So ein Saustall

Was hat das Bioschwein, was andere nicht haben?

Schwein auf einer Straße
Für das Têt-Fest verarbeiten DorfbewohnerInnen das Hausschwein auf der Straße. Bild: Reinhard Geßl/organic17.

Es ist kurz vor Neujahr, schrille, quiekende bis kreischende Laute sind zu hören. Die GastgeberInnen, eine Bauernfamilie mit Zimmervermietung, wiegelt alle Äußerungen von Bedenken ab: Vor den höchsten Feiertagen werde in jedem Haus des Dorfes traditionell ein Schwein geschlachtet. Die gellenden Quietschlaute seien »nur« Angstschreie der Tiere vor ihrem Tod.

Fünfmal mehr Fleisch

Diese Szene spielte sich 2017 in Nordvietnam ab, also in Südostasien. In Europa war es ebenfalls einmal Brauch, vor höchsten Feiertagen, also damals vor Weihnachten oder Ostern, das (einzige) Hausschwein zu schlachten, zu Würsten und Selchwaren zu verarbeiten und diese Feste mit frischem, üppigem Fleischmahl zu feiern. Insgesamt war der Fleischkonsum damals bescheiden: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts aßen EuropäerInnen etwa 14 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr. Diese Menge ist seither deutlich gestiegen: Essen Menschen in »sich entwickelnden Ländern« nunmehr immerhin 26,6 kg Fleisch, haben wir EuropäerInnen unseren Fleischkonsum seither auf 68,6 kg pro Person und Jahr fast verfünffacht.

Viele, viele Koteletts und Schnitzel

In reichen Ländern werden allerdings nur noch bestimmte, »edle« Teile eines Tieres gegessen. »Wir haben in Deutschland einen Selbstversorgungsgrad von 120 % bei Schweinefleisch, aber nur 70 % bei den Edelteilen. Sprich: Der Deutsche isst das Falsche!«, bestätigte Thomas Dosch, Koordinator bei Tönnies, dem größten Schlachtbetrieb Deutschlands, auf der Messe Biofach 2021 diese Entwicklung. Tönnies schlachtete im Jahr 2019 16,7 Millionen Schweine und vermarktet damit 30 % der deutschen Schweinehälften. Während die Meldungen von sieben- bis dreizehnstöckigen »Schweinehochhäusern« in China um die Welt gingen, in denen 4000 Tiere pro Stockwerk ein licht- und strohloses Dasein führen, bekommen die europäischen »Schweinefirmen« etwas weniger Aufmerksamkeit: Piensos Costa in Spanien hält 117.000 und Cooperl in Westfrankreich sogar 251.000 Zuchtsauen! Da wirken die durchschnittlich 33 österreichischen und selbst die 256 deutschen Zuchtsauen je Schweinebetrieb direkt idyllisch.

Bio geht anderen Weg

Diese Konzentration von Schweinen in immer größere Bestände ist nur unter den (noch) erlaubten Haltungsbedingungen und mit beträchtlichem Antibiotikaeinsatz möglich. Im Gegensatz dazu hat der Biolandbau schon vor Jahrzehnten einen anderen Weg eingeschlagen: Entscheidende Eckpunkte sind Einstreu, Raufutter und Beschäftigungsmaterial, jederzeit Auslauf ins Freie, freies Abferkeln ohne Fixierung der Sauen, Säugezeit von zumindest 40 Tagen sowie Verbot von Schwanzkupieren, Zähneschleifen und gentechnisch veränderten Futtermitteln. Narkose und Schmerzmittel bei notwendigen Eingriffen sind in österreichischen und deutschen Verbandsbetrieben Standard.

Ferkel im Stall
Biozuchtsauen haben ein Bett aus Stroh und jederzeit Auslauf ins Freie. Bild: Reinhard Geßl/organic17.

Weniger Bioferkel, die aber mehr kosten

Diese Unterschiede lassen sich nicht einfach – wie immer wieder medial »aufgedeckt« – anhand von Stallgrößen erklären. Ein Beispiel: Eine Biozuchtsau darf ihre Ferkel etwa sechs Wochen lang säugen. Dazu benötigt sie nicht nur ausreichend viel Platz in Stall und Auslauf (!) zum Umdrehen, Aufstehen und Niederlegen, sondern kann frühestens sieben Wochen nach der Geburt erneut belegt werden. Damit können Biobauern »nur« etwa zwei Würfe je Biosau und Jahr verkaufen, während konventionelle Sauen nach 3–4 Wochen Säugezeit etwa 2,5 Mal im Jahr Ferkel gebären.

Damit »moderne« Sauen enorm hohe Leistungen (siehe Schweinische Daten) erbringen können, werden in der konventionellen Schweineproduktion zur Eiweißnahrung neben importiertem Sojaextraktionsschrot (Stichwort Regenwaldabholzung) auch mittels gentechnisch veränderter Bakterien erzeugte Aminosäuren verfüttert. Beides ist in der Bioschweinehaltung weder erlaubt noch erwünscht, führt aber zu weniger Wachstum und Milchleistungen der Tiere. Damit stehen in Biobetrieben geringere Einnahmen durch weniger Ferkel je Sau und Jahr deutlich höheren Ausgaben für Stallbau, Fütterung und Betreuung gegenüber.

Mehr Bioferkel nur mit Garantien?

»Wir brauchen mehr Bioferkel«, stellte Thomas Dosch bei erwähnter Diskussion auf der Biofach 2021 fest. Das ist für einen Schlachthof wie Tönnies ärgerlich, denn: ohne Bioferkel kein Biomastschwein und damit nicht genügend Biofleisch. Vielleicht würden sich ja mehr Betriebe auf das höhere wirtschaftliche Risiko einlassen, wenn es »stabile Preise bei garantierter Abnahme« gäbe, wie von Karl Schweisfurth, einem Bio-Vordenker aus Deutschland, gefordert. Manche Vermarkter – vor allem in Österreich – können diese Stabilität zwar schon bieten, trotzdem ist das Angebot an Bioschweinefleisch zu vernachlässigen (siehe Grafik). Das liegt nicht zuletzt am großen Preisunterschied zwischen Biofleisch(produkten) und deren konventionell erzeugten Vergleichsprodukten. Nicht Quadratmeter, sondern Bereiche sind entscheidend.

Eine eindimensionale Sicht auf »Mindest-Quadratmeter« lässt bei der Preisfrage dabei viele Punkte (bewusst?) aus. Der Auslauf ins Freie ermöglicht es zum Beispiel Bioschweinen, ihren Liegebereich – so wie es Wildschweine auch tun – sauber zu halten und einen Kotbereich anzulegen. Der Clou jedes Biostalles ist also: Er bietet durch unterschiedliche »Funktionsbereiche« eigene Räume für »Bett« (Liegefläche), »Küchentisch« (Fressbereich), »Spielecke« (Wühlbereich) und »Toilette« im Auslauf.

Diese Struktur ermöglicht es Bioschweinen, ihr natürliches Verhaltensrepertoire auszuleben. Erst damit können wir von artgemäßer Haltung sprechen. Dass einem Biomastschwein (bis 110 kg Gewicht) dabei 2,3 Quadratmeter Gesamtfläche im Vergleich zum konventionellen mit 0,7 Quadratmetern zur Verfügung stehen, sei nur nebenbei erwähnt. Denn: In konventionellen Vollspaltenbuchten werden Liegefläche, Fressbereich und Kotplatz zu einem.

Grafik zum Anteil der Bioschweine in Europa
Der Anteil der Bioschweine am Gesamtbestand in Europa im Jahr 2019. Quelle: Eurostat.

Bioschweine sind keine Weidetiere

Auch wenn Werbebilder mitunter anderes suggerieren: Schweine haben ihr natürliches Habitat im Wald. Sie können nicht schwitzen, bekommen Sonnenbrand und wühlen auf Grasflächen so herum, dass sie die Grasnarbe zerstören und Bodenverlust fördern. Eine ihrer Art am ehesten entsprechende Haltung im Wald ist allerdings in den meisten europäischen Ländern gesetzlich verboten. Tiergerechte Bioschweinehaltung abseits der Hobbyhaltung erfolgt deswegen in Ställen mit Auslauf. Entscheidend dabei sind wie erwähnt jene Funktionsbereiche, zwischen denen sich die Schweine (auch ferkelführende Zuchtsauen!) jederzeit ungehindert bewegen können.

Umso trauriger ist es, dass einerseits Investitionen in konventionelle Schweineställe weiterhin mit staatlichen Förderungen unterstützt und andererseits Bioställe durch einander widersprechende Vorschriften zu Überdachung, Emissionen oder Schutz vor Wildschweinen verkompliziert und verteuert werden. Für höhere Marktanteile von tiergerecht erzeugten Schweinen helfen Appelle an KonsumentInnen, mehr Bioschweinefleisch zu kaufen, jedenfalls nicht. Das wollen sowieso schon so viele, dass die Nachfrage das Angebot bei Weitem übersteigt. Wichtiger wären innovative Rahmenbedingungen und höhere Investitionsprämien für Bioställe.

Schweinische Daten

Ausgehend vom Wildschwein wurde dem Hausschwein nicht nur ein zusätzliches Rippenpaar angezüchtet – für zwei Koteletts mehr –, sondern auch 2–3 Zitzenpaare. Mit 16 Zitzen ernährt eine 250–300 kg schwere, »moderne« Zuchtsau mittlerweile 2–3 mal so viele Ferkel gleichzeitig wie eine Wildsau, und das mehr als doppelt so oft im Jahr. Das verkürzt ihre Lebensdauer: Kann die Wildsau bis zu 14 Jahre alt werden, kommt eine Zuchtsau im Durchschnitt mit etwa 4 Jahren zur Schlachtung.

Mastschweine »moderner« Rassen nehmen bis zu ein Kilogramm pro Tag zu. Für das gewünschte Schlachtgewicht von etwa 92 kg werden Mastschweine damit nur etwa ein halbes Jahr alt. Mit diesem Alter besitzen Wildschweine noch ihre Milchzähne, das Gebiss von Schweinen wechselt erst mit 9–10 Monaten.

Sonja Wlcek hat Landwirtschaft studiert und berät seit 18 Jahren BioschweinehalterInnen. Nach vielen Jahren bei Bio Austria NÖ und Wien und einem Forschungs-Sabbatical in Nordafrika und Südostasien (www.organic17.org) arbeitet sie nun für die Bioschwein Austria VertriebsgmbH.

BIORAMA #72

Dieser Artikel ist im BIORAMA #72 erschienen

Biorama abonnieren

VERWANDTE ARTIKEL