Klimakultur braucht Orte
Mit dem Klimakulturpavillon inmitten der Grazer Altstadt hat das Breathe Earth Collective eine Waldoase auf versiegelter Fläche geschaffen.
Urbane Räume verwandeln sich zuallererst wegen ihres hohen Versiegelungsgrades an heißen Sommertagen zu sogenannten Urban Heat Islands (UHI): zu Orten, an denen aufgrund menschlichen Einflusses eine wesentlich höhere Temperatur herrscht als in der direkten Umgebung. Wissenschaftlich dokumentiert ist das vielerorts schon seit dem 19. Jahrhundert und als Ursachen gelten neben der Bebauungsdichte vor allem Quellen anthropogener Wärme, Verkehrsaufkommen sowie das Ausmaß von Grünflächen und Wasserbecken. Begrünung ist daher eine der einfachsten Möglichkeiten, nachträglich Hitzeinseln zu mildern. Sie kann diesem Effekt schon auf kleiner Fläche erstaunlich stark entgegenwirken. Durch das Speichern von CO2 und das Spenden von Schatten bieten grüne Oasen den BewohnerInnen einer Stadt aber nicht nur kühlere, sondern auch sauberere Luft.
Wie können nun Zukunftsmodelle zur natürlichen Kühlung von Städten aussehen? Das »team.breathe.austria« aus ArchitektInnen, LandschaftsplanerInnen und KünstlerInnen hat 2015 schon den Österreichisch-Pavillon für die Expo in Mailand als 90 Meter langes Gebäude in einem 560 Quadratmeter großen Wald gestaltet, um zu zeigen, wie stark Bäume und Architektur, die Luftzug und Luftfeuchtigkeit mitdenkt, die gefühlte und auch die messbare Temperatur beeinflussen. Bis zu acht Grad Unterschied zwischen dem Gelände des Pavillons und der Umgebung konnten dort gemessen werden.
Teile dieses Teams – Karlheinz Boiger, Lisa Maria Enzenhofer, Bernhard König, Andreas Goritschnig und Markus Jeschaunig – haben sich in der Folge zum Breathe Earth Collective zusammengeschlossen. Sie setzen international Projekte zur Stadtbegründung um – innerhalb des Kollektivs, aber auch in anderen Konstellationen. Enzenhofer und König etwa als Teil der Green4Cities GmbH, die unter anderem das Dach- und Fassadenbegrünungskonzept des Ikea-Neubaus am Wiener Westbahnhof beigesteuert haben. Bei diversen Projekten mussten sie laut Jeschaunig feststellen: »Die Menschen, die die begrünten Orte betreten, haben nachher Fragen. Man merkt, wie viel die Leute in einer Stadt über das Klima nachdenken, aber dass es zu wenige Orte gibt, wo das besprochen wird.« Das Kollektiv verortet eine noch unzureichend bestehende Klimakultur und hat das Grazer Kulturjahr 2020 (das pandemiebedingt größtenteils auf 2021 verschoben wurde) und dessen Motto »Wie wir leben wollen« zum Anlass genommen, einen »Klimakulturpavillon« im Zentrum der steirischen Landeshauptstadt aufzubauen. Das Zentrum des 159 Quadratmeter großen Pavillons bildet eine rund 100 Quadratmeter umfassende Waldoase, die zeigt, wie viel Bäume zu einem ganz eigenen Mikroklima beitragen können. Schon in diesem »Instant Forest« war die Luft bis zu sechs Grad kühler als in der Umgebung.
Wenn man es mit dem Mikroklima Wald ernst meint, braucht es für einen Stadtwald mehr als nur Topfbäume. Ziegelsplittsubstrat, ein Recyclingmaterial aus gebrochenen Tondachziegeln, bietet nährstoffreichen Untergrund und statische Grundlage für die Pflanzen und wurde als hügelige Landschaft im Herzen des Pavillons aufgeschüttet. Nach dem Vorbild des »idealen Ökosystems« Wald gesellen sich neben hitzefesten Bäumen wie Sommereichen, Rotbuchen und Föhren auch Fichten in den Klimakulturpavillon, die vom Verband mit den anderen Pflanzen in Form eines Mischwaldes profitieren. Sträucher und blühende Stauden komplettieren diese kleine Imitation eines Waldökosystems. Insgesamt fanden rund 600 Stauden, Gräser, Farne und Moose eine Instant-Heimat unter den großen Bäumen. Alle Gehölze inmitten des Pavillons stammen übrigens aus österreichischen Baumschulen.
Auch Bäume können schwitzen
Bäume schwitzen. Dieser Vorgang wird Evapotranspiration genannt, wodurch der Umgebung Wärme entzogen wird. Anders gesagt: ein Kühlungseffekt eintritt. Markus Jeschaunig erklärt dieses Prinzip der adiabaten Kühlung kindgerecht: »Wenn’s heiß ist, schwitzt der Baum, und wenn man sich unter dem Blätterdach befindet, hat man automatisch dieses Wasser in der Luft. Deswegen sitzt du unter einem Baum angenehmer als unter einem Sonnenschirm.« Der Miniwald im Pavillon wird durch ein sensorgesteuertes Bewässerungssystem versorgt: Durch die Hochdrucknebeltechnik am Dach und am Boden des Pavillons, die wassersparend kleine Tröpfchen versprüht, können die Blätter der Pflanzen Wasser aufnehmen, was sie an warmen Tagen zum Schwitzen bringt. Die so messbar gesenkte Temperatur ist nicht der einzige Faktor, der maßgeblich zur gefühlten Temperatur beiträgt. Die Luftfeuchtigkeit spielt auch direkt eine Rolle für das menschliche Temperaturempfinden – wie auch Luftbewegung. »Dazu kommt der psychologische Effekt, dass es uns evolutionsbedingt wortwörtlich im Grünen besser geht als in einer grauen Umgebung«, erläutert Jeschaunig eindringlich.
»Wir sind inzwischen Profis für die Frage geworden, wie man grüne Lösungen in die Stadt bekommt«, erklärt der Künstler Markus Jeschaunig, der gemeinsam mit ArchitektInnen und LandschaftsplanerInnen 2015 den Verein gründete. »Wir machen nicht nur Renderings, sondern wir setzen die Sachen auch um und bauen Prototypen, die man sich ansehen und begehen kann.« Nicht nur die Möglichkeiten grüner Architektur sollten sinnlich erlebt werden, vor allem sollte der Klimakulturpavillon mit Vorträgen und Veranstaltungen einen Rahmen für die Konkretisierung des Wandels bieten: hin zu einer klimapositiven Gesellschaft, die die ökologische Krise als gesamtgesellschaftliche Gestaltungsaufgabe versteht und dieser Aufgabe mutig und kreativ entgegentritt.
»Wir sind nur die DesignerInnen, die räumliche Lösungen dazu zeigen, wie wir uns nicht selbst die Luft abschnüren.«
Markus Jeschaunig, Breathe Earth Collective
Proaktiv statt reaktiv
»Irgendwie denken wir, glaube ich, ein wenig anders.« Der Klimakulturpavillon ist laut Andreas Goritschnig keine Reaktion auf den Klimawandel, die die Menschen sowieso liefern müssten, sondern ein Bote eines gesellschaftlichen Wandels, der sich proaktiv und kreativ dem Problem entgegenstellt. Der Klimakulturpavillon soll diesem Wandel den Raum und die Zeit geben, die er braucht. Deswegen sei das Projekt nicht nur eine sinnlich und räumlich erlebbare Zukunftsvision, sondern biete auch einen öffentlichen Ort, um sich über Klimakultur auszutauschen. In einem Open Call konnte das Breathe Earth Collective bis zu 30 Initiativen mobilisieren, die ihre Zukunftsvisionen im Klimakulturpavillon vorgestellt haben. »Wir hatten bis zu drei Veranstaltungen am Tag: Lesungen, Theateraufführungen, Diskursformate, und wir haben das Gefühl, dass die Bubbles wie die der Freien Schreibwerkstattgruppe und die institutioneller Organisationen wie etwa des Klimabeirats einer Stadt aufgebrochen sind«, blickt Markus Jeschaunig im August auf das Sommerprogramm zurück und freut sich über den jüngsten prominenten Besuch: »Gerade hat Katharina Rogenhofer ihr Buch bei uns präsentiert. Wir brauchen uns gegenseitig. Wir gehen nicht auf die Straße, um zu demonstrieren, wir sind nur die DesignerInnen, die räumliche Lösungen dazu zeigen, wie wir uns nicht selbst die Luft abschnüren.«
Rund um den Pavillon wurde aus zehn Kubikmetern Holz eine Fassade aus Fichtenholz errichtet und mit einer textilen Hülle ummantelt, um das kühle Mikroklima im Inneren des Pavillons zu halten. Die vorgefertigte Holzkonstruktion des Pavillons wird wiederverwendet und soll demnächst an einem nächsten Standort wiederaufgebaut werden. Die Bäume und Pflanzen werden versteigert und so an unterschiedlichsten Orten wieder eingepflanzt.
Wie weiter?
Was den Pavillon angeht, lautet das Ziel Lisa Maria Enzenhofer zufolge, in jedem Grazer Bezirk einen zu haben. Das Kollektiv wünscht sich aber vor allem, dass seine Ideen auch von anderen umgesetzt werden, in temporären, aber auch in dauerhaften Gebäuden. »Wir wollen atmende Städte, die nicht nur konsumieren, sondern die sogar saubere Luft produzieren und Wasser reinigen statt verschmutzen«, betont Jeschaunig. »Grüne Architektur ist leistbar, Bäume sind günstig, binden CO2 und filtern Feinstaub. Sie liefern uns ganz einfach saubere Luft. Wir wollen Pflanzen in die Städte bringen. Wir wollen ein Biorama in die Stadt bringen.«
BIORAMA #74