Das widerwillig geführte Käfergeschäft
„Ich habe es verabscheut und gehasst“ – Hildegard Winkler hat Publizistik und Germanistik studiert. Außerdem besitzt sie das einzige Entomologie-Fachgeschäft in Österreich. BIORAMA hat sie dort besucht.
Im 18. Wiener Gemeindebezirk befindet sich in einer Wohnung in einem unauffälligen Altbau das einzige Insektengeschäfts in Österreich – Entowinkler. Am Eingang weist lediglich ein recht schlichtes Schild auf den Laden hin. Betritt man das Geschäft, findet man sich zwischen holzvertäfelten Wänden, Fangnetzen, Fachbüchern und Schaukästen voller bunter Schmetterlinge und Käfer wieder. Begrüßt wird man von der Besitzerin Dr. Hildegard Winkler, die mit Begeisterung, aber auch etwas Wehmut, die Geschichte des Geschäfts erzählt.
Ein ungewöhnliches Familienerbstück
Wir schreiben das Jahr 1906. Hildegard Winklers Großvater kehrt dem Familienunternehmen, das Farbe für den Bau der Wiener Stadtbahn liefert, den Rücken; er kauft ein Käfergeschäft, wie es seine Enkelin Hildegard Winkler heute mit einem Augenzwinkern nennt, und bringt seine Schwestern damit um ihre Mitgift. Er war Hobby-Entomologe, also Insektenforscher. Damals wurden nur Insekten und entomologische Geräte verkauft, denn Fach- und Bestimmungsbücher gab es kaum, da die Drucktechnik für die nötigen Farbbilder noch zu wenig fortgeschritten war.
Nachdem Hildegard Winklers Großvater starb, übernahm ihr Vater das Geschäft. Als dieser in den späten 1980ern im Sterben lag, studierte Frau Winkler gerade in Italien. Sie wusste, die Verantwortung für das Geschäft würde an sie fallen, wovon sie minder begeistert war, erzählt sie: „Ich habe es verabscheut und gehasst. Ich habe mich für Dichtung und solche schönen Sachen begeistert. Ich wollte nur verkaufen, verpachten oder entsorgen. Und beim Durcharbeiten und Durchforsten des Geschäfts bin ich picken geblieben.“
Zurück in Wien betrat sie das Geschäft, dass sie verabscheute, und fand es komplett mit Kisten vollgeräumt. Nur schmale Gänge führten durch die Berge an Kisten hindurch. Eine Aufräumaktion war vonnöten. Zur Hilfe bei den Malerarbeiten eilte der Wiener Künstler Franz West, der damals noch eher unbekannt war. Er war damals, wie Hildegard Winkler es ausdrückt, „sandlerartig, bevor er berühmt war“.
Ansonsten hat sich an dem Geschäft nicht viel verändert. Die Kästen mit Laden voller Käfer und Schmetterlinge sind noch die gleichen, alten Holzmöbel. Die Stanzmaschine von Großvater Winkler für die Papierstreifen, auf die Käfer, die zu klein zum befestigen mit Nadeln sind, geklebt werden, ist noch immer in Betrieb. Bücher ihres Großvaters verschenkt Hildegard Winkler aufgrund von Platzmangel.
Seit etwa 30 Jahren verkauft Hildegard Winkler mittlerweile Insekten in dem kleinen Geschäft. Als sie das Geschäft im Alter von 38 Jahren übernahm, wurde sie von den Kunden, den „begeisterten Krabblern“, als junge, moderne Frau nicht akzeptiert, weswegen ihr die Arbeit im Geschäft zu Beginn nicht leichtfiel:, „Ich habe gestrampelt und war auch sehr traurig, weil ich die Kunden nicht gescheit bedienen konnte. Das waren hauptsächlich alte, graue Männer und die haben mich abgelehnt. ‚Sie hat ja keine Ahnung‘ und so“
Heute ist sie 76 und hat sich einen guten Kundenstamm aufgebaut, der nicht nur aus (Hobby-)Entomologen, sondern auch vielen Künstlern besteht. „Jetzt sind nicht mehr diese eingefleischten Krabbler, sondern mehr Hobby[-Entomologen] oder Künstler“, erkärt Frau Winkler: „Es ist eine Mischung aus der traditionellen Klientel und einer neuen Klientel.“ Viele Kunden sind es aber trotzdem nicht, auch das Insekten-Business läuft mittlerweile größtenteils im Internet ab. Einen Online-Versand gibt es von Entowinkler nicht.
Die Insekten bestimmen, wohin es geht
Während des Gesprächs kommt ein Kunde, ein älterer Herr, der sich als der einzige Samurai Österreichs vorstellt, in den Laden. Er zeigt Frau Winkler begeistert, wie er es geschafft hat, einen schimmernden, blauen Schmetterling so zu konservieren, dass er kein bisschen seines Glanzes verliert. Bevor der Kunde das Geschäft verlässt, unterhält sich die Insektenverkäuferin noch etwas mit dem Kunden über Konservierungstechniken.
Irgendwo muss Frau Winkler ihre Ware natürlich auch herbekommen. Dafür fährt sie zu Insektenbörsen. Sie selbst verkauft dort nur Bücher und ist als Altwarenhändler angemeldet. „Es gibt in ganz Europa viele Insektenmessen. Die heißen eigentlich Insektenbörsen, aber es ist nicht eine Börse mit ausrufen oder so.“ Die Messen lassen sich auch immer gut mit Urlaubsreisen mit ihrem Lebensgefährten verbinden. Zweimal im Jahr geht es für die beiden zu Messen nach Modena an die sie immer eine Woche irgendwo in Italien anhängen.
Artenschutz vs. alte Sammlung
Auch wenn sich bei Hildegard Winkler nie eine Liebe zu Insekten entwickelt hat, hat sie gelernt, mit ihnen zu handeln. Abseits der Geschäftszeiten stanzt sie die Papierblättchen für kleine Käfer oder spannt Schmetterlinge auf. Dabei, erklärt sie, müsse man unbedingt darauf achten, dass man die Flügel nicht mit den Nadeln zerreißt. Der wertvollste Schmetterling im Geschäft ist ein Bergfalter aus dem Himalaya, der stolze €350 kostet. Es gibt noch viel wertvollere, erzählt die Insektenverkäuferin, die hat sie aber nicht auf Lager: „Das sind zum Beispiel die Vogelflügler, die fliegen nur in Indonesien in den höchsten Baumwipfeln. Teuer sind die, die selten oder schwer zu bekommen sind.“
Ethische Skrupel hat sie dabei, Insekten zu verkaufen, nicht. Die Insekten waren immer Teil ihres Lebens. „Ich bin hier aufgewachsen und die Insekten waren immer vorhanden als etwas Alltägliches.“
Genehmigung für das Geschäft braucht sie keine. Gesetzlich muss sie nur darauf achten, keine Insekten zu verkaufen, die laut dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen von 1973 als geschützt gelten und nach dessen Unterzeichnung gefangen wurden. Im Sortiment befinden sich jedoch noch Exemplare, die noch von ihrem Großvater eingekauft wurden und somit zur Kategorie alte Sammlung gezählt werden.
Was die Zukunft nicht bringt
Wie die Zukunft des Geschäfts ausschauen wird, weiß Frau Winkler nicht. Mit Mitte 70 denkt sie – wenig überraschend – an den Ruhestand. Bereits jetzt ist das Geschäft nur zwei Stunden wochentags Woche geöffnet, denn in ihrem Alter habe sie es sich bereits verdient, nur noch wenig zu arbeiten. Das Problem: Niemand will ihr das Geschäft abkaufen: „Also bis jetzt gibt es niemanden [der das Geschäft übernehmen will]. Ich weiß nicht, ob jemand vom Himmel fällt.“
Die Miete ist aufgrund des alten Mietvertrags ungewöhnlich niedrig für eine Wohnung in Wien, jeder potenzielle Käufer hat Angst, dass sich diese bei der Übergabe dramatisch erhöhen würde. Während sie das Geschäft als Andenken an ihren Großvater übernahm, führt sie es inzwischen nur weiter, weil sie es nicht loswird. Und solange nicht wirklich jemand vom Himmel fällt, wird Hildegard Winkler weiterhin in ihrem ungewöhnlichen Geschäft Insekten verkaufen und Erbe ihres Großvaters weiterführen.