»Es fehlt am gesunden Augenmaß«
Felicitas Schneider, Expertin für Foodwaste am Thünen-Institut (Braunschweig), appelliert an unser Augenmaß und das Überdenken kontraproduktiver Normvorstellungen.
BIORAMA: Am meisten Foodwaste fällt zuhause an. Wie sehr fällt ins Gewicht, dass Menschen nicht wissen, dass vieles auch nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) gegessen werden kann?
Felicitas Schneider: Weniger als angenommen. Mittlerweile vertrauen die Menschen auch ihren Sinnen und wissen, dass sie von einem Schluck saurer Milch keine Lebensmittelvergiftung bekommen. Eher geht es um Kochplanung und Kreativität – was hab ich zuhause? Muss ich streng nach Rezept kochen? Es fehlt insgesamt am gesunden Augenmaß, wie man mit Lebensmitteln umgeht. Ich hab KollegInnen, die das darauf zurückführen, dass die Hauswirtschaftsfächer aus den Schulen verschwunden sind.
Der Handel ist direkt nur für vier Prozent des Foodwaste verantwortlich. Aber viele Waren landen gar nicht erst im Laden. Warum?
Etwa weil angelieferte Ware nicht den Handelsnormen entspricht. Erdbeeren zum Beispiel brauchen einen bestimmten Durchmesser. Leicht Verderbliches wie Salat leidet beim Transport. Vieles wird bereits vorab aussortiert oder gar nicht geerntet. In der Statistik wird das nicht dem Handel zugeschlagen.
Wann sind denn Lebensmittel für den Handel unverkäuflich?
Neben dem, was rein mengenmäßig im Großlager übrig bleibt oder nicht in den Filialen verkauft werden kann ist das teilweise Bruch, also z. B. wenn Stapel umfallen oder KundInnen etwas umschmeißen. Rechtlich wäre es zwar möglich, Ware noch nach Erreichen des MHD zu verkaufen – solange diese in Ordnung und entsprechend gekennzeichnet ist. Aber das ist ein Gummiparagraph, auf den sich die Lebensmittelketten nicht einlassen. Wie soll man bei Verpacktem überprüfen, ob etwas in Ordnung ist ohne dass es durchs Öffnen unverkäuflich wird? Deshalb wird das in Deutschland und Österreich leider nicht praktiziert. Normalerweise wird Ware am Tag des Erreichens des MHD aussortiert, manchmal vorher vergünstigt.
Ein Gesetz zur verpflichtenden Weitergabe von nicht mehr verkäuflichen, aber genießbaren Lebensmitteln an soziale Einrichtung wie es das in Frankreich gibt sehen Sie als Institut kritisch. Warum?
Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass die praktische Durchführung mitunter an der Finanzierung von Ressourcen für Logistik oder Lager scheitert. Wenn Ware bloß woanders verdirbt, ist niemandem geholfen. Die meisten Tafeln sind außerdem Zusammenschlüsse von Freiwilligen. Denen kann die Gesetzgebung nicht einfach Aufgaben überantworten. Bei manchen Produktgruppen – etwa bei Brot und Gebäck – gibt es auch einfach viel zu viel Angebot. Da gehört weniger produziert. Und in einem Gesetz lässt sich ohnehin schwer festlegen, was als »noch genießbar« anzusehen ist. Gehört da eine harte Semmel oder überreife Tomate noch dazu? In Frankreich soll das entsprechende Gesetz nach einer Evaluierung nun nachgebessert werden. Als Thünen-Institut bezweifeln wir, dass eine Verpflichtung Vorteile gegenüber weiterentwickelten, auf Freiwilligkeit basierenden Kooperationen von Handel und gemeinnützigen Einrichtungen bringen kann.
52 Prozent des Foodwaste fallen zuhause an. Bleibt nicht ein unlösbares Problem, dass der Handel davon profitiert, wenn wir zu viel kaufen?
Ja, ich hab mich anfangs auch gefragt, warum der Handel Kampagnen fürs Restekochen oder das richtige Lagern unterstützt. Offenbar ist wichtig, dass KonsumentInnen nicht das Gefühl haben, dass sie etwas wegwerfen müssen, weil ihnen etwas untergejubelt wurde oder nicht frisch war. Es gibt jedenfalls sehr gute Aktionen des Handels, die das Vermeiden von Foodwaste zuhause unterstützen.
Felicitas schneider,
Expertin für Foodwaste am Thünen-Institut (Braunschweig). Bild: Thünen-Institut.
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