Zu gut für die Tonne: MVD als neues „Mindesthaltbarkeitsdatum“

Das „Institut für Lebensmittelwertschätzung“ stellt die Idee des Mindestverzehrfähigkeitsdatums (MVD) vor. In Ergänzung zum Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) soll es Bewusstsein schaffen und die Lebensmittelverschwendung reduzieren helfen.

BIORAMA bat Matthias Beuger im Rahmen des Biolebensmittelcamp in Brandenburg zum Interview.

Matthias Beuger propagiert die Idee des Mindestverzehrfähigkeitsdatums (MVD) – und gründete dafür ein Institut für Lebensmittelwertschätzung. (Foto: Institut für LW)

BIORAMA: Löbliche Versuche, der Lebensmittelverschwendung vorzubeugen gibt es viele. Was ist der Gedanke hinter eurem Mindestverzehrdatum (MVD)?
Matthias Beuger: Die meisten dieser Versuche setzen bisher auf Handelsebene an, im Einzelhandel, einige auch beim Produzenten. Beim Verbraucher gibt es bislang so gut wie gar keine Initiativen. In Deutschland gibt es einen Preis – „Zu gut für die Tonne“ –, der Projekte zur Lebensmittelrettung auszeichnet. Viele Politiker sprechen darüber, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) abgeschafft, verändert oder ergänzt werden müsste, aber es tut halt keiner was. Wir haben jetzt ein Jahr nachgedacht und das MVD erarbeitet. Ich glaube, wenn Hersteller das MVD für ihre Produkte gewissermaßen als zweites MHD benutzen, dann führt das zwangsläufig dazu, dass sich Verbraucher fragen, was das Mindesthaltbarkeitsdatum überhaupt bedeutet. Es ist auch eine spielerische Art, über das MHD aufzuklären und dem Verbraucher ein bisschen Sicherheit zu geben – was er in der Regel gerne haben möchte –, dass er das Produkt zumindest aus gesundheitlichen Gründen weiter verzehren kann.

Was wäre ein konkreter Anwendungsfall?
Matthias Beuger: 
Momentan sind zwei Dinge denkbar: Ein Hersteller bringt auf einem Etikett von vornherein zwei Daten an. Zum Beispiel zwei Jahre MHD für einen Brotaufstrich – da garantiert der Hersteller in diesen zwei Jahren beste Qualität, das heißt nur minimale Abweichungen im Bereich Sensorik und Geschmack. Nach Aufbringen des MVD garantiert der Hersteller über das MHD hinaus, dass das Produkt beispielsweise noch ein weiteres Jahr verzehrfähig bleibt. Der Verbraucher hat also ein weiteres Jahr Zeit, das Produkt aufzubrauchen, ohne sich Sorgen um seine Gesundheit machen zu müssen, muss aber in Kauf nehmen, dass das Produkt geschmacklich oder sensorisch vom ursprünglichen Produktionszustand abweicht.
Als zweiter Weg ist denkbar, dass ein Händler zum Beispiel Ware mit kurzem MHD von zwei Wochen auf Lager hat und mit uns zusammen eine Verlängerung des Zeitraums vornimmt, den wir dann nicht MHD, sondern MVD nennen, weil es eben Abstriche bei der Qualität geben kann. Das Produkt wird dann nachettiketiert und gekennzeichnet. Nachettikettiert haben wir bereits Produkte – etwa eine vegane Bio-Zwiebelmettvurst des Herstellers Viana. Dazu haben wir einen Labortest gemacht und am Anfang sogar alle Kriterien erfüllt, die für eine Verlängerung des Mindesthaltbarkeitsdatums notwendig gewesen wären, also sogar geschmacklich und sensorisch.

Produkte können auch nachträglich mit einem Mindestverzehrfähigkeitsdatum (MVD) versehen werden. Im Idealfall denken es Hersteller gleich mit – in Ergänzung zum Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD). (Foto: Institut für LW)

Wie sieht da die rechtliche Situation aus?
Matthias Beuger: Nach meiner Rechtsauffassung und einem von mir in Auftrag gegebenen Gutachten ist das Verkaufen von Ware über das MHD hinaus möglich. Der Verkäufer hat nur besondere Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Für den Zeitraum des MVD und nach Ablauf des MHD wird das Produkt weiterhin im vorhinein von einem Labor überwacht – sodass diese Sorgfaltspflicht erfüllt ist.

Wie soll so eine Laborüberwachung konkret aussehen – etwa wenn das MHD eines Brotaufstrichs verstrichen ist?
Matthias Beuger: 
Es gibt ja im Betrieb eines Unternehmens ohnehin eine Überwachung des MHD. Diese Überwachung könnte auch der Hersteller selber auf den Zeitraum des MVD ausdehnen. Etwa durch Labortests und mikrobiologische Untersuchungen.

Das klingt sehr aufwendig, wenn ein paar Brotaufstriche überbleiben.
Matthias Beuger: 
Das geht darum, dass das Hersteller im besten Fall von vorherein auf alle Etiketten aufbringen, wie gerade beschrieben. Im Grunde ist das für den Hersteller kaum Mehraufwand. Das Labor ist ja beim MHD auch im Spiel. Es sinkt ja nur die Qualitätsgarantie.

Für alle Produkte kommt ein MVD aber nicht in Frage.
Matthias Beuger: 
Alle Produkte mit einem Aufbrauchdatum kommen nicht in Frage für eine Verlängerung, nein. Das gilt etwa für Rohfleisch, Hackfleisch oder Ultrafrischprodukte wie Frischmilch. Für manche Milch wäre das theoretisch möglich, da stellt sich aber die Frage, ob eine Verlängerung um drei Tage wirklich sinnvoll ist. Für alle Produkte, die gar kein MHD haben – also etwa Obst, Gemüse, Essig – ist es sowieso überflüssig. Wir greifen mit dem MVD auch nicht dem Prinzip Food Sharing oder den Tafeln vor, sondern nur Produkten mit MHD.

Ihr habt im Februar in Köln das Institut für Lebensmittelwertschätzung gegründet, um die Idee des MVD zu pushen. Warum braucht es so ein Institut?
Matthias Beuger: 
Weil ich glaube, dass die Außenwirkung wichtig ist und es die Glaubwürdigkeit eines externen Zertifizierers braucht und über das Institut auch Zugriff auf unsere Datenbank www.trackfood.org besteht, in welcher alle verlängerten Produkte hinterlegt sind und der Verbraucher die notwendigen Daten über einen QR-Code einsehen kann. Rein rechtlich bin das Institut derzeit ich als Person als UG. Ich habe einen wissenschaftlichen Beirat, der aus verschiedenen Qualitätsmanagern und Wissenschaftlern besteht, der uns extern berät. Ich arbeite eng mit Laboren zusammen, die alle notwendigen Vorgaben machen.

Entstehen für Händler oder Hersteller, die das MVD nutzen möchte, Kosten oder Lizenzgebühren?
Matthias Beuger: 
Kann jeder das MVD selbst aufbringen, ich habe mir das bewusst nicht schützen lassen. Es ist also auch ohne mich als Institut möglich. Was wir als Institut bieten können ist Kommunikation, Sicherheit, Verbrauchervertrauen und die Datenbank. Ich sehe das MVD als sehr praxisnahe Lösung eines sehr großen Problems.

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