Dunkle Cloud am Klimahimmel
Die Nutzung von Internetdiensten verbraucht immer mehr Energie und verursacht damit einen erheblichen CO2-Ausstoß, Tendenz steigend.
Vor rund 15 Jahren hatte ich das erste Mal Zugang zu einem Breitbandanschluss. Ich war zwölf Jahre alt, meine Familie teilte sich das damals als »aonSpeed« beworbene Paket um 19,90 Euro, zur Verfügung standen 400 Megabyte bei einer Downloadgeschwindigkeit von bis zu 256 kbit/s. Dies ist keine Geschichte über Armut oder Digital Divide, dies ist eine Geschichte über die rasante Entwicklung des Internets – und über die Folgen. Für die Onlinerecherche zu diesem Artikel wäre ich mit dem damaligen Downloadvolumen pro Monat bei Weitem nicht ausgekommen. Das liegt nicht nur an meinem Nutzungsverhalten, sondern auch daran, dass Websites heute weit aufwendiger gestaltet sind und alleine der Aufruf einer Seite vielfach datenintensiver ist als früher. Aufwendige Bannerwerbung, diverse Tracking-Tools im Hintergrund und multimediale Inhalte führen zu einem weit größeren Datenaufkommen. Laut dem Browser-Add-on »Carbonylizer« des französischen Thinktanks »The Shift Project« habe ich bei meiner Recherche allein durch Google-Suchen und das Aufrufen von Artikeln mehr als zehn Gigabyte verbraucht. Das Tool misst allerdings nicht nur den Datenverbrauch, sondern auch den Energieverbrauch und die damit einhergehenden Treibhausgasemissionen. Meine Onlinerecherche entspricht 2,8 Kilowattstunden und damit 167 aufgeladenen Handys oder rund 1,4 Kilogramm CO2 an Emissionen.
»Effizienz und Materialeinsparung sind Faktoren, die Nachhaltigkeit mit sich bringen, aber empirisch findet das nicht statt.«
– Felix Sühlmann-Faul
Immer schneller, immer mehr
Der Stromverbrauch von Internetanwendungen ist enorm und steigt exponentiell an. Der Mathematiker Cédric Villani rechnet in einem Strategiepapier für die französische Regierung mit einem Anstieg des Energieverbrauchs um 20 bis 50 Prozent bis 2030. Damit könnte sich der Energieverbrauch von Internetanwendungen innerhalb von 20 Jahren verzehnfachen. Dazu kommt, dass digitale Hardware eine große Menge an schwer abbaubaren und kritischen Rohstoffen benötigt, die nur schwer recyclebar und begrenzt verfügbar sind. Dennoch wird in der allgemeinen Wahrnehmung oft automatisch davon ausgegangen, Digitalisierung sei nachhaltig. Als Beispiel wird dabei oft Dematerialisierung, etwa das Einsparen von Papier, oder aber Effizienzsteigerung, also Einsparung von Zeit, genannt. »Es wird häufig davon ausgegangen, dass Digitalisierung automatisch Nachhaltigkeit mit sich bringt, aber empirisch findet das nicht statt«, erklärt Felix Sühlmann-Faul, Experte für nachhaltige Digitalisierung. Der Grund: Digitalisierung macht viele Prozesse zwar schneller und nachhaltiger, das so gewonnene Plus an Nachhaltigkeit wird allerdings durch vermehrte Nutzung beziehungsweise vermehrten Konsum wieder aufgehoben. »Digitalisierung selbst ist eines der besten Beispiele dafür, dass Effizienzsteigerung ganz schlecht funktioniert. Die Digitalisierung basiert ja im Endeffekt auf der exponentiellen Entwicklung von Computerpower. Unsere Ansprüche und Bedürfnisse passen sich aber im Grunde immer daran an, was gerade möglich ist«, sagt Sühlmann-Faul weiter. Während vor 15 Jahren ein ganzer Haushalt mit einem Downloadvolumen von 400 Megabyte auskam, ist es heute ganz selbstverständlich, einen Smartphone-Tarif mit einem 20 oder sogar 50 Mal höheren Volumen zu besitzen.
Katzenvideos sind nicht nur süß
Einen besonders großen Faktor in Bezug auf Daten- und Energieverbrauch spielt Videostreaming. »The Shift Project« hat berechnet, dass Onlinevideos 60 Prozent des gesamten Onlinedatenverbrauchs ausmachen. Die Dimensionen sind dabei kaum vorstellbar: Die tägliche Wiedergabezeit von Videos auf Youtube liegt laut Betreibern bei rund einer Milliarde Stunden, das wiederum entspricht 114.155 Jahren an Videomaterial, das jeden Tag auf Youtube konsumiert wird. Pro Minute werden zudem 500 Stunden an neuem Material hochgeladen. Das Problem liegt allerdings nicht nur in der Quantität, sondern auch in der Qualität. Videodateien sind um ein Vielfaches größer als Textdateien, zehn Stunden Videomaterial mit hoher Auflösung haben eine höhere Dateigröße als der gesamte Inhalt der englischsprachigen Wikipedia im Textformat.
Im Jahr 2018 kam es durch das Streamen von Onlinevideos zu Emissionen von mehr als 300 Millionen Tonnen CO2, davon entfallen 21 Prozent auf Plattformen mit User-generated-Inhalt wie Youtube und 34 Prozent auf Video-on-Demand-Dienste wie Netflix oder Amazon Prime. Auf Plattformen wie Netflix wird eine große Anzahl an Videos – in Österreich aktuell 2600 Filme und 1000 Serien – 24 Stunden am Tag zu einem verhältnismäßig geringen Beitrag angeboten. Das breite und flexibel nutzbare Angebot führt auch zu einer höheren Nachfrage und weniger Reflexion. »Ein Abo-Angebot funktioniert wie ein All-you-can-eat-Buffet, wo man mit einem relativ geringen Betrag Zugang zu einer großen Menge an Konsum hat. Solche Strukturen führen grundsätzlich immer zu Überkonsum«, so Sühlmann-Faul. Den Konsum solcher Angebote im Sinne der Nachhaltigkeit zu verteufeln, hält der Experte allerdings für falsch. Es geht nicht um die Nutzung von einzelnen Angeboten, sondern um die Gesamtbilanz. Setzt ein Unternehmen beispielsweise auf Videokonferenzen und spart dadurch Flüge der Konferenzmitglieder ein, ist das durchaus positiv. Entscheidend ist letztendlich, ob tatsächlich eine Einsparung erfolgt.
Von der elektrischen Fee zur schwerelosen Wolke
In der medialen Debatte zum Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz spielt Digitalisierung eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Während darüber diskutiert wird, ob Flüge in Urlaubsdestinationen zu rechtfertigen sind, bleibt unser Internetkonsum von Aufrufen zum Verzicht weitgehend verschont. Das liegt nicht zuletzt daran, dass technische Neuerungen im Allgemeinen und Digitalisierung im Speziellen für die meisten Menschen nur schwer fassbar sind. Wir können uns vorstellen, wie bei der Verbrennung von fossilen Brennstoffen im Auto oder im Flugzeug CO2 entsteht, die Cloud, die schier Unmengen an Daten fasst, klingt dagegen leicht, fluffig und rein.
»Technologie wird häufig als etwas Reines betrachtet.«
– Felix Sühlmann-Faul
Dass der Mensch neue Technologien über-idealisiert und verbildlicht, ist nicht neu. Was heute die Cloud ist, war zum Zeitpunkt der Elektrifizierung »die elektrische Fee«. Als Verbildlichung der damals neuen, nicht greifbaren modernen Technologie verwandelte die anmutige gute Fee mühelos alles, was sie durchdringt. »Technologie wird häufig als etwas Reines betrachtet. Die Elektrizität wurde ebenso als reine, saubere, transzendente und unsichtbare Energieform dargestellt und deswegen hat man damals die Fee erschaffen«, erklärt Felix Sühlmann-Faul.
Smartphone reparieren statt neu kaufen
Hinter der heutigen Cloud steckt wenig, was mit Sauberkeit assoziiert werden kann. Die Hardware, die in den Datenzentren steht, macht neben dem Energieaufwand für die Kühlung einen Großteil der Gesamtemissionen aus. Für die Herstellung müssen Konfliktrohstoffe abgebaut und transportiert werden. In diesem Bereich gibt es teilweise irrwitzige Wechselzyklen. Um die Lauffähigkeit zu gewährleisten, wird die Hardware unheimlich früh ausgetauscht – das erzeugt wiederum jede Menge Elektroschrott. Über den Abbau von kritischen Rohstoffen, die sowohl für Hardware in Serverfarmen als auch für Consumer-Hardware wie Smartphones und Computer benötigt werden, wird weitestgehend geschwiegen. Die immer größere Nachfrage nach technischen Produkten in den Industrieländern fordert immer mehr Rohstoffe, die sehr häufig aufgrund ihres erhöhten Vorkommens im globalen Süden abgebaut werden. Der Abbau von Coltan im Kongo führt beispielsweise zu Trinkwasser- und Luftverschmutzung und verseuchten Böden. Bäuerinnen und Bauern vor Ort wird damit die Lebensgrundlage entzogen. Während auf AnbieterInnenseite Fairphone etwa eine vergleichsweise nachhaltige Lösung anbietet, sind in diesem Fall auch die KonsumentInnen und die Politik gefragt, so Sühlmann-Faul. Ein seltenerer Wechsel von einem Gerät auf das nächste sei beispielsweise eine gute Möglichkeit, nachhaltiger zu agieren. Auf politischer Ebene könnten Richtlinien hinsichtlich der Reparaturfähigkeit, eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Reparaturen und gebrauchte Geräte sowie die Verpflichtung von Unternehmen zur fairen Abgeltung der durch Rohstoffabbau verursachten Schäden helfen.
Felix Sühlmann-Faul ist Techniksoziologe mit Spezialisierung auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit, Autor des Buches »Der blinde Fleck der Digitalisierung« sowie Berater des Deutschen Nachhaltigkeitspreises für den Sonderpreis Digitalisierung.