Die Kompostier-Connection
Großstädter diskutieren angeregt über Wurmkulturen, halten stolz ihren ersten eigenen Humus in den Händen. Eine grüne Utopie? Nein. In Paris wird Kompostieren langsam zu einer Art Volkssport.
Ein Viertel im Pariser Osten. Postkartenmotive und Touristen sucht man hier vergebens. Dafür überschattet ein Komplex aus 15-stöckigen Sozialwohngebäuden die Straße. Ein Gewirr von Durchgängen und Treppen verläuft unterhalb der Wohntürme und dann, ganz im Inneren der Anlage, nicht etwa ein grauer Innenhof, sondern kleine Gemüsebeete und Himbeerhecken, durch die Bäume scheint die Wintersonne. Um lustig bunt bemalte Holzkisten hat sich eine Gruppe Menschen versammelt, die einem Mann in roter Schürze und Gummistiefeln zuhört. Dieser öffnet soeben den Deckel einer Kiste und stochert mit einer Metallspirale darin herum. Es dampft. »40 Grad hat der Kompost jetzt«, erklärt der Mann den Umstehenden. Die Temperatur steige aber noch auf ungefähr 60 Grad an, vorausgesetzt der Kompost wird regelmäßig durchgemischt. Denn die aeroben Bakterien, die hier Apfelkippen und welke Salatblätter zersetzen, benötigen Sauerstoff.
Wenn der Kompost ordentlich durchgelüftet wird, laufen sie zur Höchstform auf und die Temperatur steigt. Das beschleunigt die Zersetzung des Abfalls. Das ist eine der ersten Lektionen, die Jean-Jacques Fasquel den Teilnehmern seiner Seminare mit auf den Weg gibt. »Maître Composteur« nennt er sich, Kompostiermeister. Der 46-Jährige hat in seinem Leben schon viel gemacht, er war Kinodirektor, Eventmanager, zuletzt Leiter eines Einkaufszentrums. Jetzt weiht er Großstädter in die Geheimnisse des Kompostierens ein und bildet sogenannte Kompostier-Referenten aus. Sie sollen demnächst nachbarschaftlich betriebene Anlagen betreuen.
»Kompostieranlagen sind soziale Orte«
Angefangen hat alles 2007. Fasquel wollte etwas gegen die Verschwendung des organischen Abfalls tun. Er verteilte in seinem Wohnhaus Zettel in den Briefkästen und warb für seine Idee: einen gemeinschaftlichen Kompost auf dem ungenutzten Grundstück hinter seinem Wohnhaus. Er überzeugte nicht nur seine Nachbarn, sondern auch den Vermieter und so entstand der erste Gemeinschaftskompost in Paris. Fasquel präsentierte das Projekt der Stadt und es machte Schule. Heute, fünf Jahre später, gibt es in Paris bereits 80 solcher Kompostanlagen, in denen Nachbarn ihre Küchenabfälle gemeinsam zu Humus werden lassen. Die Millionenmetropole will ihre Müllberge und den Entsorgungsaufwand reduzieren und Kosten einsparen. Kompostieranlagen sind eine naheliegende Lösung. Denn von den 522 Kilo Müll, die jeder Pariser durchschnittlich im Jahr erzeugt, sind 30 Prozent organischer Abfall. Doch damit der ordnungsgemäß zu Humus wird, braucht es Fachleute, die von Menschen wie Jean-Jacques Fasquel ausgebildet werden. Kompostieren könnte in der Großstadt bald zu einem Volkssport werden. In Fasquels Viertel entstand aus dem Kompost sogar ein weiteres Projekt – der Gemeinschaftsgarten.
Hier ziehen Nachbarn zusammen auf ihrem eigenen Humus Tomaten, Himbeeren und Zucchini. »Eins bedingt das andere«, erklärt der Kompostiermeister. »Mit dem ersten eigenen Humus wächst die Lust, diesen selbst zu verwenden.« Kompostieren ist mehr als reine Abfallentsorgung. So kommen Fasquels Nachbarn regelmäßig an den Holzkisten zusammen. Wenn die Haufen mal wieder umgeschichtet werden müssen, wenn eine neue Kiste aufgestellt wird oder wenn sich neue Kompostierwillige finden. Dann organisiert Fasquel sogar eine kleine Zeremonie, in der die Neulinge feierlich eine Verpflichtung unterschreiben. Auf die Feierstunde folge dann ein Apéro-Bio, man trinke Wein und erzähle, berichtet Fasquel. »Kompostieranlagen werden zum sozialen Ort«, ist er überzeugt. In anonymen Wohntürmen begegnen sich Nachbarn plötzlich regelmäßig, wenn sie ihre Haushaltsabfälle entsorgen.
Fliegenschwärme und Gestank
Aber nicht jeder Pariser ist gleich Feuer und Flamme. Natürlich gebe es viele, die Angst vor Geruch oder Fliegenschwärmen haben, berichtet Fasquel. Neulich habe sich eine Dame vehement gegen einen Gemeinschaftskompost in ihrem Haus gewehrt. Alle Argumente waren vergebens. »Wir sind hier doch nicht auf dem Land«, beendete die Dame die Diskussion. Dass die Wirklichkeit in einer Stadt mit der höchsten Bevölkerungsdichte Europas mit Landleben wenig gemein hat, bedauert die 33-jährige Emeline Beneche manchmal. Sie teilt sich mit ihrem Freund Emmanuel eine 30-Quadratmeter-Wohnung ohne Balkon. Emeline liebt das Gärtnern, aber »Balkone und Gärten sind in dieser Stadt nur etwas für Reiche«, sagt sie. Trotzdem, den Kurs »Techniken des Kompostierens«, den das Haus des Gärtnerns anbietet, lässt sie sich nicht entgehen. Für sie und ihren Freund kommt allerdings nur der Lombrikompost in Frage. Ein Modell aus ineinander gestapelten Eimern, das man theoretisch auch in der Wohnung verwenden kann. Wie in einem herkömmlichen Kompost draußen, fressen sich auch im Lombrikompost Würmer durch die Haushaltsabfälle. Die Tierchen sind in jedem Gartenfachgeschäft erhältlich, aber sie sind anspruchsvoll. »Wenn es zu kalt oder zu warm wird, arbeiten sie nicht mehr. Wenn es an Platz oder Nahrung mangelt, auch nicht«, erklärt die Umweltpädagogin den Seminarteilnehmern. Deswegen hat auch der Kompost Saison. Am besten läuft es im Herbst oder im Frühling, dann sind die Temperaturen für die Würmer am angenehmsten und schon nach drei Monaten könnte der erste Humus geerntet werden.
Seminarteilnehmer Charles kompostiert schon seit drei Jahren auf seinem Balkon. Den Humus verteilt der Rentner in seinen Blumentöpfen oder verschenkt ihn an die Nachbarn. Jetzt wirbt er in seinem Haus für einen Gemeinschaftskompost. Warum die Lust am Kompostieren? »Es amüsiert mich«, antwortet der 63-Jährige schlicht. Die sonst so fragilen Balkonpflanzen wüchsen jetzt prima, mit dem Kompost kamen die Würmer und mit denen die Vögel. Ob er für sein Hobby nicht manchmal komisch angeschaut werde, noch dazu in einer Großstadt wie Paris? »Wieso«, fragt er verblüfft, »auf dem Land sind die Leute doch noch engstirniger. Hier kann jeder tun, was er will.«
Emeline Beneche erklärt sich die neue Lust am Kompostieren damit, dass die Menschen wissen wollen, wie die ursprünglichsten Prozesse der Natur ablaufen. In der Stadt, die aus allen Nähten platzt, sehnen sich alle nach dem Essenziellen, nach Luft und Erde – und die stellen sie im Zweifelsfall selbst her. Für Kompostiermeister Fasquel ist der Fall sowieso klar: »Compostage, c’est la vie«, sagt er.