Fairtrade – it’s complicated

Mit steigenden Umsätzen und immer mehr unterschiedlichen Siegeln wird nicht nur Fairtrade selbst, sondern auch seine Beziehung zum Welthandel immer komplizierter. Wie alternativ ist der alternative Handel noch?

Credit: CC BY 2.0. Bild: Fair Trade Laos/Flickr.

1. Welche Produkte gibt es Fairtrade-zertifiziert? 

Den größten Anteil am Fairtrade-Umsatz haben nach wie vor Rohstoffe: Bananen, Kaffee, Kakao, Zucker, Tee, Blumen und Baumwolle sind die am häufigsten gehandelten Produkte. Gesamt gibt es aber mehr als 30.000 unterschiedliche Fairtrade-Produkte in unterschiedlichsten Kategorien, die in mehr als 150 Ländern erhältlich sind. Die größten Märkte sind Großbritannien, Deutschland und die USA.

Fairtrade-zertifizierbare Produkte: Baumwollprodukte, Blumen und Pflanzen, Früchte, Reis, Getreide, Gemüse, Getränke, Gewürze, Öle, Konserven, Gold, Honig, Aufstriche, Kaffee, Hülsenfrüchte, Sportbälle, Süßwaren, Kakao, Tee, Nüsse und Zucker.

2. Was bekommen Fairtrade-Bäuerinnen und -Bauern für ihre Produkte? 

Die Weltmarktpreise für Rohstoffe werden auf den Märkten ausgehandelt und nicht von ihren HerstellerInnen bestimmt. Sie sind großen Schwankungen unterworfen und häufig so niedrig, dass sie nicht einmal die dringendsten Bedürfnisse decken. Für vier Kilo Kaffee konnte ein Kaffeebauer 1980 ein Schweizer Taschenmesser kaufen, 2002 waren es zehn Kilo. Fairtrade garantiert darum einen Mindestpreis. Da aber oft AbnehmerInnen fehlen, können Bäuerinnen und Bauern nur einen Teil ihrer Erzeugnisse im Fairtrade-System verkaufen. Der Rest landet im konventionellen Handel. Wie hoch dieser Anteil ist, ist recht unterschiedlich. Bei Kaffee liegt er typischerweise bei weniger als einem Drittel. Positive Effekte des alternativen Handelssystems lassen sich aber vor allem bei einem Absatz von mindestens 30 Prozent an Fairtrade festmachen. Darum wird versucht, neue Absatzmärkte für die Kooperativen zu erschließen. Zusätzlich zum Mindestpreis erhalten die Bäuerinnen und Bauern auch eine Prämie in der Höhe von 20 US-Cent pro Pfund. Im Jahr 2017 waren das gesamt 178 Millionen Euro. Ein Viertel davon muss in Effizienzsteigerungen und Qualitätsverbesserungen investiert werden. Die verbleibenden drei Viertel fließen in soziale Projekte (etwa zur Verbesserung lokaler Infrastruktur, Weiterbildung, Schulen oder Gesundheit), über die die Kooperativen frei entscheiden.

ProduzentInnen-Organisationen erhielten 2017 für die sieben meistgehandelten Produkte rund 178 Millionen Euro an Prämien zusätzlich zum Einkommen aus dem Handel mit Fairtrade. Der Großteil ging dabei an KaffeeproduzentInnen.

3. Was tut Fairtrade sonst noch für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern?

Zudem unterstützt Fairtrade die Bäuerinnen und Bauern durch langfristige Liefer- und Abnahmeverträge, die Bereitstellung von Agrarkrediten, Beratung und die teilweise Vorfinanzierung der Ernten. Damit werden die in Kooperativen organisierten Kleinbäuerinnen und Kleinbauern aus der Abhängigkeit von lokalen ZwischenhändlerInnen und WeiterverarbeiterInnen befreit.

4. Wie funktioniert Fairtrade?

Um an Fairtrade teilnehmen zu können, müssen sich Kooperativen von der Schwesterorganisation FLOCERT (Fairtrade Labelling Organization) zertifizieren lassen. Die Kosten dafür tragen die Kooperativen. Diese überwacht die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards. Das sind einerseits Umweltkriterien wie der Schutz von Wasser und Artenvielfalt, das Verbot von Gentechnik und der Verzicht auf den Einsatz spezifischer Umweltgifte. Die Kooperativen müssen demokratisch organisiert und frei von Diskriminierung sein. Plantagen müssen gewerkschaftliche Organisation fördern und geregelte Arbeitsbedingungen sicherstellen. Es gilt zudem ein Verbot ausbeuterischer Kinderarbeit.

Da Fairtrade nur mit Organisationen, nicht aber mit einzelnen Bäuerinnen und Bauern zusammenarbeitet, müssen sich diese zu Kooperativen zusammenschließen. Die Kooperativen sind es auch, die Verkaufsverträge mit ExporteurInnen abschließen. Allerdings exportieren manche Kooperativen bereits selbst.

Der Fairtrade-Gesamtumsatz betrug 2017 8,5 Milliarden Euro und wächst beständig. Einzelne nationale Märkte konnten sogar zweistellige Wachstumsraten verzeichnen.

Credit: CC BY-SA 2.0. Bild: Dennis Tang/Flickr.

5. Seit wann gibt es fairen Handel?

Fairer Handel begann in den 70er-Jahren als subversive Idee und Forderung nach gerechten Weltmarkstrukturen. Dabei stand, wie beim Nicaragua-Kaffee, die Solidarität mit nationalen Befreiungsbewegungen im Zentrum der Forderungen. Diesem Kirchengruppen- und Pfarrcafé-Dasein ist der faire Handel bereits seit Längerem entwachsen. Verantwortlich dafür ist auch die Entwicklung der Organisation Fairtrade selbst. Als Fairtrade International vereint die in Bonn ansässige Organisation seit 1997 nationale Organisationen unter einem Dach. 2004 teilt sich die Fairtrade in zwei unabhängige Organisationen: Fairtrade International setzt Standards und unterstützt ProduzentInnen, während FLOCERT ProduzentInnen und HändlerInnen überprüft und zertifiziert. In den folgenden Jahren kamen immer mehr nationale Fairtrade-Organisationen, ProduzentInnen und Produktgruppen hinzu.

Unter dem Label »Max Havelaar« begann 1988 der Verkauf von fair gehandeltem Kaffee aus Mexiko in den Niederlanden. Diese Initiative dehnte sich auf Märkte in Europa und Nordamerika aus – in Deutschland und Österreich unter dem Namen »Transfair«.

 6. Warum der Fokus auf Rohstoffe?

Der Großteil der Wertschöpfung eines Produkts entsteht in der Regel bei dessen Weiterverarbeitung. Die Veredelung der Fairtrade-Rohstoffe findet aber überwiegend in den Absatzmärkten statt. Häufig ist eine Produktion in den ErzeugerInnenländern nicht rentabel oder der Transport fertiger Waren ist zu aufwendig. Ein Hauptgrund ist aber auch der Protektionismus der Importländer: Während Zölle auf Rohstoffe oftmals gering sind, werden weiterverarbeitete Produkte deutlich höher besteuert. Vielen ProduzentInnen bleibt dann nichts anderes übrig, als Rohstoffe zu exportieren, wenn sie auf den Märkten des Nordens präsent sein wollen. Die Industriestaaten schützen ihre eigene Wirtschaft mit Importzöllen, gleichzeitig subventionieren sie eigene Agrarerzeugnisse. 

7. Wie fair sind die Arbeitsbedingungen bei Fairtrade?

Fairtrade folgt bei Arbeitsbedingungen den Vorgaben der International Labour Organization (ILO). Während man in Europa im Normalfall davon ausgehen kann, dass ArbeitgeberInnen diese Bestimmungen erfüllen, ist das in sich entwickelnden Ländern nicht zwangsläufig der Fall. Dabei gibt es nicht nur nationale, sondern auch regionale und lokale Unterschiede. Letztlich tritt Fairtrade in diesen Ländern als Garant für die Einhaltung der Standards auf. Wie erfolgreich die Organisation dabei ist, ist allerdings schwierig zu beurteilen. Wie einzelne Fälle zeigen, hält das Siegel nicht immer, was es verspricht. So befand die Stiftung Warentest, dass der Orangensaft »Fairglobe« von Lidl (Fairtrade-zertifiziert) unter Bedingungen hergestellt wurde, die man nicht als fair beschreiben könne. 

Wie Wissenschaftler der SOAS University of London anhand einer Studie über Betriebe in Uganda und Äthiopien zeigen, sind Arbeitsbedingungen in Fairtrade-Betrieben nicht zwangsweise besser als in herkömmlichen: Tatsächlich waren Löhne in betrachteten Fairtrade-Betrieben niedriger und Arbeitsbedingungen schlechter.

Fairtrade-Arbeitsbedingungen beinhalten: Recht auf die Bildung von Gewerkschaften und Führen von Tarifverhandlungen, geregelte Arbeitsbedingungen (Arbeitszeiten und Pausen, Lohnniveau und Überstunden, Versicherungsschutz, Unterbringung, Mutterschutz) und Gehälter, die mindestens dem regionalen Durchschnitt entsprechen.

Credit: CC BY-SA 2.0. Bild: Dennis Tang/Flickr.

8. Kann hinter Fairtrade-Produkten Kinderarbeit stecken? 

Es gilt ein generelles Verbot »ausbeuterischer Kinderarbeit«. Das heißt, Kinder unter 15 Jahren dürfen nicht angestellt werden. Kinder zwischen 15 und 18 Jahren nur dann, wenn das Arbeiten weder den Schulbesuch noch die psychische, soziale und physische Entwicklung eines Kindes gefährdet. Das Mithelfen in Familienbetrieben ist allerdings möglich, sofern die Arbeit altersgerecht ist und außerhalb der Schulzeiten erfolgt.

9. Warum arbeitet Fairtrade mit Konzernen und Plantagen zusammen?

Viele Kooperativen finden keine AbnehmerInnen für ihre fair hergestellten Waren. Fairtrade ist darum bemüht, den Absatzmarkt für fair gehandelte Produkte ständig zu vergrößern. Durch die Zusammenarbeit mit Großunternehmen und Konzernen, also jenen AkteurInnen, die maßgeblich die Spielregeln des globalen Handels bestimmen, sollen die Absatzmärkte für die ProduzentInnen wachsen. 

Neben neuen Siegeln (Zutaten- und Programm-Siegel) soll auch die umstrittene Zertifizierung von Plantagen zu mehr Wachstum beitragen. Diese stehen bei manchen Produkten in direkter Konkurrenz zu Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Fairtrade argumentiert diesen Schritt, das Siegel über Kleinbäuerinnen und -bauern hinaus zu öffnen, mit den Ansprüchen der AbnehmerInnen: Nur größere Produktionseinheiten (eben Plantagen) könnten größere Mengen an Früchten in gleichbleibender Qualität liefern. Zweitens sollen auch landlose ArbeiterInnen von Fairtrade profitieren können.

2016 waren rund 1,5 Millionen Kleinbauernfamilien und etwa 185.000 PlantagenarbeiterInnen für die knapp 1600 Fairtrade-ProduzentInnen-Organisationen in 75 Erzeugerländern tätig.

Credit: CC BY 2.0. Bild: asdcjasdcj/Flickr.

10. Sagt das Fairtrade-Siegel auch etwas über die Menschen aus, die die Rohstoffe verarbeiten?

Die Arbeitsbedingungen jener Menschen, die an Weiterverarbeitung und Verkauf beteiligt sind, werden im Siegel derzeit nicht berücksichtigt. Darauf wies etwa die Gewerkschaft Verdi hin: So verkauft der Diskonter Lidl zwar Fairtrade-Produkte, geriet aber gleichzeitig mit seiner Anti-Gewerkschafts-Politik in die Schlagzeilen – mit Fairtrade-Statuten wäre das unvereinbar.

11. Macht Fairtrade das Leben der Kleinbäuerinnen und -bauern wirklich besser? 

Ja. Aber unterschiedliche Aspekte des fairen Handels sind unterschiedlich wirksam. Wenig effektiv scheinen die Fairtrade-Mindestpreise zu sein. Das hat damit zu tun, dass die Fairtrade-Zertifizierung für Kleinbäuerinnen und -bauern besonders dann attraktiv ist, wenn die Weltmarktpreise besonders niedrig sind. Die Absatzmöglichkeiten für Fairtrade-Produkte sind aber beschränkt. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern können so nur einen Teil ihrer Ernte an Fairtrade verkaufen. In Krisenzeiten teilen sich mehr Bäuerinnen und Bauern diesen Absatzmarkt. Der Kuchen wird dadurch nicht größer, die Stücke, die die einzelnen HerstellerInnen erhalten, werden kleiner. Die Wirkung des Mindestpreises wird abgeschwächt.

Studien kommen zu dem Schluss, dass die Mindestpreise die HerstellerInnen in schlechten Zeiten zwar absichern, für die Einkommenssteigerungen seien aber andere Aspekte verantwortlich: Verbesserungen in Qualität und Ertrag, besserer Zugang zu Krediten, Finanzierung, Schulungen sowie technische Unterstützung, Marketingkanäle und längerfristige Handelsbeziehungen. Neben primär finanziellen Auswirkungen von Fairtrade fanden Studien auch andere positive Wirkungen: mehr Investitionen in Wohnen und Infrastruktur, weniger Armut, bessere Anbaumethoden, höhere Flächenerträge, geringere Schulabbrecherquote, bessere medizinische Versorgung und mehr Initiativen zum Schutz von Gewässern und Böden. Dahinter stehen oftmals prämienfinanzierte Projekte, von denen nicht nur zertifizierte Kleinbäuerinnen und -bauern, sondern alle Menschen einer Region profitieren. 

Für viele ForscherInnen ist die Anregung zur Selbstorganisation der Produzierenden ein zentrales Entwicklungsinstrument im Sinne eines »Empowerment« und der wertvollste Beitrag zu gerechteren Verhältnissen. Damit wird nicht nur die Marktmacht der Produzierenden gestärkt – es entstehen darüber hinaus neue Initiativen, Einkommens- und Absatzmöglichkeiten. 

Credit: CC BY 2.0. Bild: McKay Savage/Flickr.

12. Gibt es auch direkte Negativauswirkungen? 

Neben fair gehandelten Produkten verkaufen viele Unternehmen weiter auch jene aus herkömmlicher Produktion, können sich nun aber mit dem Fairtrade-Logo schmücken. Die Kritik an ungerechten Weltmarktstrukturen wird damit verwässert.

Fairtrade führt zudem dazu, dass sich Bäuerinnen und Bauern auf den Anbau von Cash Crops spezialisieren. Das sind all jene Rohstoffe, die nur für den Export produziert werden. Damit sind sie auch stärker von der Entwicklung des Weltmarkts abhängig. Wie eine Studie über Kaffeeanbau in Zentralkenia zeigt, muss diese Spezialisierung nicht immer vorteilhaft sein: Nicht zertifizierte HerstellerInnen fuhren im Betrachtungszeitraum der Studie ihren Kaffeeanbau zugunsten anderer Pflanzen herunter und erwirtschafteten dabei ein höheres Haushaltseinkommen. 

13. Kann man mit Fairtrade eine gerechte Welt erkaufen?

An den Strukturen des Welthandels, die letztlich Armut und Ungerechtigkeit hervorbringen, ändert der faire Handel in der aktuellen Form wenig. Die Idee der Schaffung alternativer Handelsbeziehungen wird stückchenweise für eine Ausweitung der Marktteilnahme geopfert. Erreicht wird diese durch die Zusammenarbeit mit Konzernen. Damit wird man zusehends Teil jener Strukturen und Marktlogiken, deren Auswirkungen man eigentlich bekämpfen will. Fairtrade wird so zusehends Vermarktungsstrategie für Feelgood-Konsumentscheidungen. Die Forderung nach einer menschenwürdigen Alternative des Welthandels verschwindet hinter dem Fairtrade-Logo und mit dieser die Menschen, um die es eigentlich geht. Von diesen bleibt nur mehr ein Zahlencode, der sich auf manchen Verpackungen wiederfindet und mit dem sich im Internet Information über die ProduzentInnen abrufen lässt.

Credit: CC BY-SA 2.0. Bild: Dennis Tang/Flickr.

14. Ist fairer Handel besser als Spenden?

Das muss von Fall zu Fall betrachtet werden. Die Meinung vieler ExpertInnen tendiert allerdings zu einem vorsichtigen »Ja«. Wie Studien zeigen, haben solche Direkttransfers negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Produktion, verstärken Konflikte und begünstigen stattdessen Korruption und Misswirtschaft. Fairer Handel beeinträchtigt dagegen Anreize, zu produzieren, nicht, sondern belohnt ProduzentInnen für eine sozial und ökologisch nachhaltige Produktion. 

BIORAMA #59

Dieser Artikel ist im BIORAMA #59 erschienen

Biorama abonnieren

VERWANDTE ARTIKEL