Fühlen, Riechen, Ausprobieren

Warum Unternehmen gerade in Zeiten wachsender Onlineumsätze auf sinnliche Offlineerfahrungen und Emotion setzen.

Ein Hofladen ist eine feine Sache. Viel romantischer als ein Supermarkt. Nicht immer in der Nähe, dafür aber bei jedem Besuch aufs Neue eine Vergewisserung der Verbundenheit zwischen Landwirtschaft und dem eigenen Kühlschrank. Im Hofladen riecht es zu jeder Jahreszeit anders. Alles wirkt erdverbunden und traditionell. Die Regale sind aus Holz. Und die Kinder können beim Einkauf vielleicht eine Katze streicheln oder einen Traktor bestaunen. Hier kann man Lebensmittel nicht nur kaufen, sondern erleben. Solche Erlebnisse beim Einkauf werden wichtiger – nicht ohne Grund.

Wer sich fürs Einkaufen an einen bestimmten Ort begibt, erwartet heute mehr als schlichte Regale voller Waren – denn die gibt’s schließlich auch im Netz. Experten sprechen seit Jahren von anhaltenden Wachstumsraten um die 20% im Onlinehandel. Das bedeutet riesige Veränderungen für eine riesige Branche. Beim deutschen Einzelhandelsinstitut EHI wurden vor ein paar Jahren Zukunftsszenarien für die Kommunikation im Einzelhandel entwickelt. Dabei ging es um zwei Fragen: Wie soll der Einzelhandel im Jahr 2025 kommunizieren? Und mit wem eigentlich? Dabei stellten sich unterschiedliche Typen von Konsumierenden heraus. Darunter finden sich kritische und wertorientierte Verbraucher, denen Marken nicht so wichtig sind und die gerne auch leihen statt kaufen. Sogenannte „Cyberflaneure“, die sich dem Online-Shopping ausgiebig widmen, wurden ebenfalls identifiziert. Auch „Brand-Victims“ und Genusskäufer konnten als Typen ausgemacht werden. Während „Brand-Victims“ viel Wert auf das richtige Produktlabel legen, steht für Genusskäufer das sinnliche Erleben von Artikeln und Produkten im Vordergrund. Das Fühlen, Riechen, Ausprobieren. Online sind solche Genusskäufer schwer zu bedienen. Und weil jeder hin und wieder Genusskäufer ist, müssen sich Einzelhandel und Markenhersteller etwas einfallen lassen. Zum Beispiel: Marken-Erlebniswelten. Die entstehen im Moment überall. Nicht nur bei Großkonzernen, sondern auch bei bodenständigen, mittelständischen Betrieben in ganz klassischen Branchen.

Alexander Schagerl ist Projektentwickler bei Habegger. Das österreichische Unternehmen unterstützt Firmen bei der Schaffung von Erlebnissen. Sieht auch Schagerl den Trend zu Erlebnis und Event als Antwort auf E-Commerce und Digitalisierung? „Definitiv, ja. Der Mensch ist immer noch ein wissbegieriges, aber auch emotionales Wesen. Beide Pole wollen abgedeckt werden. Ein Live-Erlebnis lässt andere Möglichkeiten zu, Menschen anzusprechen. Im besten Fall dient das Erlebnis dazu, die Bindung auf einer emotionalen Ebene zu festigen.“

In manchen Branchen gehören Emotionen schon länger zum Kerngeschäft. Fast jede Brauerei bietet Besichtigungen mit anschließendem feuchtfröhlichen Abendessen an. Profi-Fußballklubs und Autokonzerne bieten Fans und Kunden gleich ganze Museen voller Emotion und Erlebnis. Im Bundestagswahlkampf präsentierte die CDU in Berlin gar ein „begehbares Parteiprogramm“. Inzwischen wird Experience-Marketing auch für Unternehmen interessant, die keine Konzerne mit weltweiten Zielgruppen sind, die aber dennoch Wert darauf legen, sich durch Qualität und Originalität im Wettbewerb zu behaupten – statt nur durch den Preis. Wer etwas anbietet – ob Bioäpfel, Elektroautos oder Duschgel –, der legt Wert darauf, die Identität, die im eigenen Produkt steckt, auch so zu vermitteln. Wer mit Liebe und Überzeugung biologisch Äpfel anbaut, der will auch, dass diese Äpfel, dort wo sie verkauft werden, für „Liebe“ und „Überzeugung“ stehen – und nicht etwa für „hochpreisig“ und „klein“. Die Identität soll zum Image werden, Selbstwahrnehmung zu Fremdwahrnehmung. Im Fall der Bioäpfel kann ein Hofladen dabei helfen, die „Markenidentität“ zu unterstreichen. Und das macht einen Hofladen zu einer ganz klassischen Form von Erlebniswelt.

Dass viele Bio-Erlebniswelten deshalb rationale Überzeugungen mit Emotionen verknüpfen, findet Alexander Schagerl ausgesprochen plausibel. „Bei Bio stehen sowohl das Wo als auch das Wie der Lebensmittelproduktion im Mittelpunkt. Beide Fragen sind prädestiniert, durch eine Erlebniswelt am Produktionsstandort beantwortet zu werden. Dabei geht es aber nicht um ein Show-Erlebnis. Ganz im Gegenteil. Das Erlebnis soll echt und real sein. Bio ist der Ursprung unserer Essenskultur. Das soll überzeugend erlebt werden. An den Produktionsort zu gehen und mit den eigenen Sinnen zu spüren, worum es hier geht, das schafft wohl die beste Kundenbindung, die es geben kann.“

Beim Schaffen von Erlebnissen kann Architektur helfen. Zum Beispiel indem eine Erlebniswelt ihre Besucher auf ganz ungewohnte Wege durch ein Gebäude schickt oder indem durch den Einsatz von Materialien an ungewohnten Stellen ein wenig Verwirrung gestiftet wird. Dass Architektur so eingesetzt wird, dass man sich zu ihr verhalten muss, kennt man aus Museen. Da wird zum Beispiel durch überraschende Geräuschdämmung plötzlich die eigene Stimme dumpf und intensiv wahrnehmbar. Spektakuläre Konzept-Architektur kostet natürlich viel Geld. Für räumliche Erfahrungen, die Menschen zu Erlebnissen fern ihres Alltags verhelfen, ist sie allerdings gar nicht zwingend nötig. Es geht auch einfacher. Zu einem räumlichen Erlebnis kann auch eine Betriebsbesichtigung oder ein Schaubetrieb führen. Auch wer bei der Produktion hautnah dabei ist, ihre Geräuschkulisse, Gerüche, Atmosphäre wahrnimmt, hat ein Erlebnis. Das macht man sich bei der Firma Sonnberg im oberösterreichischen Unterweißenbach zunutze. Hier wird Biowurst hergestellt und Biofleisch für verschiedene Einzelhandelsketten zerteilt und abgepackt. Ein Besucherprogramm soll Gruppen zum „Sonnberg Bio Wurst Erlebnis“ verhelfen. Dazu gehören ein Quiz, eine Filmvorführung im schallgedämmten und verdunkelten „Wurstkino“, eine Besichtigung des Schaubetriebs und eine Speckverkostung in einem eigens gestalteten „Speckhimmel“. Bevor der Besuch im Shop endet, gibt es ein gemütliches Beisammensein unter dem „Kuhglockenrondell“, einer Deckeninstallation, die aus stilvoll beleuchteten Kuhglocken besteht.

Produkte auf solche Art und Weise erlebbar zu machen kommt Konsumgewohnheiten, die sich wandeln, entgegen. Man mag Marken-Erlebniswelten für den nächsten kommerziellen Trend der Marketing-Branche halten. Doch wer bei Produkten Wert auf Qualität und bestimmte Standards in der Produktion legt – der kann in Markenwelten genau darüber viel lernen. Wenn sie gut gemacht sind. Denn „Konsumgüter sind Medien. Sie transportieren Botschaften, und diese Botschaften zu entschlüsseln ist eine Kulturtechnik wie das Lesen“. Das meint der Kunst- und Medienwissenschaftler Wolfgang Ullrich, hier im ORF-Portrait. Was vielleicht ein bisschen hochtrabend klingt, so, als stünde die Fähigkeit, sich für ein Duschgel zu entscheiden, auf einer Stufe mit der Fähigkeit, zu lesen, dürfte stimmen.

Schließlich gehört es unter Akademikern zum guten Ton, daran zu erinnern, wie durchschaubar Markenbotschaften sind und welche Errungenschaft es ist, angeblich spielerisch im eigenen Shopping-Verhalten über sie hinwegsehen zu können. Gerade weil das Entschlüsseln von Produktkommunikation eine kulturelle Angelegenheit ist, lässt sich natürlich wunderbar darüber streiten, welche Produktkommunikation gelungen ist und welche nicht. Alexander Schagerl ist überzeugt: „Die größten Fehler geschehen dort, wo nicht die Botschaftsvermittlung im Zentrum steht, sondern nur die Selbstdarstellung eines Unternehmens. Wie spreche ich meine Kunden an, und wie kann ich mein Thema auf unterhaltsame, interessante und erlebnisreiche Art und Weise vermitteln? Das muss das Zentrum sein. Sonst gelingt das Erlebnis nicht.“

BIORAMA #51

Dieser Artikel ist im BIORAMA #51 erschienen

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