Lebendiger Winkel
Künstliche Eingriffe in den Wasserhaushalt des Neusiedler Sees werden politisch diskutiert. Kaum jemals geht es dabei um Grundwasserschutz.
Die Absichtserklärungen zu künstlichen Eingriffen in den Wasserhaushalt des flächenmäßig größten Sees Österreichs werden konkreter und die Diskussionen dazu lauter. Die Prognosen für dessen – vorübergehende – Austrocknung sind nicht mehr neu, doch es könnte schneller gehen als gedacht. Der derzeit historisch niedrige Wasserspiegel heizt die Debatten um den Bau von Zuleitungen umgebender Flüsse und Flussarme wieder an. Und doch ist der Wasserspiegel nur der sichtbare Teil weit größerer Entwicklungen. Alois Lang vom Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel kämpft für einen weit- und umsichtigeren Blick auf die Region.
BIORAMA:Der Neusiedler See und seine Lacken stammen aus der Eiszeit und speisen sich vor allem aus Regenwasser. Welche Zeiträume sind denn für die Austrocknung nun natürlich?
ALOIS LANG: Sehr weit will sich hier noch keineR der ExpertInnen aus dem Fenster lehnen und sagen: Dieses Detail ist nicht mehr »normal« im Sinne der periodischen Austrocknung und Wiederbefüllung.
Die Lacken trocknen zwischen jedem Jahr und alle drei bis vier Jahre aus. Der See trocknet etwa alle 100 Jahre ohne menschliches Zutun für die Dauer von 1–5 Jahren aus. Die letzte Austrocknung liegt schon über 100 Jahre zurück. Dass wir nicht mehr so wie früher auch Hochwasserstände haben werden, liegt nicht am Klimawandel, sondern am sogenannten Einserkanal, der zur Vermeidung von Überflutungen angelegt wurde. Wenn wir jetzt eine Austrocknung erleben, ist das unabhängig von Klimawandelfolgen an sich völlig normal.
Muss der Klimawandel hier für Probleme herhalten, für die er gar nicht verantwortlich ist?
Im Naturraum Neusiedler See herrscht ein natürlicher Zyklus zwischen extrem trocken und extrem nass. Gleichzeitig hat auch der menschenversursachte Klimawandel Einfluss auf diesen Zyklus.
Übrigens sagen die 2016 erstellten Klimaszenarien für den Seewinkel alle – egal ob pessimistisch oder optimistisch – höhere Niederschlagsmengen für die Region voraus.
Für die nähere Zukunft?
Ja. Noch für dieses Jahrhundert. Und da würde man vielleicht meinen: Mehr Regen heißt auch, dass die Lacken langsamer austrocknen. Aber das stimmt eben nicht. Weil es nicht so sehr davon abhängt, wie viel es regnet, sondern wann im Jahr.
Wie sieht die Zukunft der Lacken und des Sees derzeit aus?
Niemand kann das genau vorhersagen, aber vor dem Hintergrund des Klimawandels sieht es nicht gut aus. In bestimmten Bereichen sind konkrete Überlegungen und Maßnahmen gefordert, aber medial wird eine nicht nur sachliche Diskussion geführt, und die nur über den Wasserstand des Neusiedler Sees, weil dieser Wasserstand sichtbar ist. Wohingegen der Grundwasserspiegel nicht sichtbar ist.
Die Lacken können sich über Regenwasser zwar schnell wieder mit Wasser füllen, brauchen aber die Verbindung zwischen dem Grundwasserspiegel und dem salzführenden Horizont im Lackenboden. Wenn sie über längere Zeit unterbrochen wird, dann ändert sich der Chemismus und damit die Artenausstattung – und die Lacken sterben einen schleichenden Tod. Die Lacken sind einzigartig in Festlandeuropa und somit – nicht nur aus Naturschutzperspektive – besonders wertvoll.
Wobei man dazusagen muss, dass auch der Neusiedler See einen bestimmten Salzgehalt hat und durch Zuleitung von kalkhaltigem Wasser seine natürliche Trübe verlieren würde.
Es gibt Befürchtungen, dass dadurch letztlich auch die Verschlammung des Sees und somit dessen Verlandung beschleunigt werden könnte?
Wasserzuleitungen müssten jedenfalls sehr verantwortungsvoll angegangen werden. Die wichtigste Forderung in diesem Zusammenhang ist – wenn eine Fremdwasserzufuhr des Neusiedler Sees möglich und finanzierbar ist –, dass die natürliche Schwankung des Wasserspiegels des Sees trotzdem erhalten bleibt.
Die Diskussion um den Wasserstand des Sees wird von bestimmten Interessensgruppen aufgebauscht. Das ist natürlich ein wichtiges Thema für segelaffine PensionistInnen. Die ÖsterreicherInnen sehen den See eher als Freizeitgewässer – internationale NaturtouristInnen sehen ein Steppengewässer, das periodisch austrocknet. Insofern erleben wir in der politischen Debatte leider ein Ignorieren des Charakters einen Steppensees, den manche zu einer Badewanne mit regulierbarem Wasserinhalt degradieren wollen.
Ist die Landwirtschaft das Problem für das knapper werdende Grundwasser oder ist sie ein Problem neben dem Verbrauch von Industrie und Haushalten?
Wir haben keine Industrie. Und die private Nutzung ist unerheblich, weil sie nicht durch das Grundwasser gedeckt wird. Selbst wenn es hier in Illmitz in jedem Haus einen Swimmingpool gäbe, hätte das keinen Einfluss, weil das Wasser aus einer ganz anderen Region stammt. Der Wasserbedarf der Haushalte schlägt sich nicht auf den Grundwasserspiegel nieder – außer jemand bohrt mit einem Brunnen den ersten Grundwasserhorizont an.
Wie verläuft der Konflikt zwischen Landwirtschaft und Naturschutz im und um den Nationalpark?
Ein Konflikt zwischen Landwirtschaft und Naturschutz wird mit einer Kollision von Interessen auf ein und derselben Fläche assoziiert. Das Problem ist aber, dass die Bodennutzung und Wasserentnahme nicht im Nationalpark stattfindet, dort aber zunehmend zum Problem wird. Im konkreten Fall ist es die Grundwasserentnahme außerhalb des Schutzgebietes, die dann auch innerhalb des Nationalparks, also auch unter den Lacken, zu einem Sinken des Grundwasserspiegels führt. Dafür hat das Naturschutzgesetz keinen Hebel.
Das heißt, Nationalparks wollen wenig überraschend Schutzgesetze, die es ermöglichen, auf Probleme in einem größeren Radius rund um die Parks zu reagieren?
Ja. Wir müssen großflächig, also über die Grenzen des Nationalparks hinaus, das Grundwasser vor einer Übernutzung schützen. Mit einem »normalen Naturschutzgesetz« ist das nicht möglich, das bezieht sich immer auf eine Fläche und darauf, was auf dieser Fläche zulässig ist.
Wie schaffen Sie das?
Die Akzeptanz von Naturschutzmaßnahmen steigt direkt proportional zur Entfernung zum Gebiet. Das ist brutal. Ein Großteil unserer Gesellschaft tickt so. Wir beide sind uns bestimmt sofort einig, dass wir für den Schutz des Sibirischen Tigers sind. Dass dieser Schutz in dessen Lebensraum Einschnitte für die Bevölkerung bedeutet, ist uns egal.
Aber »not in my backyard«!
Ja, wir müssen zu »Please in my backyard« kommen. Um 5 Euro Onlinespende können Sie ein Tier retten! Aber wenn ich in meiner Umgebung auf einer Wiese mit meinen Enkeln nicht spielen dürfen soll: Das schau ich mir an! Das lass ich mir nicht bieten!
Aber der mit dem Nationalpark verbundene Tourismus sorgt für einen anderen Blickwinkel. Unser Nationalpark liegt nicht auf staatlicher Fläche, die nur dem Naturschutz gewidmet ist, sondern wir haben hier schon seit jeher einen Mix aus touristischer und landwirtschaftlicher Nutzung sowie Naturschutz. Die Birdwatcher kamen schon, als sie noch gar nicht so hießen. Und die Flächen des Nationalparks gehören auf österreichischer Seite mehr als 1200 EigentümerInnen.
Zum Beispiel der Familie einer Bäuerin, sie bekommt eine kleine Förderung für Ökolandbau außerhalb des Nationalparks, die Familie betreibt eine kleine Pension im Haus. Ihre Gäste interessieren sich vor allem für die Natur der Region. Gleichzeitig besitzt die Familie zwei kleine Grundstücke, die auf Nationalparkgelände liegen und somit außer Nutzung gestellt sind, wofür jährlich eine Entschädigung bezahlt wird. Solche Strukturen sind sehr hilfreich gegen Lagerdenken wie »Ich bin TourismusanbieterIn, mir ist es egal, wie es der Landwirtschaft geht« oder umgekehrt.