„Die Henne und das Ei“ von Renèe Schroeder & Ursel Nendzig

„Die Henne und das Ei“: Woher wir kommen – und wohin wir gehen.

Renèe Schroeder, 58, Wittgenstein-Preisträgerin, Universitätsprofessorin und Leiterin des Departments für Biochemie und Zellbiologie der Max F. Perutz Laboratories, beschäftigte sich in den letzten dreißig Jahren mit einer simplen Frage: Was kam zuerst – die Henne, oder das Ei? Eine Scherzfrage, die tief ins Spiralgerüst der DNA vordringt. Was es dabei zu entdecken gibt, sind Überlegungen und Thesen über nichts Weniger als das Wesen des Seins und den Ursprung der Schöpfung. Nichts kann sich aus sich selbst schaffen – oder doch? Unter dem lakonischen Titel “Die Henne und das Ei“ (Residenz Verlag) geht die Molekularbiologin Renèe Schroeder zusammen mit der Journalistin Ursel Nendzig (u.a. Biorama-Redakteurin) dieser Frage nach – und kommt zu spannenden Einsichten und Ausblicken, die weit über das Forschungsfeld der Biologie hinausgehen.

RNA und die Geschichte des Lebens

Als Grundprinzip ihrer Überlegungen dient Schroeder dabei die RNA-Hypothese, die besagt, das die RNA-Bausteine irgendwann im Laufe der Entstehung von Leben auch dazu in der Lage waren, ihren Metabolismus selbst zu steuern. Die RNA-dominierte Zeit soll laut dieser Hypothese der Ursprungsanker für sich selbst erschaffendes Leben gewesen sein. Erst viel später wurde die RNA-Dominanz von DNA als stabilen Träger von Erbinformationen sowie Proteinen als deren katalysatorische Metabolismen abgelöst.

Wenn die Schöpfung nun aber naturwissenschaftlich erklärt werden kann, hat dies unabdingbare Folgen für religiöse Schöpfungsdeutungen: Nicht Gott, sondern das Leben hat sich aus sich selbst erschaffen. Die Diskrepanz zwischen Glaube und Wissen ist ein steter Begleiter in Schroeders Aufzeichnungen, innerhalb derer die Autorin letztlich allerdings eindeutig Stellung für die Wissensgesellschaft bezieht. Diese sei, so Schroeder, nicht auf Glauben, sondern auf Ethik basierend:  “Was macht den Menschen zum Menschen? Nicht die Naturgesetze, denn die sind brutal und ungerecht. Sondern deren Überwindung. Das ist Ethik.“ Schroeder spricht in diesem Zusammenhang von „angewandter Bioethik“. Auf einmal geht es weder um die Henne, noch um das Ei, sondern um unser aller Überleben in einer brüchig gewordenen Gesellschaft. Denn mangelhafte Bildung, Gender-Bewusstsein und politisch-soziale Diversität stehen der liberalen Wissensgesellschaft, von der Schroeder träumt, schon heute im Weg – ganz zu schweigen vom gesellschaftlichen Umgang mit der Genforschung.

Gender, Migration – und Genforschung

Gene, so Schroeder, werden von Lebensbedingungen und Lebensgewohnheiten beeinflusst: „Wenn Menschen migrieren und sich ihr Lebensraum ebenso wie ihre Lebensgewohnheiten ändern, dann werden sehr unterschiedliche epigenetische Marker gesetzt.“ Dabei geht es aber nicht nur um den genetischen Wandel, den Auswanderung mit sich bringt, sondern auch um die genetische Mutation von scheinbar starren Geschlechterrollen. Die Genetik der Frau divergiert laut Schroeder u.A. deshalb so stark vom Mann, weil diese in der Menschheitsgeschichte stets schlechter versorgt wurde als Homo sapiens mit männlichem Geschlecht. Waren Frauen beispielsweise in den letzten Jahrhunderten prinzipiell schlechter ernährt und gebildet als Männer – könnte dieser „gesellschaftlich begründete Unterschied“ in der Welt der Gegenwart dazu führen, das Frauen durch ähnliche Ernährung und Bildung sich epigenetisch wieder dem Mann annähern werden.

Ein gutes und wichtiges Buch, das sich trotz der komplexen Thematik einer allgemein verständlichen Sprache bedient und auf voller Länge begeistert. Eine Empfehlung.

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Renée Schroeder, Ursel Nendzing: Die Henne und das Ei: Auf der Suche nach dem Ursprung des Lebens (Residenz Verlag, 205 Seiten, 21,90 Euro)

TEXT Michael Kichdorfer

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