28 Days Later
Vor Mindesthaltbarkeitsdatum: Rohe Eier verschwinden bereits vor Erreichen des MHD aus den Regalen. Das ist zwar gesetzlich vorgeschrieben – aber umstritten.
Wer beim Eikauf aufmerksam ist, wird womöglich schon abgepackte rohe Eier entdeckt haben, die neben dem verpflichtenden Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) noch mit einem zweiten Datum gekennzeichnet sind: »Verkauf bis:«. Dieser Vermerk ist freiwillig, erleichtert es im Verkauf allerdings, den Überblick zu bewahren. Denn er kennzeichnet eine ganz besondere Frist, die im Handel ausschließlich für das »Frischei« gilt – als letztmögliches Verkaufsdatum. Denn während bei anderen Produkten vom Hersteller selbst eingeschätzt und vorgegeben wird, wie lange sein Erzeugnis mindestens haltbar ist, ist die Angelegenheit bei Eiern genauestens geregelt. Das MHD beträgt 28 Tage. Das geltende EU-Gesetz sieht außerdem eine weitere Besonderheit vor: »Eier dürfen nur innerhalb von höchstens 21 Tagen nach dem Legen an den Letztverbraucher abgegeben werden«, übersetzt die Zeitschrift »Konsument« des österreichischen Vereins für Konsumenteninformation (VKI) das Amtsdeutsch der Hühnereiverordnung von 2006 ins Allgemeinverständliche. Bereits eine volle Woche vor Erreichen des MHD dürfen Eier also nicht mehr verkauft werden. Und genau dieses Datum kennzeichnen manche EierzeugerInnen mit dem Verkauf-bis-Datum. Ab dem 22.Tag nach dem Legen dürfen Eier nur noch »für die Verarbeitung zu Lebensmitteln, die einem Erhitzungsverfahren unterzogen werden, in Verkehr gebracht werden«. Das heißt: ausschließlich an Betriebe, die zur Herstellung von Eiprodukten zugelassen sind, und nicht an Privatpersonen. Wurden Eier bis zum Ladenschluss des 21. Tages nicht verkauft, werden sie deshalb aus den Regalen sortiert. Theoretisch dürften sie dann noch weitergegeben werden – zum Beispiel als Spende an Tafeln oder andere soziale Einrichtungen. Praktisch landen sie vermutlich aber meist im Müll. »Das kann nur eine Fall-zu-Fall-Entscheidung sein, da ja nur wenige Tafeln aufkochen«, bedauert man in der Nachhaltigkeitsabteilung von Rewe Österreich. »Eier sind eine ganz, ganz seltene Spende, weil das dem Handel zu heikel ist«, bestätigt auch Ingrid Poppe, Projektleiterin der Schwäbischen Tafel e.V. in Stuttgart. Und falls doch einmal frische Eier gespendet würden, dann kämen die nie aus den Filialen, sondern »immer angekündigt als Extraspende direkt aus dem Zentrallager«.
Die Logistik großer Handelsketten kommt im Fall des Frischeis schnell an die Grenzen ihrer Effizienz. Der Aufwand, einzelne Eikartons, die nicht mehr verkauft werden dürfen, abzugeben, steht außerdem legistischen Bedenken gegenüber. Niemand möchte ein Risiko eingehen.
»Optimal« vs. »mühsam«
»Begründet wurde diese Gesetzgebung durch die Salmonellengefahr, derentwegen die EU rohes Ei als Risikoprodukt eingestuft hat«, sagt Genia Hauer, die bei der Agrarmarkt Austria (AMA) das Qualitätsmanagement für Eier verantwortet. »Dieses Gesetz stammt allerdings aus einer Zeit, bevor Hühner flächendeckend gegen Salmonellen geimpft wurden. Wir sind jedenfalls nicht glücklich darüber.«
Durchaus zufrieden mit der Regelung ist man im deutschen Finkenthal bei Rostock. Von dort aus vermarktet der Erzeugerzusammenschluss Fürstenhof – bekannt auch für seine Marke »Hähnlein« – die Eier von 19 Biobetrieben. »28 Tage MHD und 22 Tage ohne Kühlung sollten ausreichen für den Verkauf«, sagt Geschäftsführer Friedrich Behrens. Da die Eier überwiegend schon am Legetag abgepackt werden, sei der rechtliche Rahmen eigentlich »optimal«.
Ganz anders sieht man das in Oberösterreich bei der Erzeugergemeinschaft »Eiermacher«: Gründer Manfred Söllradl, der den Handel jährlich mit 100 Millionen Eiern beliefert – mit Schwerpunkt Bio, aber auch solchen aus Freiland- und Bodenhaltung –, nennt die Hühnereiverordnung »eine mühsame Geschichte«. Die einstmals berechtigten Argumente für die strenge Regelung wären durch Salmonellen durchaus gerechtfertigt gewesen. Heute gebe es in den Betrieben aber Salmonellen-Monitoring und seit zehn Jahren verpflichtende Impfungen gegen Salmonellen. »Wenn man ehrlich ist, dann ist die Regelung falsch«, sagt Söllradl, »eine willkürliche Grenze«. Richtig gelagert wären auch 42 Tage und länger kein Problem. Bei Fehlern in der Logistik wären Eier aber – auch unter Einhaltung aller Vorschriften – schon binnen einer Woche kaputt.
Erleichterte Logistik
»Leider gibt es aufgrund der aktuellen Gesetzeslage keine Möglichkeit, Eiern eine längere Haltbarkeit zu geben«, bedauert man auch bei der Diskonter-Kette Hofer (Aldi). Grundsätzlich gehöre es zwar zu den Unternehmensrichtlinien, politische Entwicklungen oder Entscheidungen nicht zu kommentieren, sagt Generaldirektor Horst Leitner. »Allgemein kann aber gesagt werden, dass es für unsere LieferantInnen von großem Interesse und auch logistisch ein großer Vorteil wäre, wenn der Gesetzgeber die Frist verlängern würde.« Und er bedauert, dass Versuche der Vergangenheit, ein längeres MHD für Frischeier durchzusetzen, bis dato ohne Erfolg waren. Eiermacher Manfred Söllradl, der diesbezüglich lange selbst engagiert war, hat die Sache vorerst ad acta gelegt: »Ein Gesetz zu ändern ist richtig Arbeit, die sich niemand antun will. Ich fürchte deshalb, dass alles so bleiben wird, wie es ist.«
Auch wenn der Handel die Angelegenheit wie die sprichwörtlichen rohen Eier handhabt: Zuhause können frische Eier bedenkenlos noch einen Monat nach Verstreichen des MHD gegessen werden. Nur roh sollte man sie dann nicht mehr essen. Wer beim Eikauf aufmerksam ist, wird deshalb womöglich auch schon einen Vermerk auf abgepackten rohen Eiern entdeckt haben: »Nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums durcherhitzen.« Bei der Schwäbischen Tafel in Stuttgart freut man sich, dass frische Eier trotzdem keine Mangelware sind. »Wir bekommen die Eier direkt vom Hühnerhof gespendet«, sagt Ingrid Poppe, »legefrisch«.