Mister Muscaris
Pilzwiderstandsfähige Rebsorten könnten die Zukunft des Bioweinbaus sein. Doch die Piwis mit den eigenartigen Namen haben es nicht leicht. Der Amtsschimmel wiehert, die KundInnen zieren sich und die meisten Piwi-WinzerInnen stehen noch am Anfang ihres Weges. Die Steiermark hat sich zu einem Hotspot für weiße resistente Züchtungen gemausert. Georg Thünauer, Biowinzer mit Leib und Seele, hat sich mit beidem einer dieser Sorten verschrieben: dem Muscaris.
Der Hintergedanke, pilzwiderstandsfähige Rebsorten zu züchten, ist einfach und leicht nachvollziehbar: pflanzenschutzfreier Weinbau. Den historischen Hintergrund dazu liefern die Missionare, die von ihren Reisen nach Amerika nicht nur Rebstöcke, sondern auch den Mehltau als Krankheit dazu mitgebracht haben. Der Pilz (eigentlich die beiden Pilze; es gibt den Mehltau in den Versionen Echter und Falscher Mehltau) setzte den europäischen Reben gehörig zu, während die amerikanischen mehr oder weniger immun waren. In dieser Krise entwickelten sich zwei Lösungswege. Die einen erfanden den synthetischen Pflanzenschutz (die Fungizide), die anderen dachten, es wäre eine gute Idee, robuste Rebsorten mit hoher Toleranz gegenüber Schädlingen und Pilzkrankheiten aus amerikanischen und europäischen Reben zu kreuzen.
Was darauf folgte, war ein Machtkampf, der für die neuen Züchtungen nicht gut ausging. Behördliche Verbote verbannten die Hybride aus den Weingärten. WinzerInnen, die sich trotzdem mit den Piwis beschäftigten, bewegten sich – auch rechtlich – auf dünnem Eis. In Österreich waren es die beiden roten Rebsorten Roesler und Ráthay, die als Erste den Sprung in die Legalität schafften. Das war 2001. Die Rebsorte Roesler ist eine Neuzüchtung aus Zweigelt x (Seyve Villard 18-402 x Blaufränkisch), während Ráthay aus den Sorten Blauburger x (Seyve Villard 18-402 x Blaufränkisch) abgeleitet wurde. Die französischen Hybriden stammen von einem Rebzuchtbetrieb in Saint-Vallier im französischen Rhône-Tal. Gezüchtet wurden die beiden Sorten am Langenzersdorfer Götzhof, der Rebzuchtabteilung der Weinbauschule Klosterneuburg. Hans Artner, Biowinzer in Göttlesbrunn, nahm sich damals des Roeslers an und dominierte von 2006 an die internationalen Bioweinprämierungen mit seinem kraftvollen, dichten und tintigen Roesler.
In der Steiermark stehen die Zeichen indes auf Weiß. Immer öfter tauchen Weine mit neuen und einerseits fremdartigen, andererseits doch wieder irgendwie vertrauten Namen auf. Sauvignac oder Souvignier Gris zum Beispiel, zwei neue Züchtungen, die sensorisch in der Nähe des Sauvignon Blanc angesiedelt sind, der (russische) Blütenmuskateller oder eben Muscaris, eine Kreuzung aus Muskateller und Solaris, wobei Solaris selbst wieder eine Piwi-Kreuzung aus den Sorten Merzling x (Saperavi x Muskat Ottonel) ist.
PiWis oder nichts
Einer, der (fast) alles auf die Muscaris-Karte setzt, ist Georg Thünauer aus dem Saggautal. Als Bioweinbaubetrieb ein steirisches Urgestein, seit knapp 30 Jahren zertifiziert. Georg Thünauer ist Biolandwirt in zweiter Generation: Vater Hans Thünauer war Verwalter im Landesweingut Silberberg, bevor er Mitte der 80er-Jahre den Grund am Eichberg gekauft hat. Bio war für die Thünauers stets alternativlos: »Ich habe gewusst, was mein Vater hier investiert hat und wie ihm das am Herzen gelegen ist. Es war auch für mich immer sehr wichtig, die Natur war schon immer eine wichtige Säule in meinem Leben. Das hat sich über Generationen so entwickelt.« Die Umstellung auf pilzwiderstandsfähige Rebsorten ist für Georg Thünauer nur die Konsequenz seiner Philosophie, seiner Haltung: »Anfänglich wurden am Betrieb die klassischen Rebsorten (Sauvignon Blanc, Morillon und Cabernet Sauvignon) kultiviert. Morillon und Cabernet Sauvignon mussten aber in den vergangenen Jahren den Piwis weichen. Der große Vorteil (nicht nur für den Bioweinbau) ist, dass diese Rebsorten nur sehr wenig Pflanzenschutz benötigen und somit sowohl ressourcenschonend als auch vor allem umweltschonend gearbeitet werden können.« Anfangs waren das die beiden Rotweinsorten Regent und Cabernet Jura. Mittlerweile setzt der Winzer aber voll auf Muscaris. Dieser brachte 2013 den ersten Ertrag und der daraus gekelterte Wein wurde bei der internationalen Bioweinverkostung in Gornja Radgona mit der Goldmedaille ausgezeichnet. Thünauer erkannte das Potenzial und begann, ab 2014 die Fläche eines Nachbarn zu pachten, auf der weitere 1300 Rebstöcke Muscaris ausgepflanzt wurden. »Damit löst der Muscaris den Sauvignon Blanc als Hauptsorte am Betrieb ab«, meint Georg Thünauer dazu trocken. Dabei muss man sich diesen Satz auf der Zunge zergehen lassen. Ein südsteirischer Betrieb verabschiedet sich von der südsteirischen Rebsorte schlechthin, um sich einer neuen Züchtung zu verschreiben. Vor 20 Jahren wäre er dafür in der Klapse gelandet.
Kristallklarer Weitblick
Dass die Entscheidung eine gute war, zeigt das Sortiment. Auf Muscaris setzen auch andere WinzerInnen. Fredi Ploder vom Weingut Ploder-Rosenberg hat neben Muscaris auch andere neue Rebsorten im Weingarten stehen. Der Muscaris ist dabei wertvoller Cuvéepartner für die außergewöhnlichen Amphorenweine des Weinguts. Sortenreine und kristallklare Muscaris-Weine kommen auch von den Weingütern Hirschmugl – Domäne am Seggauberg oder vom südoststeirischen Bioweingut Winkler-Hermaden. Womit Georg Thünauer allerdings allein auf weiter Flur steht, ist die Muscaris-Palette. Die reicht vom spritzigen Georg T, einem Frizzante, über einen feinen, sortenreinen und intensiv muskatduftigen und kräftigen Muscaris aus dem Jahr 2018 bis hin zu einem (noch intensiveren und noch kräftigeren) Muscaris Reserve 2017. Überhaupt scheinen Kraft und Volumen eine Eigenschaft zu sein, die der Wein vom Elternteil Solaris übernommen hat. Der Nächste im Bunde ist der Muscaris Natural. Ein schwefelfreier, ungefilterter Naturbursche mit strammen 15,5% Alkohol und einem nicht enden wollenden Abgang. Großer Stoff! Letztlich die Essenz. Muscaris nach der Portweinmethode. Hochreife Muscaris-Trauben, deren Gärung durch die Zugabe von holzfassgereiftem Muscaris-Grappa gestoppt wurde. Weil Georg Thünauer eben nicht nur Traditionalist ist, sondern ihm auch der Schalk im Nacken sitzt. In jedem Fall zeigt Thünauer mit dieser Kollektion, welch gewaltiges Potenzial in der Rebsorte steckt. Und dass es wieder einmal die BiowinzerInnen sind, die den anderen um eine Nasenlänge voraus sind.