Braucht es ein Handyverbot an Schulen? Ja …
Ja, denn Medienmündigkeit beginnt mit Medienabstinenz.
Wenn es unbedingt ein »Ja« oder »Nein« sein muss, dann »Ja, sie gehören verboten!«. Aber es ist ein bisschen wie bei dem Londoner Richter, der den Angeklagten anherrschte: »Man kann jede Frage mit Ja oder Nein beantworten!«, worauf dieser höflich darum bat, eine Frage stellen zu dürfen, und, als ihm dies gewährt wurde, fragte: »Herr Richter, stimmt es, dass Sie aufgehört haben, Ihre Frau zu schlagen?«
Warum also trotzdem »Ja, sie gehören verboten!«? Weil die Schule einer der letzten verbliebenen Orte ist, an denen die Kinder ungestört über viele Stunden am Tag eine direkte Beziehung zur Welt herstellen können. Das gilt schon für ihre unmittelbaren Erfahrungen mit den Sinnen, also für den Zusammenklang von Farben, Gerüchen, der haptischen Beschaffenheit der Dinge, ihrer Wärme oder Kälte, ihrem Klang, ihrem Gewicht, ihrem Geschmack und vielem mehr, die alle zusammen erst die Ganzheit im sinnlichen Erfassen eines »Gegenübers« ausmachen, sei dies ein Ding, eine Pflanze, ein Tier, ein Mensch, sei es die Luft, das Wasser, der Wind, der Himmel oder was immer uns umgibt. Unsere Sinne sind das Tor zur Welt, aber hindurchgehen müssen wir schon selbst, indem wir sie immer feiner schulen. Warum sonst hätten die Schotten 421 Wörter für Schnee?
Es geht aber weiter mit der Bewegung der Beine, die mich von hier nach da bringen, manchmal sogar rückwärts (was immer weniger Kinder sich zutrauen). Eine der interessantesten Erfahrungen der französischen LehrerInnen ist, dass die Kinder seit dem Handyverbot in den Pausen wieder viel mehr rennen und spielen. Das gilt natürlich auch für die feinmotorischen Bewegungen der Arme, Hände, Finger und Augen, die viel mehr zu tun bekommen, wenn sie nicht auf einen Bildschirm fixiert werden. Und es gilt für die innere Bewegung, wenn Langeweile nicht mehr technisch überspielt werden kann, sondern in Phantasie umgemünzt werden muss. Dadurch entstehen ein anderes Sozialverhalten und Lust am Denken, das immer aus dem Zusammenwirken von eigenem Handeln, von den dabei durchlebten Gefühlen und der Beobachtung des Vorgefundenen und Bearbeiteten entsteht.
Kann man all das oben Gesagte nicht auch mit dem Smartphone erfahren? Nein, kann man nicht. Smartphones unterstützen Tätigkeiten, die wir ohne sie selbst ausführen müssten, nur tun sie das alles viel schneller. Mit ihnen kann man ohne Ende Informationen abrufen, mit anderen in Verbindung bleiben, allerlei Prozesse vereinfachen und sogar die eigene Aufmerksamkeit substituieren, weil die Geräte so konstruiert sind, dass sie uns immer bei der Stange halten. Genau deshalb bin ich aber gegen ein absolutes Smartphone-Verbot an der Schule: Natürlich gehört eine so zentrale Technologie in die Schule, denn wenn wir den SchülerInnen helfen wollen, vernünftig damit umzugehen, können wir sie nicht einfach verbannen.
Aber es ist eine Frage des Alters, der Vorerfahrungen, der bereits gebildeten sensorischen, sozialen, emotionalen und kognitiven Fähigkeiten. Bis zur Pubertät geht es vor allem darum, den eigenen Erfahrungen, den eigenen Handlungen, den eigenen Wahrnehmungen und dem eigenen Denken vertrauen zu lernen. Das geht am besten analog. Dann aber geht es darum, mit diesem Können ein souveränes Verhältnis im Gebrauch der modernen Technologie zu erlernen. Medienmündigkeit beginnt mit Medienabstinenz, aber sie bleibt nicht dabei stehen.
BIORAMA #58