielerisch durch den öffentlichen Raum und vermittelt dabei ein Gefühl für das Stadtleben im Wien von morgen. Ausgerüstet mit MP3-Playern, Kopfhörern und Opernguckern folgen wir den Audioaufzeichnungen von Selma, einer jungen Vogelkundlerin, Jahrgang 2022. En passant entdecken wir im Gebüsch und auf Bäumen Rotkehlchen, einen Blutspecht, Wiedehopf und Mönchsgrasmücke. Anfangs irritiert, wie sehr sich, was wir sehen – im Wesentlichen Asphalt, Autos, eine Stadt aus Beton –, von dem unterscheidet, wovon Selma erzählt: von weitläufigen Parks, Grünflächen und begrünten Rückzugsräumen der Stadtwildnis; von Picknickplätzen und einer – bis auf Durchzugsstraßen – autofreien Stadt. Indem wir hören, was hier und jetzt in naher Zukunft möglich wäre, stellt sich sofort ein konstruktives Gefühl von Mangel ein. Die Gegenwart wird unzulänglich. Man möchte sich engagieren: zum Beispiel in dem Teil des Wiener Bezirks Floridsdorf, den die Gamedesignerin und der Theaterregisseur für ihren Audiowalk wohl nicht ganz zufällig gewählt haben. Liegt er doch vor dem Floridsdorfer S-Bahn-Hof des ansonsten vergleichsweise autoabhängigen Flächenbezirks im transdanubischen, nördlichen Teil Wiens, wo bis vor wenigen Jahrzehnten noch Wiesen und Äcker das Landschaftsbild geprägt haben.
Heute ist es ein Stadtbild, in dem es für das sensibilisierte Ohr aber einige Natur zu entdecken gibt. Das Hörspiel führt, unterstützt von der Kulturabteilung der Stadt, in seinen zwölf Stationen Schritt für Schritt durch eine konkrete Utopie. Die Artenvielfalt ist durch die vom Menschen aufgebrochenen Asphaltflächen zurück in unsere Umwelt gekehrt. Vieles haben »die Verfassungsänderungen von Mitte der 20er-Jahre« verändert – in welchen die Natur als Rechtssubjekt anerkannt wurde. Eine Forderung, die wir in der Gegenwart beispielsweise aus der Fridays-for-Future-Bewegung kennen. Rein vom Alter her könnte Greta Thunberg Selmas Mutter sein. Bleibt daher zu hoffen, dass auch die EntscheidungsträgerInnen der Bezirks- und Stadtregierung Zeit für einen »Bird Watch«-Spaziergang finden.
Nistkästen im Gemeindebau
Wenn es im April 2049 überall blüht, zwitschert, frisches Grün sprießt: Nie vergessen wir, dass wir uns gerade durch das Rote Wien bewegen; durch eine bunte, diverse, soziale Stadt. Wir passieren den Schlingermarkt – wo sich Selma ein Baklava gönnt und zwischendurch auf Türkisch flucht – und beobachten Mauersegler, »die im Fliegen schlafen können«, wie sie über dem Gemeindebau ihre Kreise ziehen.
Dabei ist »Bird Watch« nicht nur liebevoll erzählt und dramaturgisch durchdacht, sondern strotzt auch vor Optimismus. Während wir im Floridsdorf des Jahres 2049 ein gutes Dutzend verschiedener Vogelarten beobachten, bekommen wir dort an einem trüben Sonntagnachmittag Anfang Oktober 2022 gerade einmal Tauben und Nebelkrähen zu Gesicht.
Weitere Termine für »Bird Watch« – auch für andere Stadtteile und andere Städte – werden demnächst auf Play Vienna bekannt gegeben.