»Handel hat Vielfalt verdrängt«

Über Jahrhunderte garantierte die Streuobstwiese die ganzjährige regionale Versorgung mit frischem Obst.

Bild eines Apfelbaumes auf einer Streuobstwiese.
Vom ursprünglichen Streuobstbestand ist kaum mehr ein Viertel übrig geblieben. Im Interview erklärt Streuobstwiesen-Aktivistin Brigitte Gerger warum es so wichtig ist, diesen zu erhalten. Bild: Brigitte Berger.

BIORAMA: Unterscheidet sich die Streuobstwiese von dem, was wir landläufig »Obstgarten« nennen, oder gibt es da unterschiedliche Definitionen?
Brigitte Gerger: Im Prinzip entspricht eine Streuobstwiese dem guten alten Obstgarten mit gemischtem Obstbestand und großkronigen Bäumen, die zerstreut in der Wiese stehen. Früher diente der Obstgarten übers Jahr der Eigenversorgung mit Frischobst und daher war darin eine möglichst große Palette unterschiedlicher Obstarten und Sorten zu finden. Die Lageräpfel hielten bis April/Mai und dann ging es mit den Frühkirschen wieder los.
Zur Abgrenzung von Obstplantagen und anderen Intensivobstkulturen hat man sich bemüht, eine Definition für diese Obstbestände zu finden, aber sie unterscheiden sich regional im Aussehen und in der Zusammensetzung, daher ist das relativ schwer. Die ARGE Streuobst, der österreichische Dachverband der Streuobstinitiativen, hat sich ebenfalls um eine Definition bemüht.

Streuobstwiesen ermöglichen eine extensive, naturnahe Obstproduktion. Warum ist trotzdem so wenig Obst, das von Streuobstwiesen stammt, biozertifiziert?
Streuobstwiesen werden weder gedüngt noch gespritzt. Das Obst erfüllt also theoretisch Biokriterien. Die Zertifizierung ist aber doch mit einem gewissen Aufwand verbunden, den sich kleine StreuobstwiesenbesitzerInnen oftmals nicht antun. Die Streuobstwiese ist ja meistens nur ein kleiner Teil des Betriebs und oft ist es nicht möglich, den gesamten Betrieb auf biologische Wirtschaftsweise umzustellen. Die jährlichen Kontrollen und der bürokratische Aufwand schrecken viele KleinproduzentInnen ab. Dennoch kann man davon ausgehen, dass es sich bei Streuobstprodukten quasi um nicht zertifizierte Bioprodukte handelt, denn niemand käme auf die Idee, großkronige Bäume zu spritzen, und es wäre auch technisch kaum möglich.

Obstraupe in Verwendung

Praktisch im Obstgarten und auf der Streuobstwiese: Mit der »Obstraupe« (Organic Tools) wird die Ernte reifer Früchte zum Kinderspiel. Praktisch auch, wenn die Früchte unterschiedlicher Sorten zeitversetzt reifen. Bild: Patrick Tafner.

Warum kam denn die Obstproduktion von der Streuobstwiese ab?
Die Bewirtschaftung und Pflege der großkronigen Bäume ist mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden. Mit der Entdeckung von schwachwüchsigen Unterlagen nahm der Plantagenanbau systematisch zu. Die Bedeutung der Eigenversorgung ging seit den 70er- und 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts stark zurück. Der Handel hat sich eigeschränkte Sortimente gewünscht. Es ist viel leichter, drei bis fünf Apfelsorten zu lagern und zu vertreiben als 50. Durch die Entwicklung neuer Kühl- und Lagerungsmethoden wurden die Äpfel übers Jahr lagerfähig, natürlich ein großer Vorteil für den Handel – zulasten der Sortenvielfalt und des Geschmacks.

Gibt es Förderungen für den Erhalt oder das Anlegen von Streuobstwiesen?
Im Rahmen des ÖPUL-Naturschutzprogramms gibt es Flächenförderungen für die Pflege von Obstbeständen. Leider steht diese Förderung nur LandwirtInnen zur Verfügung. Eine Mindestgröße von 2 Hektar landwirtschaftlicher Fläche ist notwendig, damit man daran teilnehmen kann. Für Kleinstbetriebe und HausgartenbesitzerInnen gibt es leider keine Unterstützung. Auch die Auspflanzung wird derzeit nicht gefördert.

ÖPUL-Agrarumweltprogramm: Das Österreichische Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft unterstützt eine umweltschonende Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen mit dem Ziel, der Nutzungsaufgabe und Nutzungsintensivierung in Österreich, entgegenzuwirken, und so den Erhalt von Streuobstwiesen zu unterstützen. Bild: Brigitte Berger.

Wie kann ich als KonsumentIn dazu beitragen, dass Streuobstwiesen erhalten bleiben?
Natürlich, indem man Obst bzw. Produkte aus Streuobstwiesen kauft und konsumiert. Für KonsumentInnen ist es derzeit allerdings schwer, Produkte aus Streuobst von Plantagenprodukten zu unterscheiden, da viele inzwischen das positive Image der Streuobstwiesen für ihre Werbezwecke nutzen. Es ist also nicht überall Streuobst drinnen, wo Streuobst draufsteht.

Ist die Streuobstwiese für einen Landschaftstyp typisch oder gibt bzw. gab es sie früher überall?
Da das Obst ein wichtiger Bestandteil der Selbstversorgung war, gab es fast überall Obst. Natürlich unterschieden sich der Anbau und die Sorten, aber selbst in den Alpen finden wir Obst im Nahbereich der Höfe bis in hohe Lagen. Ideal ist natürlich das Alpenvorland für die Kultivierung von Obst. Auch heute wird noch ein Gutteil des Obstes im südöstlichen Alpenvorland angebaut.
Die Streuobstbestände unterschieden sich und prägten die charakteristischen Landschaften mit. Zum Teil waren es Einzelbäume in den Weingartenfluren oder im Vorland der Weingärten, zum Teil waren es Baumreihen oder Alleen wie im Mostviertel und andernorts flächige Obstgärten wie im burgenländischen und steirischen Hügelland.

Gibt es Schätzungen oder ist gar erfasst, wie viele Streuobstwiesen es in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Südtirol gibt?
Es gibt keine genauen Zahlen. Nachdem der Streuobstbau an wirtschaftlicher Bedeutung verloren hatte, wurden die Bestände nicht mehr statistisch erhoben. Man kann aber sagen, dass vom ursprünglichen Bestand kaum mehr ein Viertel übrig geblieben ist. Aber immerhin: Im Südburgenland gibt es derzeit noch knapp 3000 Hektar, das entspricht 250.000 Bäumen – zumindest diese gilt es zu erhalten. Die Entwicklung ist in den anderen Ländern sehr ähnlich.

Wie sieht denn die ideale Bewirtschaftung einer Streuobstwiese aus?
Eine Streuobstwiese besteht aus Obstbäumen und einer Wiese darunter. Diese Kombination macht den Lebensraum Streuobstwiese ja so wertvoll. Die Wiese sollte je nach Standort ein- bis zweimal pro Jahr gemäht und das Mähgut von der Fläche gebracht werden. Für viele GartenbesitzerInnen ist das ein Problem, da heute kaum noch Tiere für die Verwertung des Grünschnitts oder des Heus vorhanden sind. Man kann das Material auch am Rand der Fläche kompostieren und den Kompost bei der Pflanzung neuer Bäume bzw. für den Gemüsegarten verwenden. Alte Bestände sollte man sehr schonend behandeln. Oft befinden sich Vogelnester in den Baumhöhlen oder die hohlen Stämme bieten Fledermäusen oder Siebenschläfern Unterschlupf. Ein alter Baum ist ein eigenes kleines Biotop.

Portrait Brigitte Gerger

Brigitte Gerger
betreut (als Öpul-Beraterin) Naturschutzprojekte im Südburgenland und engagiert sich im Verein Streuobstwiesn. Bild: Foto Fraller.

Buchtipp
»Unsere erste Obstwiese« von Rolf Heinzelmann und Manfred Nuber (Ulmer Verlag, 2020)
Niederschwellig, aber fachkundig: Wie sich das »Schützen durch Nützen« der vielerorts bedrohten Streuobstwiesen in der Praxis umsetzen lässt – vom Wiesenschnitt mit Sense oder Motormäher bis zu rechtlich Relevantem. Klarer Fokus auf eine Klientel, die plötzlich – beispielsweise durch eine Erbschaft – in den Besitz einer Streuobstwiese gelangt ist.

27 Apfelsorten mit Geschmackszuordnung in einer Überblickstabelle.
27 Apfelsorten im Geschmacks-Überblick – ermittelt von Ökologisches Boden- seeobst, einer gemeinsamen Gmbh von Biobauern der Region Bodensee. Datenquelle: Genusssystem von Ökologisches Bodenseeobst GmbH. Bild: Biorama.

Qualitätssiegel Streuobstwiese:
Entwickelt vom Verein Wieseninitiative, garantiert, dass es sich bei Säften, Bränden und Mosten um Produkte handelt, die auch wirklich von biodiversen Streuobstwiesen stammen.
Denn auch die industrielle Obstvermarktung (die auf wenige Sorten sowie den Einsatz von Herbiziden und Insektiziden setzt) hat das positive Image der Streuobstwiese für sich entdeckt.
streuobstwiesn.at

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