Was Wohnungskatzen wirklich wollen

Lässt sich eine Katze artgerecht ausschließlich drinnen halten? Tierpsychologin Heike Grotegut über gefährdete Freigänger, Pet Sharing und das perfekte Beuteschema für Spielzeug.

Katze
Katzen werden häufig indoor gehalten. Ist das artgerecht und ist jede Katze eine Freigängerkatze? Bild: Istock.com/tepic.

BIORAMA: Viele KatzenhalterInnen plagt ein schlechtes Gewissen, weil sie ihre Katze ausschließlich indoor halten. Fehlt Wohnungskatzen verglichen mit Freigängerkatzen etwas?

Heike Grotegut: Viele sehen in Wohnungskatzen bemitleidenswerte Kreaturen. Aber wenn wir uns an der Natur ein Beispiel nehmen und ihnen alles, was sie nach heutigem Kenntnisstand draußen zum Leben brauchen, auch drinnen bieten – also vor allem Beschäftigung und eine katzengerechte Einrichtung –, dann sollte kein Mangel vorliegen. Wichtig zu wissen ist nur, dass ich mir bei einer Wohnungskatze mehr Gedanken machen muss als bei einem Freigänger. Sonst tritt drinnen problematisches Verhalten klarer und deutlicher auf als draußen. Freigängerkatzen suchen sich, das ist ja bekannt, teilweise einfach ein neues Zuhause. Wohnungskatzen haben keine Wahl. Aber es kommt immer sehr auf das einzelne Tier an. Freilauf ist gar nicht für jedes geeignet. Für manche ist es im Streifrevier einfach zu stressig.

Es gibt die weitverbreitete Vorstellung, Wohnungskatzen seien bemitleidenswerte Geschöpfe, die wie der Panther in Rilkes berühmtem Großkatzen-Gedicht abgestumpft hinter Gitterstäben von der Freiheit träumen …

… eines meiner Lieblingsgedichte! Aber es wird fälschlicherweise immer angenommen, dass Katzen mit Freilauf viel Raum zur Verfügung steht. Die Realität sieht aber oft ganz anders aus. Gut gefütterte und kastrierte Tiere bleiben oft relativ nah am Haus; weil weder eine Partnersuche noch – zumindest zum Überleben – Jagd nötig ist. Manche wollen auch gar nicht raus. Wenn ein Tier alles hat, was es braucht, gibt es keine Notwendigkeit rumzustreunen. Das erzählen mir auch KatzenhalterInnen, die ihre Tiere mit GPS-Sendern ausgestattet haben. Die sind oft überrascht, weil ihre Tiere zwar stundenlang weg sind, aber nur irgendwo im Garten nebenan schlafen. Aber natürlich gibt es auch bemitleidenswerte Geschöpfe in absolut nicht artgerechter Haltung: die allein gehaltene Katze bei Berufstätigen, die nicht im Homeoffice arbeiten, da blutet mir manchmal das Herz.

»Katzen mit Freilauf haben eine drastisch verkürzte Lebenserwartung. Im Schnitt werden sie nur fünf Jahre alt, drinnen 14.«

Heike Grotegut, Tierpsychologin mit Schwerpunkt Katze

Was spricht denn alles dafür, eine Katze dauerhaft drin zu behalten?

Viele haben gar keine Möglichkeit, Katzen rauszulassen. Man sollte Katzen auch auf gar keinen Fall rauszwingen. Aber viele Menschen haben den Sicherheitsaspekt im Blick, wenn sie ihre Tiere ganz drin behalten. Hund und Katze werden ja immer öfter als Familienmitglied gesehen. Da sorgt man sich dann, wenn die Katze mal eine Nacht wegbleibt. Und: Katzen mit Freilauf haben eine drastisch verkürzte Lebenserwartung. Im Schnitt werden sie nur fünf Jahre alt, drinnen 14 – und mittlerweile auch schon einmal 18 oder 20 Jahre.

Weiß man, was Katzen machen, wenn sie allein zu Hause sind?

Katzen sind Lauer- und Schleichjäger mit hoher sozialer Intelligenz. Die Beobachtung der Umgebung hat allerhöchste Priorität; man weiß ja nie, wann die nächste Beute kommt. Deshalb kennen sie den typischen Tagesablauf ihrer HalterInnen in der Regel sehr schnell. Peu à peu passt sich die Katze dann diesem Rhythmus an: Sie ruht, wenn sie allein ist, und wartet oft schon im Flur, weil sie die Fahrradkette klimpern oder das Auto gehört hat. Die Tiere wissen: Wenn der Mensch da ist, passiert am meisten, dem passen sie sich an. Mit Webcams lässt sich das auch gut beobachten. Da herrscht vor allem Ruhe. Das ist tagsüber auch sehr natürlich; die Tiere sind ja perfekt für die Jagd auf dämmerungsaktive Beutetiere ausgestattet.

Sogar gut gefütterte Freigängerkatzen gehen täglich drei Stunden auf die Jagd. Hungrige Freigängerkatzen jagen bis zu elf Stunden täglich. Lässt sich dieser Jagdtrieb drinnen artgerecht ausleben?

Der Jagdtrieb der Katze ist enorm. Doch wer elf Stunden täglich jagt, der muss jagen. Diese Not fällt bei gut gefütterten Wohnungskatzen ja hoffentlich weg. Tagsüber ist die Katze im Stand-by-Modus. Das heißt: sofort da, wenn Beute vorbeikommt, aber eigentlich eher ruhend. Wer mehrere kleinere Spieleinheiten über den Tag ansetzt – morgens, nachmittags, abends und noch einmal kurz vor dem Zubettgehen –, liegt sicher nicht falsch. Es braucht angepasste Denkspiele und Abwechslung beim Futtersuchen, dann ist das sehr artgerecht.

Lässt sich auch eine Freigängerkatze gut an ein Dasein als Wohnungskatze gewöhnen?

Ehrlich gesagt eher nicht. In vielen Fälle entwickeln sie dabei Stressverhalten. Katzen sind extreme Gewohnheitstiere. Ich kenne persönlich nur eine einzige Ausnahme: Einem entzückenden Paar aus Bonn ist ein Kater zugelaufen. Die beiden hatten bereits mehrere Katzen in der Wohnung – nur der Kater wollte absolut nie hinein. Aber als er 16 Jahre alt war, ist er dann plötzlich ins Haus gekommen und nur noch dringeblieben.

Buchcover Katze allein zu Haus
»Katze allein zu Haus«. Heike Grotegut gibt praktische Tipps, wie sich »Wohnungskatzen glücklich machen« lassen; samt Upcycling- und DIY-Ideen für Katzenspielzeug und -möbel. Bild: Ulmer Verlag.

Ich nehme an, zwei Katzen langweilen sich in einer Wohnung weniger als ein allein gehaltenes Tier.

Eine Katze allein – das ist aus meiner Sicht die absolut anspruchsvollste Haltung überhaupt. Ein Einzeltier braucht deutlich mehr Beschäftigung als zwei Katzen, die sich verstehen. Katzen sind ja soziale Einzelgänger. Die Beutetiere der Katze sind klein, deshalb wäre es ineffektiv, im Rudel zu jagen. Aber wenn es die Umstände zulassen, haben sie Kontakt zu anderen Katzen. Dass Tiere miteinander kuscheln, ist zwar nicht so weit verbreitet, wie man annehmen würde. Wie sehr sie aneinander hängen, erkennt man aber oft erst an der Trauer, wenn ein Tier stirbt.

In den USA sorgte vor einigen Jahren das Buch »Your Home, Their Territory« des Veterinärmediziners Tony Buffington für Diskussionen. Wie sehr muss ich meine Wohnung, in der ich mich letztlich nur Teilzeit aufhalte, an ein Tier anpassen, das darin seinen ausschließlichen Lebensraum hat?

Artgerechte Haltung bedeutet: den Bedürfnissen des Tieres nach aktuellem Kenntnisstand gerecht zu werden. Wer über eine erhöhte Sitzmöglichkeit für Katzen nachdenkt, weil Katzen gerne auch von oben herabblicken, muss aber nicht gleich in jeden Raum drei Ebenen hohe Kratzbäume stellen. Ein Schrank, der mit einfachsten Mitteln und einer Katzentreppe rauf und einer runter erreicht werden kann, tut es da auch. Ich rate: einfach die Wohnung mit offenen Augen anschauen!

Viele KatzenbesitzerInnen klagen, dass ihr Tier das teure Spielzeug und die Kratzbäume nicht annimmt. Gibt es etwas, das alles gerne angenommene Katzenspielzeug gemeinsam hat?

Das Problem hab ich ganz häufig in der Praxis. Bei kleinen Katzen hat Spielen ja eine ganz andere Funktion, weil Katzen im Spiel lernen. Aber irgendwann ist das Studium abgeschlossen. Bei erwachsenen Katzen ist Spielverhalten ein geistiges und körperliches Training, um fit für die Jagd zu sein. Was man ihnen anbietet, muss also ihrem Beuteschema entsprechen. Gehen Sie von Ihrem Daumen aus – ungefähr so groß ist eine Maus. Manche Tiere jagen aber lieber Vögel, Frösche, Eidechsen oder Insekten. Laserpointer werden oft angeboten, sind aber nicht geeignet: Sie ähneln zwar Insekten, bringen aber keinen Beuteerfolg, was ein frustriertes Tier und Aggression zur Folge hat. Es ist sinnvoll und günstig, selbst kreatives Spielzeug z. B. mit Fransen und Knoten zu basteln. Kratzbäume wiederum stehen häufig einfach an der falschen Stelle. Nur weil wo im Eck Platz ist, bedeutet das nicht, dass das ein für die Katze interessanter Ort ist.

Zuletzt ist auch der CO2-Pfotenabdruck des Fleischfressers Hauskatze ins Bewusstsein gerückt. Spricht aus Sicht der Tierpsychologin etwas dagegen, sich Katzen – Stichwort Pet Sharing – z. B. über eine sichere Verbindung von Balkon zu Balkon mit den WohnungsnachbarInnen zu teilen?

Eine gute Frage und es ist wichtig, dass das Bewusstsein diesbezüglich wächst. Immer mehr meiner KlientInnen denken sich: Ich ernähre mich selbst biologisch und regional – und dann kauf ich meiner Katze den Thunfisch? Pet Sharing hört sich erst mal skurril an. Aber wenn die Katze den/die NachbarIn mag, warum sollte man sich nicht auch über den Balkon gemeinsam um ein Tier kümmern! Gerade bei einzeln gehaltenen Tieren ist es bei Berufstätigen artgerecht, wenn sich Menschen aus der Nachbarschaft gemeinsam einer Katze widmen.

Haben Sie schon einmal überlegt, mit Ihren Katzen an der Leine rauszugehen, wie es in Nordamerika immer öfter üblich ist?

Ich kenne mittlerweile auch in Deutschland einige, die ihre Katzen ans Geschirr gewöhnen, und mehr und mehr Katzen, die gemeinsam mit Hund und HalterIn spazieren gehen. Ich selbst wohne zwar um die Ecke eines Parks, aber der ist mittlerweile so beliebt und bevölkert – auch bei Menschen mit Hund –, das wären für meine Katzen, und sicher für die allermeisten Katzen, zu viele Eindrücke. Es gibt ja auch Hunde, die gerne Katzen jagen.

Heike Grotegut Portrait
Heike Grotegut lebt mit Mann, zwei Katern und einem Hund in Köln, wo sie eine katzenpsychologische Praxis betreibt. Bild: Privat.

BIORAMA #74

Dieser Artikel ist im BIORAMA #74 erschienen

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