Ein Telefon fürs Gewissen

Digitales Leben hinterlässt ökologische Spuren – doch den eigenen Techno-Konsum ressourcenschonend zu gestalten, ist nicht ganz einfach. Wie ich mir ein neues Handy zulegte und dabei viel lernte.

Es begann damit, dass der Ein-Aus-Knopf nicht mehr so recht wollte. Immer, wenn ich mein Mobiltelefon stillegte, ging bald ein heftiges Drücken und ein Ratespiel los, ob und wann die beiden pixeligen Hände auf dem Display wohl wieder zum Nokia-Gruß zusammenfinden würden.

Doch was hatte ich erwartet? Ich hatte mein Gerät gefühlte drei Jahre benutzt, obwohl es tatsächlich nur eineinhalb waren, denn ich hatte das Gerät nicht gerade geschont. Als jemand, der seit Jahren mit Postwurfsendungen von Elektromarktketten überhäuft wird, hatte ich eine Reparatur eines solchen Dings in eine Zone jenseits des Denkmöglichen verschoben. Selbst wenn das zerkratzte Telefon in der Werkstatt angenommen würde, käme die gewiss teurer als ein neues, durch das Bonuspunkte-System des Netzanbieters preisgestütztes Gerät.

Dennoch stolperte ich über mein Öko-Gewissen. Hatte ich nicht gelesen, dass durch den skrupellosen Abbau von Rohstoffen wie Coltan, einem wichtigen Bestandteil aller Handys, ganze Landstriche im Kongo verwüstet werden? War nicht eben erst der Skandal um die chinesischen Foxconn-Werke durch die Medien gegangen, wo die schlechten Arbeitsbedingungen Leute, die scheinbar so makellose Dinge wie iPhones herstellen, in den Selbstmord trieben?

Die Suche nach dem umweltfreundlichsten, sozial verträglichsten Gerät, das mit dem ökologischen Footprint eines Katzenbabys dahinschlich, sollte in den folgenden Wochen dennoch scheitern. Denn nirgendwo schrie mir ein Gerät „Ich bin nachhaltig!“ entgegen.

So genannte Öko-Handys tauchten in den vergangenen Jahren zwar auf: Samsungs „Blue Earth“, 2009 vorgestellt, schmückte sich mit einem Solarzellen-Panel zur Stromgewinnung und mit Plastikteilen aus recycelten Wasserflaschen. Motorola legte ein ebenfalls teilweise aus recycelten Flaschen gefertigtes, öko-freundliches Telefon vor, dessen Klima-Impact außerdem durch Investitionen der Firma in erneuerbare Energien ausgeglichen werden sollte. Die Geräte sind derzeit aber nur in Restbeständen zu haben. Als Verkaufsargument tauge das Öko-Image bei der breiten Masse nur bedingt, erklärte mir Samsung-Sprecherin Petra Gregorowitsch. „Wir versuchen stattdessen, alle Handys so umweltfreundlich wie möglich zu machen“.

Tatsächlich strengen sich manche Elektronikkonzerne heute ernsthaft an, ihre gesamte Produktion „grüner“ zu machen – auch wenn nicht nur der gute Wille dafür verantwortlich ist: Ein immer enger werdendes Netz an Richtlinien, die bei Nichteinhaltung wirtschaftliche Nachteile zur Folge haben können, lässt Umweltkriterien für die Konzerne sinnvoll erscheinen. So trat etwa 2006 die EU-weite Richtlinie zum Verbot gefährlicher Substanzen in Elektrogeräten (kurz ROHS) in Kraft. Blei, Quecksilber, Cadmium, Chrom6+ und zwei bromhaltige Flammhemmer dürfen demnach in keinen neuen Elektrogeräten im EU-Raum mehr vorkommen.

Die so genannte „Ecodesign“-Richtlinie, 2005 erlassen und 2009 erweitert, steckt den Rahmen für die Hersteller weiter ab: Die Richtlinie beauftragt die Hersteller, die Lebenszyklen ihrer Produkte auf die „Minimierung der Umweltauswirkungen des Produkts“ abzuklopfen. Die konkreten Anwendungen der Richtlinie werden von Konsortien beschlossen – bisher wurden auf dieser Basis etwa Vorgaben zum Standby-Verbrauch entwickelt. Neue Geräte wie PCs oder Fernseher dürfen demnach seit 2010 im Standby- oder „Off“-Modus nicht mehr als 1 Watt, ab 2013 nicht mehr als 0,5 Watt verbrauchen, wenn sie die „CE“-Kennzeichnung und damit die Marktzulassung in der EU erreichen wollen.

„Die Ecodesign-Richtlinie ist die erste Umweltrichtlinie, die einen vom Markt schmeißen kann“, sagt Wolfgang Wimmer, Professor an der TU Wien und mit seiner „Ecodesign Company GmbH“ als Berater für Firmen in Europa, Korea und den USA tätig. Allein beim Standby lassen sich laut EU-Angaben jährlich 35 Terawatt Stunden einsparen – „die jährliche Stromproduktion von sieben Atomkraftwerken“, wie Wimmer erklärt.

Bei der Suche nach dem Handy, das ich nun langsam dringend brauchte, halfen mir die EU-Richtlinien trotzdem wenig weiter: Konkrete Ecodesign-Vorgaben wurden zwar für Waschmaschinen, Fernseher und 10 andere Kategorien, nicht aber für Mobiltelefone ausgearbeitet. Öko-Labels wie das EU-Ecolabel oder der „Blaue Engel“ erfassen Unterhaltungselektronik und vor allem Handys derzeit kaum: Bei der Ausarbeitung der Kriterien für den „Blauen Engel“ für Handys anno 2002 hatten die Initiatoren weniger den ökologischen Fußabdruck als die elektromagnetische Strahlenbelastung der Geräte im Sinn, worauf Handyhersteller das Label ignorierten.

Als harte Währung können allerdings die so genannten „Environmental Product Declarations“ gelten, die nach dem ISO-Standard 14025 international vergleichbare Umweltinfos auf Basis produktspezifischer Regeln anbieten. Eine solche EPD, wie sie kürzlich z.B. der Hersteller HTC für das „HD-Mini“-Smartphone vorlegte, listet u.a. den Energieverbrauch während der gesamten erwartbaren Nutzungsdauer, gibt genaue Infos zur Materialzusammensetzung, zum Transportaufwand bei der Distribution und zur Entsorgung, ermittelt auf Basis einer von unabhängigen Dritten überprüften Lebenszyklus-Analyse.

„Im B2B-Bereich sind solche EPDs schon zur Anforderung geworden“, erklärt Ecodesign-Experte Wimmer. So genannte „Eco-Declarations“, die Handy-Hersteller Nokia mittlerweile für jedes seiner Produkte zum Download anbietet, zeugen ebenfalls von einer Bewusstseinsbildung, wenn sie auch bei weitem nicht so detailliert ausfallen wie eine genormte EPD. Samsung legt mit „Product Eco-Declarations“ nach, und auch Apple, lange der Buhmann der Öko-NGOs, liefert heute „Environmental Status Reports“ zu seinen Produkten mit.

„Aus ökologischer Sicht hat sich Apple sehr verbessert“, erklärt Greenpeace-Sprecherin Claudia Sprinz, die seit 2006 an der „Green Electronics“-Kampagne der NGO mitarbeitet. Jedes Jahr erstellt die Organisation Rankings, die sowohl Firmen als auch einzelne Produkte einstuft; Minuspunkte gibt es für die fortgesetzte Verwendung giftiger Chemikalien, mangelnde Verwendung recycelter Rohstoffe oder lasche Energiespar-Politik. Arbeitsbedingungen werden nicht erfasst – die NGO Südwind, Initiatorin der „Clean IT„-Kampagne, weiß weiter von Arbeitsrechtverletzungen bei den Zulieferern der großen Firmen zu berichten.

Der Ein-Aus-Knopf meines Mobiltelefons hatte allerdings bereits seinen Dienst quittiert, als sich die EPDs, Labels und NGO-Rankings langsam zu einem brauchbaren Einkaufsleitfaden zu verspinnen begannen. Ein neues Gerät musste also her – auch wegen der Lust, einmal so ein neues, smartes Ding zu besitzen, das jetzt alle hatten. Dass Hersteller ein künstliches Ablaufdatum in ihre Geräte einbauen, ist bei manchen Produkten gut belegt, bei anderen umstritten – jenseits dieser so genannten „geplanten Obsoleszenz“ ist aber die „psychische Obsoleszenz“ nicht wegzudiskutieren. Der Wunsch nach neuen Gadgets untergräbt die noch so gut gemeinten Öko-Ambitionen der Hersteller.

Mut zum alten Gerät

„Der korrekte Öko-Konsument sollte Mut zum alten Gerät haben“, sagt Gerhard Vogel, Vorstand des Instituts für Technologie und nachhaltige Produktentwicklung an der Wiener Wirtschaftsuniversität. „Er müsste auch Mut haben, das Gerät reparieren zu lassen, auch wenn der Mechaniker sagt, das zahlt sich nicht aus.“ Zwar würden neue Handys oder Kameras allein durch ihre Kleinheit weniger Problemstoffe auf die Waage bringen, sagt Vogel – der zunehmende „Verbrauch“ von Geräten mache diesen Vorteil aber wieder zunichte.

Elektroschrott ist der am stärksten wachsende Müllstrom der EU – Berechnungen der EU-Kommission zufolge soll er von 8,3-9,1 Millionen Tonnen im Jahr 2005 auf 12,3 Millionen Tonnen bis zum Jahr 2020 anwachsen. Die seit 2002 von der EU geforderte getrennte Sammlung funktioniert nicht zufriedenstellend: Nur 33 Prozent des Elektromülls werden als getrennt gesammelt gemeldet. Der Großteil des Schrotts „könnte entweder in der EU ohne die gebotene Sorgfalt in Bezug auf die Umwelt behandelt oder illegal in Entwicklungsländer verbracht werden“, heißt es in einem Papier zur Überarbeitung der EU-Entsorgungsrichtlinie (WEEE).

„Wenn Hersteller und Einzelhändler Geräte zurücknehmen, kann man ziemlich sicher sein“, sagt Reinhard Fiedler, Sprecher der Stadtreinigung Hamburg, einem Vorreiter in Sachen korrekter Entsorgung in Deutschland. „Wenn man die Geräte bei einem zertifizierten und streng überwachten Entsorgungsunternehmen abgibt, kann man ganz sicher sein. Absolute Vorsicht gilt bei sämtlichen E-Schrottsammlungen oder besonders bei den ,netten Männern‘, die vor den Eingängen der Recyclinghöfe lauern, um anliefernden Kunden ihre Altgeräte abzuschwatzen.“

„Recycling“ ist auch ein gutes Geschäft, und Handys sind ein besonders wertvoller Rohstoff. Die österreichische Firma „Mobile Collect“ nutzt wohltätige Organisationen wie die Diakonie, die Jane Goodall Foundation oder die Kinderfreunde, um an ihn heranzukommen. Die NGOs führen Sammelaktionen aus, für die abgegebenen Geräte zahlt „Mobile Collect“ Spenden. Noch funktionierende Geräte werden – laut Homepage „durch externe Firmen im EU-Wirtschaftsraum“ – wieder flott gemacht. Dann werden sie in alle Welt verkauft, bestätigt Bernd Kopacek, mit seiner ISL Group ein Hauptabnehmer der Aktionen. Für Kopacek, laut dem eine Tonne Althandys 6-7000 Euro Erlös bringt, ist der Export quer durch die Welt nicht verwerflich: „Wir sind hier ja nicht im E-Schrott, sondern im Altgerätebereich tätig.“ Sowohl Hersteller wie Nokia als auch NGOs wie Greenpeace stehen dem so genannten „refurbishing“ aber negativ gegenüber, weil die reparierten Handys oft in Ländern landen, wo es keine Recycling-Infrastruktur gibt – die Ressourcen, die vorgeblich bewahrt werden, landen nach kurzer Zeit erst recht auf der Müllkippe.

Recht auf Reparaturanleitung

Ich selbst hatte mein altes, zerkratztes Telefon schon zum Händler zurückgebracht, als meine Schwiegermutter mir ihr für den Eigenbedarf repariertes Gerät zeigte: Um 45 Euro hatte sie das gebrochene Display ihres Telefons im Handy-Shop ums Eck tauschen lassen – in der Null-Euro-Vertragshandy-Mentalität ist das unrentabel, im Hinblick auf Ressourcen durchaus sinnvoll. Mit etwas Werkzeug, einer ruhigen Hand und dem Willen, sich Infos und Ersatzteile übers Netz zu besorgen, gehe es auch billiger, erklärte mir Markus Weiher. Der Bayer ist Mitglied einer internationalen Community, die sich über die Plattform ifixit.com austauscht: Hier sind Reparaturanleitungen für alle erdenklichen Geräte bis hin zum Iphone 4S zu bekommen, auch ein Manifest hat die Community entworfen: „Wir haben das Recht, unsere Geräte zu öffnen/ auf Fehlercodes und Schaltpläne/ auf eine Reparaturanleitung für alles“, heißt es da. Auch Normalos können Teil der so genannten „Repair Revolution“ sein, erklärt Weiher emphatisch: „95 Prozent der Community sind Nicht-Techniker“.

Jenseits aller Fähigkeiten zum Löten und Schrauben ist aber eine Lebensstil-Frage, ob man glaubt, das digitale Zeitalter nur mit den neuesten Geräten überleben zu können oder sich bewusst mit älteren Geräten umgibt. Analog zum Retro-Kult um alte Computer wäre es durchaus vorstellbar, dass es in absehbarer Zeit schick wird, sich mit „Vintage“-iPods, iPhones oder einem gepimpten Tablet-PC zu zeigen. Das Handy, das ich mir nun zugelegt habe, gebe ich jedenfalls so bald nicht wieder her.

Infos & Links

Info-Seite der Greenpeace-Aktion „Greener Electronics

Ranking energieeffizienter Produkte in zahlreichen Kategorien

Infoplattform und Verzeichnis internationaler „Environmental Product Declarations“ (EPDs)

Nachhaltigkeits-Zertifizierung für Computer, Monitore, Tablets, Projektoren (mit Verzeichnis)

Blauer Engel: Plattform und Datenbank des ältesten deutschen Ökolabels

Europäisches Ökolabel, Plattform mit Produktkategorien-Verzeichnis

ifixit.at: Reparatur-Community, bietet genaue Anleitungen und Hilfestellungen zur Reparatur elektronischer Geräte

TEXT: Michael Huber

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