Max Stiegl’s Sautanz ist ein Event. Und ein Buch. Beides sehr zu empfehlen.

Der Sautanz in Purbach hat mittlerweile eine lange Tradition. Es gibt Bilder von ganz früher, als noch mit schwarz/weiss-Filmen fotografiert wurde. Irgendwann am Beginn des Winters musste die Hofsau dran glauben. Früh morgens wurde sie geschlachtet, dann wurde zerlegt, eingesalzen, gesurt und zum Trocknen aufgehängt. Fett und Fleisch wurden haltbar gemacht, um an kalten Wintertagen etwas Nährendes zu essen zu haben. Dann verschwand der Sautanz. An seine Stelle traten Supermärkte mit ihren in Plastikfolien verpackten Koteletts und Filets. Verfügbar zu jeder Zeit an jedem Ort. Klar, Fortschritt hat was. Und mit so Dingen wie dem traditionellen Sautanz lässt sich keine Bevölkerung ernähren. Trotzdem. Er gehört zur Kulturgeschichte des Landes, und Max Stiegl hat ihn aus der Versenkung geholt. Jetzt hat er mit Tobias Müller sogar ein Buch darüber geschrieben. Vorgestellt wurde es neulich. Beim Sautanz. Wo sonst?

Es war einmal die saisonale Sau

Am Gut Purbach gibt es die Sautänze jetzt schon ein paar Jahre. Am Anfang musste Stiegl die Purbacher (und noch viel mehr die hippen Naschmarkthipster) behutsam an die Herangehensweise der „Ganztierverwertung” heranführen. Eine fein geschnittene gesottene Zunge mit etwas Kren hier, ein kleines Stück scharf angebratene Leber da. Nur nicht übertreiben. Und immer schauen, dass jeder ein Glas Winzersekt in der Hand hat.

Der Sautanz hat an Bedeutung verloren, seit der Konsum von Schweinefleisch von seiner saisonalen Verfügbarkeit entkoppelt wurde. Es gibt ein paar Faktoren, die dazu geführt haben, dass uns das mit dem Schweinefleisch völlig entglitten ist. Die Heiz-und Kühltechnologie war das Ende des natürlichen Kreislaufs von Aufzucht, Mast, Schlachtung und Verarbeitung. Die Schweinezuchtbetriebe haben erkannt, dass man den Tieren nur ein bestimmtes und konstantes Milieu (an Temperatur, Feuchtigkeit und Licht) bieten muss und die Fleischproduktion wird zum Jahresbetrieb.

Die Errungenschaften der modernen Kühltechnik sind wiederum dafür verantwortlich, dass wir uns über das Haltbarmachen von Fleisch keine Gedanken mehr machen müssen. Das Nachdenken über Haltbarkeit haben wir an einen Strichcode abgegeben. Wir denken „mindestens haltbar bis:“ bedeutet „wahrscheinlich tödlich ab:“ und werfen die Schnitzel eher weg, als irgendein Risiko einzugehen. Auch, weil wir verlernt haben, unseren Augen und Nasen zu vertrauen. Wir wissen einfach nicht mehr, wie müdes Fleisch riecht und wie Fleisch aussieht, das man besser nicht mehr in den Topf oder die Pfanne gibt.

Lunge, Herz und Milz im Andert-Sud

Beim Sautanz geht es – auch – genau  darum. Zu lernen, wie man aus größeren Teilen kleine Portionen herausschneidet und dass es am Schwein nichts gibt, das nicht zu einer grandiosen Köstlichkeit verarbeitet werden kann. Einer, der Max Stiegl dabei schon Jahre zur Seite steht, ist Michael Andert aus Pamhagen. Eigentlich ist Michael demeterzertifizierter Winzer mit so sagenhaft schrägen und köstlichen Weinen, dass man meinen könnte, er macht nichts anderes. Beim Sautanz wurden die ersten Andert-Weine kurz nach 7 (morgens) entkorkt. Gleich, nachdem die drei Kessel zu dampfen begannen und Michi Andert die edlen Teile der Sau im Sud versenkt hat. Also die Lunge, das Herz oder die Milz. Nach und nach fischt er dann Stück für Stück heraus, schneidet ein wenig herum und die Leute rundherum greifen beherzt und mit den Fingern zu. Wer will, kann noch ein wenig salzen oder würzen. Kann man. Muss man aber nicht.

Währenddessen rührt Stiegl auf der anderen Seite des Hofs Hirn ins Ei. Plusminus 30 Eier, etwa halb so viele Schweinehirne. Es sind ja genug Leute da, die auch satt werden wollen. Später kommen noch Klassiker wie Beuscherl, eine (fetttriefende) geschmorte Schulter, gebackene Hoden und – jetzt kommen wir zum Buch – Rüssel vom Grill.

Der Rüssel hat es nämlich zum Coverbild von Stiegls neuem Buch geschafft. Das Buch ist klarerweise rund um den Sautanz entstanden. Es heisst auch so. Es ist stark bebildert. Wunderschöne und kraftvolle Bilder. Und es zeigt, dass das Arbeiten mit weniger bekannten Teilen gar nicht so kompliziert ist, wie man vielleicht denkt. Apropos „weniger bekannte Teile“. Anthony Bourdain (selig), bekannt für die Serie ‚parts unknown‘ war auch schon hier und von Stiegls Handwerk tief beeindruckt. Dass es die Sautanz-Rezepte jetzt als Buch gibt ist ein Gewinn sondergleichen.

Beim Sautanz holen wir uns unsere Souveränität zurück

Vor allem, weil es beim Sautanz nicht nur um kulinarischen Genuss, sondern um gastrosophische Verantwortung geht. Wir geben Verantwortung ab und Souveränität auf. Wir lassen Handel und Industrie entscheiden, welche Teile vom Schwein gut für uns sind. Und wann sie gut für uns sind. Wir lassen uns sogar die Entscheidung abnehmen, wie wir unser Steak würzen. Beim Sautanz holen wir uns diese Souveränität wieder zurück.

Leicht macht es uns das System nicht. Beim Fest der Sau tauchte in aller Herrgottsfrüh ein finsterer Geselle mit blütenweissem Mantel und jeder Menge Messgeräte auf. Behördenalarm! Heuer musste ohnehin das Schwein bereits am Vortag geschlachtet und bereits (grob) zerlegt verarbeitet werden. Dann schleicht auch noch ein Lebensmittelinspektor in Hof und Küche herum, misst Temperaturen, begutachtet das Fleisch, macht Bilder und Notizen. Nimmt den Koch in Anspruch. Dinge, die (an so einem Tag) eigentlich niemand braucht.

Wie gesagt – wir müssen für unsere Souveränität kämpfen. Am Tag des Schlachtfests sowieso. Aber auch danach, dann wer einmal am Kessel stand und Blut gerührt hat oder mit einer Wurstspritze einen geputzten Darm gefüllt hat, wird beim nächsten Einkauf anders vorm Regal stehen. Nicht, dass so ein Sautanz das Konsumverhalten grundlegend ändert. Aber er ist ein Impuls, der nachdenklich macht. Und damit ist viel erreicht. Das ist der zweite Grund, warum Stiegls Sautänze keine flüchtige Modeerscheinung sind. Es läuft etwas fundamental falsch im System. Max Stiegl – auch, wenn er einfach nur gut Kochen und ein guter Gastgeber sein will – setzt positive Impulse, die die Kraft haben, etwas zu verändern.

»Sautanz«, von Max Stiegl und Tobias Müller, erschienen 2018 bei Servus
ISBN-13 9783710401848

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