»Seht her, welch Innovationskraft Bio hat!«

Reinhard Gessl (FIbL) erklärt, was für ihn ein »Bio-Produkt des Jahres« ausmacht - und worauf er als Juror achtet.

Reinhard Gessl (FIbL)
Reinhard Gessl vom FIbL (Forschungsinstitut für biologischen Landbau) ist einer der JurorInnen die das Bioprodukt des Jahres auswählen. Er ist Nutztierwissenschafter und ein langjähriger Kenner der Biobranche. (Bild: Organic17)

BIORAMA: Du bist seit 2018 Teil der Jury, die das »Bio-Produkt des Jahres «ermittelt. Was ist dir beim Bewerten besonders wichtig?
Reinhard Gessl:
Jahr für Jahr kommen erfreulich viele neue Biolebensmittel auf den Markt, die gegenüber all den Industrieprodukten den entscheidenden Unterschied machen, für unseren Planeten und damit auch für uns Menschen. In der Sichtung der Einreichungen achte ich ganz besonders auf das Besondere, das Innovative, das sich aus dem ganzheitlichen Denken des Biolandwirtschaftssystems ergibt.

Gibt es ein in den vergangenen Jahren ausgezeichnetes Produkt, das dir nachdrücklich in Erinnerung geblieben ist?
Oh, das waren viele herausragende Lebensmittel mit hohem Genussfaktor dabei. Mein persönlicher Liebling ist das Bio-Speckup. Ein Mühlviertler Biobauer vermahlt Biorinderspeck, eigentlich ein Abfallprodukt, und versieht das Streupulver mit einem großartigen Namen. Oder die Wiener Würze, eine Würzsoße aus fermentierten, heimischen Biolupinen statt aus ausländischem Soja. Oder die Hermann fleischlos-Produkte, sehr erfreulich schmeckender, vegetarischer Fleischersatz. Ewig schade, dass es die nicht mehr gibt. Weniger spektakulär aber auch super: alte Getreidesorten in einer engen Wertschöpfungs-Kooperation zwischen Ja! Natürlich und Biobauern. Oder auch die geschmacklich herausragenden Weinviertler Bioerdnüsse. Es gäbe noch viele andere, die erwähnenswert sind. 

Bedauerst du es rückblickend bei irgendeinem Produkt, dass es von der Jury nicht ausgezeichnet wurde?
Es liegt im System von Bewertungen, dass es nur einen Sieger geben kann. Und alle anderen müssen sich dahinter einfinden. Die ausgezeichneten Lebensmittel waren für mich bislang sehr verdient ganz oben. Durch die unterschiedlichen Kategorien, sei es »Retail & Big Brand« oder »Farm & Craft« oder auch regionalen Auszeichnungen wurde ein gutes System einer ausdifferenzierten Prämierung gefunden. Mit der veröffentlichten Shortlist stehen auch die nachgereihten Biolebensmittel auf einer großen Bühne. 

Aus der Distanz ist die Arbeit von Jurys oft ein bisschen geheimnisvoll. Wie arbeitet denn die Jury für die Ermittlung der Bioprodukte des Jahres?
Auch bei dieser Jurybewertung kann es keine wirkliche Objektivität geben, auch wenn alles versucht wird. Mit einem Online-Tool bewertet jedes Jurymitglied vorab im stillen Kämmerchen alle eingereichten Bio-Produkt mit Punkten nach drei Kriterien. Die so erstellte Shortlistreihung wird bei der gemeinsamen Jurysitzung nochmals reflektiert. In der gemeinsamen Juryarbeit geht es vor allem um die Beurteilung des Spaß- und Genussfaktors und um Besonderheiten. Ich mag die Offenheit für Neues, die Vielfalt der Geschmack- und Geruchseindrücke sowie die wertschätzenden Diskussionen der Jurymitglieder an diesem Tag sehr.

Sehen die Einschätzungen der einzelnen Jury-Mitglieder oft sehr unterschiedlich?
Die Jury-Mitglieder bringen unterschiedliche Expertisen mit. Dementsprechend divers sind die Herangehensweisen bei der Bewertung. Dem einen gefällt das Schriftbild der Verpackung besonders gut, der anderen ist das Produkt ungewohnt gewürzt, der andere mag die spezifische Innovation der Einreichung und wieder wem anderes ist die erzählte Geschichte zum Lebensmittel besonders sympathisch. Die Bewertungen erfolgen anonym, aber es wird alles diskutiert und abgewogen. Und interessant: Zu den Siegern der einzelnen Kategorien gibt es meist große Einigkeit.

Jurysitzung für das »Bio-Produkt des Jahres 2019. Vorne im Bild: Reinhard Gessl. Ganz vorne im Bild: die Trophäe. Seit 2022 ist die Trophäe aus Holz. (Bild: Thomas Weber)«

Bewertet wird anhand der Kriterien Innovation, Nachhaltigkeit, Packaging/Design und NomNom –  also nach dem Spaß- und Genussfaktor. Hat sich die Bedeutung der unterschiedlichen Kriterien, die bei jedem Produkt, das auf der Shortlist landet und dadurch in die engere Wahl als Bio-Produkt des Jahres kommt, in den vergangenen Jahren gewandelt?
Die 2018 gefundenen Bewertungskriterien sind gut. Ich selber tue mir mit der Einordnung in die »Nachhaltigkeit« meist am schwersten. An und für sich sind ja Biolebensmittel durch z. B. den Verzicht auf Mineraldünger und chemisch-synthetische Spritzmittel meist viel »enkeltauglicher« als andere Produkte. Die Ausdifferenzierung erfolgt also auf hohem Niveau.

Du bist studierter Nutztierwissenschafter. Welchen Stellenwert hat Tierwohl wenn es um die Auszeichnung geht?
Leider werden nicht allzu viele Biofleischprodukte eingereicht. Was ich persönlich schade finde, weil auch hier etliche Produkte vor den Vorhang gehören. Nun ist es ja grundsätzlich so, dass Biofleisch, – Milch und –Eier von Tieren aus tiergerechter Haltung stammen, das garantieren die Biogesetze. Eine Haltung ist tiergerecht oder nicht, ein bisschen tiergerecht gibt es nicht. Bei den Ausdifferenzierungen in den diversen Standards geht es um Details, die bestimmte Verhaltensweisen der Tiere noch besser ermöglich oder um zeitlich eng umgrenzte Verbesserungen. Diese Details bringe ich dann in die Diskussionen bei der Jurysitzung ein und plädiere leidenschaftlich für besondere Berücksichtigung.

Der Biomarkt ist in den vergangenen Jahren gewachsen, könnte durch die allgemeine Teuerung aber etwas unter Druck kommen. Wie schätzt du denn die Bedeutung von Bio insgesamt ein?
Das biologische Lebensmittelsystem ist nicht zufällig seit Jahren am Vormarsch. Bio lässt sich nicht aufhalten, ganz im Gegenteil. Alle Argumente sprechen über kurz oder lang für das ganzheitliche System, vom Acker/dem Stall bis auf den Teller. Mit der Wahl des Bioprodukt des Jahres werden wir nicht die Welt retten. Aber wir können ein kleines Ausrufezeichen setzen: Seht her, welche Innovationskraft Bio hat! Und die schmeckt gut, macht richtig Spaß.

Die Auszeichnung der Bioprodukte des Jahres 2023 findet im Rahmen der Bio Österreich (12.–13. November 2022) auf der Messe Wieselburg statt. Vorab veröffentlicht BIORAMA umfangreiche Shortlists.

Dieser Beitrag ist Teil einer entgeltlichen Kooperation von BIORAMA und der Messe Wieselburg, im Rahmen derer jährlich die Bio-Produkte des Jahres gesucht und prämiert werden.

Bioprodukt des Jahres

Die Bioprodukte des Jahres – seit 2018 küren die Messe Wieselburg und BIORAMA herausragende Bioprodukte Österreichs.

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