Es grünt nicht grün
Die Topfpflanze hat die Concept Stores und die Wohnzimmer Instagrams erobert. Kaum jemand weiß, woher sie gekommen ist.
Ein bisschen Natur in der Wohnung ist in. Wo vor Kurzem noch Cold Brew Coffee und Palettenmöbel feilgeboten wurden, gibt’s jetzt Zimmerpflanzen. Zum Teil ähnliche wie auch in den großen Einrichtungshäusern oder Baumärkten, aber eben liebevoller verpackt und als Designobjekte in Szene gesetzt, zum Teil wird ganz gezielt auf Raritäten gesetzt. Schön, aber gar nicht so gut für uns und die Umwelt, wie uns das Pflanzliche vielleicht suggeriert.
Kompensationsfantasien
Selber handeln ist das Gebot der Stunde und an der Idee, sich dem folgend seinen CO2-Kompensationswald gleich ins Wohnzimmer zu pflanzen, ist nicht alles verkehrt, aber doch einiges. Denn einerseits ist ein kleiner Kaktus noch kein Wald – und ein erheblicher Teil des CO2 wird im Ökosystem Wald unterirdisch gespeichert –, andererseits ist es gar nicht unwahrscheinlich, dass man mit dem Kauf einer gewöhnlichen Topfpflanze mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Ein bisschen Erde in einem Topf, tropische Pflanze drin – ist ja auch logisch, weil sie soll sich ganzjährig bei Zimmertemperatur wohlfühlen –, in Europa gezogen, beim Händler am Eck bezogen, wo ist also das Problem?
Globalisiertes Grün
Die meisten der gehandelten Zimmerpflanzen wurden konventionell produziert, unter Bedingungen, die den Einsatz von chemisch-synthetischen Insektiziden und Pestiziden und Düngemitteln notwendig machen. »Zimmerpflanzen stammen vielfach aus Betrieben, die auf bestimmte Kulturen spezialisiert sind. Bei diesen Kulturen gibt es es mitunter kaum Erfahrungen dazu wie sie ohne Einsatz von Spritzmitteln im großen Stil und mit Maschineneinsatz kultiviert werden können. Hier ist eine Umstellung auf eine nachhaltige Produktionsweise durchaus ein längerer Prozess«, sagt Andrea Frankenberg, zuständig für Zierpflanzen beim deutschen Verband Bioland. Zur Düngung werden Kunstdünger, unter anderem auf Erdölbasis, eingesetzt. Die Belastung durch Umweltgifte und Erdölderivate ist also schon durch die Pflanzenschutzmittel und Dünger erheblich.
Wo keine Lebensmittel produziert werden, sind die Möglichkeiten für den Einsatz chemisch-synthetischer Spritzmittel andere, da die Rückstandsrelevanz insgesamt anders bewertet wird. Nach erschreckenden Ergebnissen einer Greenpeace-Studie aus dem Jahr 2014, in der Pflanzenschutzmittelrückstände unter anderem in Lavendel untersucht wurden, habe der Handel reagiert, erinnert sich Frankenberg. Dieser habe erste Schritte in die richtige Richtung unternommen, indem er Produkte, die Reste von bestimmten Wirkstoffen enthalten, nicht mehr einkaufe. Grundsätzlich sei allerdings vielfach wissenschaftlich belegt, dass FloristInnen häufiger unter Kontaktallergien leiden als die Normalbevölkerung. »Man muss ja nicht nur an sich denken, sondern könnte auch an die Menschen denken, die in den Gärtnereien und Blumenläden arbeiten.«
»Mit Blumen kann man viel transportieren. Weil sie alle berühren – erst recht, wenn sie bio sind« – Andrea Frankenberg, Bioland
Wald- und Wiesenluft
Kann man natürlich. Nur kommt man auch so womöglich auch nur zur selben Handlungsempfehlung als würde man sich nur um sich selbst scheren. Denn Pflanzen können zwar grundsätzlich durch Photosynthese nicht nur Kohlenstoff, sondern auch andere Schadstoffe aus der Luft filtern – und Sauerstoff produzieren. Zur diesbezüglichen Wirkung von Zimmerpflanzen hat Ende der Achtzigerjahre schon die NASA geforscht und die ist zu dem Ergebnis gekommen, dass Topfpflanzen die Konzentration flüchtiger organischer Verbindungen (die klassischen Quellen für diese sind etwa Kunststoffe, Baustoffe, Möbel, Reinigungsmittel und Tabakkonsum) erheblich verringern – und so auch das damit verbundene Krebsrisiko. Das Studiendesign wird inzwischen kritisiert und in einer Studie (2019) mit deutlichem Titel »Potted plants do not improve indoor air quality: a review and analysis of reported VOC removal efficiencies« wurde berechnet, dass zwischen zehn und 1000 Pflanzen pro Quadratmeter benötigt würden, um ein ähnlich gutes Reinigungsergebnis zu erzielen wie durch das zeitweilige Öffnen von Fenstern.
Genau dieser Umstand, die Photosynthese, die wir auch als Atmen der Pflanzen beschreiben, sorgt aber auch dafür, dass in den Pflanzen enthaltene Gifte über die Luft emittiert werden. Die wir dann einatmen.
Frankenberg führt das Desinteresse daran, mit welchen Substanzen Zimmerpflanzen behandelt wurden, auf mangelnde mediale Berichterstattung zurück: »Der Weihnachtsbaum in Bioqualität wird nachgefragt. Denn da kapieren es die VerbraucherInnen: Natürlich wollen sie keinen gespritzten Baum im Wohnzimmer stehen haben. Aber bei der Kaufentscheidung um Zimmerpflanzen scheint das noch nicht angekommen zu sein.« Dabei könne man mit »Pflanzen, etwa mit Blumen, so viel transportieren. Weil sie alle berühren – erst recht, wenn klar ist, dass sie nicht gespritzt sind«, ist sich Frankenberg sicher.
Eine Fairtrade-Rose ist keine Biorose
Für Schnittblumen gilt im Übrigen dasselbe, auch sie geben Gifte an die Raumluft ab, obwohl sie schon »abgeschnitten« sind. Apropos Schnittblumen: Frankenberg weist hier darauf hin, dass derzeit in Europa keine Fairtrade-zertifizierten Rosen angeboten werden, die auch biozertifiziert sind. Dass in den Anbaugebieten der Rosen (sie werden in der EU großteils aus Afrika importiert) durch das Fairtrade-Siegel zumindest Schutzmaßnahmen der ArbeiterInnen auf den Plantagen sichergestellt würden, sei ein großer Schritt – aber wir dürften daraus eben nicht schließen, dass die Blumen deswegen weniger gespritzt wurden.
Sukkulenten wie der Geldbaum sind nicht nur pflegeleichte Biopflanzen, sondern auch bereits in Bioqualität verfügbar. »Ich topfe sie um und lasse sie wachsen, dann werden die größer, als viele vermuten«, berichtet Frankenberg.
Angebot durch Nachfragen
Wie unterscheide ich nun ökologisch problematisches von weniger problematischem Angebot? »Manche Pflanzen werden als nachhaltig angepriesen. Es gibt aber eigentlich kein Zimmerpflanzenlabel im Bereich, das ich für nachhaltig halte, außer der Pflanze mit einem Biozertifikat. Nur hier kann ich sicher sein, dass nicht mit chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln gearbeitet wurde.« Gemeint ist das EU-Biosiegel, Verbandslogos sind seriöserweise zusätzlich ausgewiesen, gehen in ihren Kriterien weiter – wie etwa das von Bioland – und können zusätzliche Orientierung bieten.
»Aloe vera – wenn man genug Licht hat – gibt’s in Bio. Da gibt’s auch Sorten, die sich wunderbar im Smoothie machen.«
Andrea Frankenberg, Bioland
Die bittere Wahrheit für alle aus der Neigungsgruppe Fensterblatt: Weder die Redaktion noch der Bioland-Verband konnten eine Quelle für den Bezug biozertifizierter Exemplare der im lateinamerikanischen Regenwald beheimateten Trendpflanze Monstera ausfindig machen. Doch die Expertin ist angesichts des rapide wachsenden internationalen Angebots an Spezialprodukten zuversichtlich, dass Nachfrage dies ändern wird: »Man kann seinem Blumenladen am Eck schon sagen, dass es viele Zierpflanzen bereits in Bioqualität gibt und wo. Und dann schauen, ob der die besorgen kann.« Man müsse dann aber auch bereit sein, entsprechend höhere Preise zu zahlen.
Zweckdienliche Infos für den kleinen und größeren Handel:
HändlerInnen können unter anderem über diese Website zertifizierte Biozierpflanzen bestellen bee-o.nl/de/growers.
Darunter findet sich auch der Bio-Orchideenbetrieb green-balanz.com.
Bezugsquellen und Informationen für KonsumentInnen:
bio-zierpflanzen.de sammelt Informationen, die im vom deutschen Landwirtschaftsministerium geförderten »Projekt Bio Zierpflanzen« zusammengetragen wurden. Ein neuer aus dem Projekt entstandener Verein arbeitet an einer Erweiterung und umfassenden Neugestaltung der Website bis Ende des Jahres 2021.
EndverbraucherInnen können etwa bei Austropalm aus einem breiten Sortiment an Palmen, Farnen, Strelitzien und Sukkulenten auswählen austropalm.at
Bio-Aloe oder Bioeukalyptus neben vielen Gartenkräutern online bestellen auf blu-blumen.de
Substrate im Gartenbau bestehen klassischerweise maßgeblich aus Torf. Torf ist nichts anderes als Moor bzw. der Erdboden eines Moores. Was am einen Ende der EU, in Irland, noch zu Heizzwecken verbrannt wird, wird am anderen, im Baltikum, abgebaut, um die PflanzenproduzentInnen und Gartencenter Resteuropas mit Erde zu versorgen. Nun sind die Moore nicht »nur« Zentren der Biodiversität, sondern haben auch noch eine viel direktere, einfachere Funktion für Natur und Klima: In ihnen ist fast die Hälfte des in der Atmosphäre gebundenen Kohlenstoffs gebunden.
Erde zu Erde
Bei Erden und Substraten, deren Zutaten aus Österreich oder Deutschland stammen, kann man davon ausgehen, dass enthaltener Torf auch durch Renaturierungsmaßnahmen wieder aufgebaut wird. Das dauert allerdings. Jährlich wächst beispielsweise die Torfschicht eines Hochmoores auf natürliche Weise etwa einen Millimeter. Was wir entnehmen, ist also nur langsam regenerierbar. Wichtig ist also, torffreie oder zumindest torfreduzierte Erde in Bioqualität zu kaufen. Bio ist in diesem Produktsegment allerdings nicht geschützt, das heißt: Auch nicht biozertifizierte Produkte dürfen Bioerde heißen. Frankenberg verweist hier auf die in dieser Hinsicht vorbildliche Schweiz, die zumindest für die für EndverbraucherInnen bestimmte Erde Torffreiheit gesetzlich vorgeschrieben hat.
Pflanzentausch
Noch näher als die regionalen Torfabbaugebiete liegen NachbarInnen, die ihre Pflanzen nicht mehr wollen oder deren Pflanzen sich selbstständig oder unter Zutun der BesitzerInnen vermehrt haben und Platz greifen. Das ist einerseits der Klassiker Grünlilie, aber auch von vielen sogenannten Gummibäumen lassen sich ohne besondere Botanikkenntnisse Stecklinge ziehen. So auch vom abgebildeten Geldbaum.
Caring is Caring
Wenn man die Pflanzen dann zuhause hat, kann man immer noch vieles richtig machen: nicht nur beim Einkauf neuer Erde und von Düngemitteln. »Ich habe biozertifizierte Sukkulenten und eine Zimmerfeige, die ich geschenkt bekommen habe, die ist konventionell, aber ich dünge sie zumindest organisch«, erläutert Andrea Frankenberg ihren persönlichen Umgang mit dem noch begrenzten Angebot an Biopflanzen auf dem Markt. Bei Dünger sei das am einfachsten. Man bekomme mittlerweile fast überall im Fachhandel wie im Bioladen biozertifizierte Dünger, zum Beispiel biozertifizierte Wolldünger.
Wer sie zum Beispiel aus den oft zu kleinen – schließlich ist im Transport Volumen teuer – Töpfen in größere umtopft, tut seiner Pflanze Gutes und beschleunigt ihr Wachstum. Gar nicht so seltene Ausnahmen hiervon sind Pflanzen, die durch Spritzmittel in ihrem Wuchs gehemmt wurden: »Die ProduzentInnen behandeln die Pflanzen, damit der Wuchs klein und kompakt bleibt. Oft wachsen die Pflanzen dann bei den VerbraucherInnen gar nicht sofort weiter, sondern erst stark verzögert. Im Biolandbau halten wir die Pflanze durch gärtnerisches Handwerk kompakt, durch organische Düngung, durch die Regulation der Wasserzufuhr und Klimasteuerung. Diese Pflanzen wachsen natürlich, sobald sie bei KonsumentInnen zuhause den Ansprüchen der Pflanze entsprechend gegossen werden.«
Wer seine Pflanze nicht durch Vernachlässigung aushungern lässt oder mit zu viel Zuwendung überschüttet, hat länger was von ihr – und muss somit weniger oft neue nachkaufen, die dazu erst mal produziert werden müssen.
Inspiration
Im Buch »Urbane Botanik – Zimmerpflanzen für Moderne Gärtner« (LV Buch, 2017) stellen Maaike Koster und Emma Sibley ein breites Spektrum von Zimmerpflanzen vor. Von Sukkulenten über Kakteen bis Grünpflanzen erklären sie knapp formuliert, laienverständlich und wunderschön illustriert die Hauptmerkmale und Bedürfnisse der Pflanzen.
Zweckdienliche Hinweise zu Bezugsquellen für Monstera (Fensterblatt) in Bioqualität bitte an redaktion@biorama.eu.
BIORAMA #71