Lawine – ein Kommentar
Über Lawinenrisiko – und den Irrsinn. Ein Kommentar
Die menschliche Psychologie ist komplex, vielen unverständlich und nicht jeder kann ein Psychologe sein. Es ist aber im Ergebnis schon erstaunlich welche Risiken wir als Menschen bereit sind einzugehen und welche nicht; und noch erstaunlicher welche Aktivität wir mit welchem Risiko behaftet wahrnehmen oder einschätzen.
Ich darf gleich vorneweg stellen: JedeR Tote, ganz egal ob durch Autounfall, Flugzeugabsturz, Sportunfall oder eben Lawinenverschüttung ist eineR zu viel, eine für die Betroffenen unbeschreibliche Tragödie, die durch nichts rückgängig zu machen ist. Auch ist es unbestritten, dass viele unverschuldet zu Betroffenen werden. Schließlich gehen wir alle tag täglich Risiken ein, egal ob wir mit dem Auto fahren, dem Flugzeug fliegen oder Sport betreiben.
Insbesondere das Risiko des Autofahrens scheint gesellschaftlich allgemein akzeptiert, selbst die bekannte Gefahr, die von Rasern ausgeht hält die meisten nicht davon ab am Individualverkehr teilzunehmen.
Im Bereich des Sports gibt es eine ganze Reihe an Sportarten mit spezifischen Risiken. Sei es das Absturzrisiko beim Paragleiten, die Dekompressionskrankheit beim Tauchen, der gebrochene Fuss beim Skifahren, der Spaltensturz bei Hochtouren, etc. Manche dieser Sportarten gelten subjektiv wie objektiv als risikoärmer (z. B. Pistenskifahren) oder risikoreicher (z. B. Hochtouren). Allen ist aber gemein, dass wir typischerweise eine ‚Ausbildung‘ für den jeweiligen Sport machen. Egal ob Kinderskikurs oder Tauchschein als Erwachsener, letztendlich beschäftigen wir uns mit der Materie, damit wie man den Sport richtig betreibt, welche Gefahren bestehen und wie wir Risiken vermeiden oder auf ein erträgliches Maß reduzieren. Natürlich kann es jeder und jedem passieren, und da nehme ich mich selbst gar nicht aus, dass man trotz Ausbildung mal Dinge falsch einschätzt, mal beim Skifahren einen für einen selbst zu steilen Hang erwischt, beim Tauchen voll Bewunderung des Riffes ein paar Meter tiefer geht als geplant oder auch trotz guter Tourenplanung am Berg vom Wetter überrascht wird. Oft geht das gut, manchmal passiert dann doch etwas und löst mitunter eine der Eingangs beschriebenen Tragödien aus. Letztendlich hat da jedeR eine individuelle Risikobereitschaft und muss damit umgehen.
Kein Mensch würde ohne Pilotenlizenz ein Flugzeug fliegen. Keiner würde mit 300 Sachen durchs Ortsgebiet fahren. In beiden Fällen haben die meisten Menschen instinktiv ein Gefühl für das zu hohe Risiko. Nicht so beim Einschätzen von Lawinenrisiko, dafür sind die Hänge zu schön, um sie nicht zu befahren, der notwendige Verzicht gefühlt zu groß, und das Skifahren selbst beherrscht man ja. Es muss genau daran liegen, dass es jedes Jahr aus Neue Menschen gibt, die nicht nur Bedingungen falsch einschätzen (die gibt es auch, und da ist kaum einer davor gefeit), sondern ein signifikant höheres Risiko eingehen oder ein solches nicht wahrnehmen.
Egal ob sie ohne Ausrüstung und Kenntnisse abseits der Piste fahren oder aber auch erfahrenere Tourengeher die selbst die einfachsten Regeln der Lawinenkunde missachten.
Vielerorts wird die Lawine gefühlt noch mit einer Gott gegebenen Naturgewalt gleichgesetzt. Historisch ist diese Wahrnehmung begründbar, denn bevor es Wintersport im heutigen Sinne gab, war die primäre Schnee-Gefahr die sogenannte Katastrophenlawine, die Dörfer bedrohten. Man konnte sie damals auch nicht gut einschätzen. Heute lassen sich solche Lawinen gut abschätzen, mit entsprechender Lawinenschutzverbauung, respektive Nicht-Bebauung von gefährdeten Bereichen ist die dadurch begründete Opferzahl auf nahezu Null reduziert. Anders sieht dies bei sogenannten Skifahrer Lawinen aus, die häufig durch Wintersportler selbst ausgelöst werden.
Dank Werner Munter, dem Begründer der modernen Lawinenkunde und sogenannten Lawinenpapst, steht uns allerdings eine regelbasierte Methodik zur Verfügung, wie wir selbst als HobbysportlerInnen mit entsprechender Ausbildung und etwas Erfahrung das Lawinenrisiko ganz gut einschätzen und damit unser eigenes Risikomanagement am Berg betreiben können. Aus der Arbeit von Herrn Munter haben einige Lawinenexperten unterschiedliche Entscheidungsstrategien weiterentwickelt. Ganz egal in welcher von diesen man die Ausbildung macht, entsprechende Kurse findet man überall in den Alpen und um zumindest die Basics zu verstehen ist das weder ein teures noch ein zeitintensives Unterfangen.
Für den Laien mag Lawinenkunde wie eine Buch mit sieben Siegeln sein. Das Thema würde auch den Rahmen dieses kurzen Beitrags sprengen, aber ich möchte ein wie ich denke leicht verständliches Beispiel geben: Die „Elementare Reduktionsmethode“ von Werner Munter beschreibt sehr einfach ab welcher Hangneigung es bei welcher Lawinengefahren jedenfalls zu gefährlich wird. Konkretes Beispiel: bei erheblicher Lawinengefahr (Lawinenwarnstufe 3) geht man jedenfalls ab 35° Steilheit ein größeres Risiko ein als beim Autofahren. Ob man auf flacheren Hängen gehen kann hängt noch von einigen anderen Faktoren ab, die hier zu weit führen würden. Aber die Anwendung dieser Regel kann jeder Laie verstehen: die Lawinenwarnstufe schaut man einfach im Internet nach, die ungefähre Hangneigung lässt sich mit einem Böschungsmaßstab aus der Karte ablesen (die reale Hangneigung ist natürlich immer etwas größer als die, die man aus der Karte liest, Gelände ist nun mal buckelig) oder im Gelände leicht feststellen. Die meisten Wintersportler haben 2 Skistecken dabei und damit ein Neigungsmessgerät, zumindest eines für diese Zwecke ausreichendes. Man lege einen Stecken in Fallrichtung auf den Hang, hebe das untere Ende auf, lasse an diesem Ende den zweiten Stecken senkrecht nach unten pendeln und schaue wo er am Hang aufkommt. Kommt er exakt da auf wo vom ersten Stecken das untere Ende am Hang lag, hat der Hang 30° (gleichseitiges Dreieck), für jede 10cm darüber 3° abziehen, für jede 10cm darunter 3° dazuzählen. Und für alle für die das zu mühsam ist: es gibt Neigungsmesser-Apps fürs Smartphone wie auch kleine digitale Neigungsmesser, die man per Klettverschluss auf den Skistecken montiert – Stecken hinlegen, Knopf drücken, Neigung ablesen, fertig. Man kann also sehr leicht und sehr schnell feststellen was man jedenfalls nicht tun sollte, bei einem Dreier in Gelände steiler als 35° gehen.
In den Medien wird Land auf Land beinahe täglich davor gewarnt. Die Lawinenwarndienste werden jedes Jahr besser (man schaue sich mal die neue und nochmal deutlich verbesserte und erweiterte Arbeit des Lawinenwarndienstes Tirol an). Trotzdem gibt Leute, die zum Beispiel meinen, bei Lawinenwarnstufe 3 nach extrem starken Schneefall bei viel Wind einen 40° steilen Hang befahren zu müssen. 5° mehr sind 5° zu viel, insbesondere da Lawinenrisiko nicht linear sondern exponentiell steigt. Und bei den beschriebenen Bedingungen ist es ohnehin nochmal gefährlicher. Warum machen das Menschen?
Dann gibt es noch Medien, die eine Lawinenverschüttung bei derartigen Bedingungen trotzdem wie ein unbeeinflussbares Naturereignis darstellen und noch dazu betonen, dass die Skifahrer trotz vollständiger Lawinenausrüstung ums Leben kamen. Nun, das zeugt primär von Ignoranz der Journalisten dem Thema gegenüber. Denn es gibt keine Ausrüstung die das Auslösen einer Lawine verhindert. Diese „Ausrüstung“ wäre rein Hirn, Augen und Ohren. Die Lawinenausrüstung ist keine Präventivausrüstung, sondern hilft nur im Falle des Falles möglichst schnell reagieren und retten zu können.
Es gibt übrigens sehr viele Menschen, sowohl Hobbysportler wie auch professionelle Bergführer, die ein Leben lang mit keinem Lawinenunglück konfrontiert sind. Die haben nicht einfach Glück, sondern die haben konsequent und wachsam systematisch die Lawinenkunde und damit ein eigens Risikomanagement angewandt. Wie gesagt, man kann mal Triebschnee oder Durchfeuchtung falsch einschätzen, auch ich selbst war schon in Hängen wo ich dann dachte, da hätte ich nicht hin sollen. Man erwischt sich selbst mal mit 60 oder vielleicht 70 km/h im Ortsgebiet, aber mit 300 Sachen, wirklich? Und danach möglicherweise noch sagen, die Bremsen waren überprüft und ich war ohnehin angeschnallt?