Fällt dein Job der Industrie 4.0 zum Opfer?
Tun Disruptionen und Bullshit-Jobs weh? Was bringt die Digitalisierung dem Menschen und der Arbeitswelt? Wir werfen einen Blick auf die Industrie 4.0.
Es dauert eine halbe Stunde, bis man vom historischen Stadtzentrum Wiens per U-Bahn dorthin gelangt, wo seit ein paar Jahren die Zukunft ausprobiert wird. Dort liegt die Seestadt Aspern, ein Stadterweiterungsgebiet, von dem viele Stadtforscher sagen, es sei vielmehr eine Stadtneugründung als eine Erweiterung. Hier entstehen Wohnungen für über 20.000 Menschen rund um einen künstlichen See in einer Smart City. Etwas abseits der neuen Wohnbauten und in Sichtweite eines Opel-Werks steht hier auch ein Technologiezentrum namens Aspern IQ. Eines der ersten Unternehmen, die sich darin angesiedelt haben, ist researchtub. Das Kunstwort soll Research to Business bedeuten. Als Tochterunternehmen der Technischen Universität Wien probiert die Firma mit Partnern aus der Industrie das aus, was in Zukunft der Normalfall sein soll: vernetzte Produktion. Vernetzte Produktion – das bedeutet so viel wie, dass die Produktionsanlagen miteinander in Verbindung stehen und irgendwie miteinander kommunizieren. m2m – Machine to Machine Communication – nennt man das. Gerade wurden noch einmal Forschungsmittel locker gemacht, um hier ein Center for Digital Production aufzubauen. Solche Zentren entstehen gerade überall – als revolutionäre Zellen der Digitalisierung.
Aller guten Dinge sind 4.0
Im Wiener Aspern IQ und an vielen anderen Orten ist eine industrielle Revolution im Gang, von der man sagt, sie sei schon die vierte ihrer Art. Deshalb wird ihr Resultat Industrie 4.0 genannt. Wer hätte gedacht, dass dieser Name tatsächlich eine Wortschöpfung aus der deutschen Wissenschaftsbürokratie ist? Im Oktober 2012 erschien ein umfangreiches Paper, das den Titel »Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0« trug. Urheber war die Deutsche Forschungsunion, ein Beratungsgremium der deutschen Bundesregierung. Der Begriff Industrie 4.0 hat sich seither irgendwie durchgesetzt.
Zur Erinnerung: Die erste industrielle Revolution brachte Mechanisierung, die zweite Massenproduktion, die dritte Elektronik und nun, im Laufe der vierten industriellen Revolution, entsteht das Internet of Things – eine Welt von miteinander in kommunikativem Austausch stehenden Maschinen, gespeist durch die Rechenleistung des Cloud Computing. Das Ziel: intelligente Produktion. Wie bei jeder Revolution wird es Gewinner geben – und Verlierer. Da fragt man sich nicht zum ersten Mal, was eine Revolution, bei der Jobs wegrationalisiert werden, um sie durch Maschinen zu ersetzen, bringen soll.
Wieso tun wir uns diese Revolution an?
Die Frage ist vielleicht etwas pessimistisch gestellt. Dass Jobs überflüssig werden, ist schließlich Teil des Fortschritts. Der Gaslampen-Anzünder dreht schon seit einem Jahrhundert nicht mehr seine Runden durch abendliche Städte. Fahrkartenautomaten ersetzen »Schalterbeamte«. Und die Gratis-Smartphone-App ersetzt gleich die gesamte Taxizentrale. Gleichzeitig macht die Entwicklung immer komplexerer automatisierter Produktionsmaschinen viele Industrie-Arbeitsplätze überflüssig. Jobs entstehen dafür an anderen Stellen neu. Der allgemeine Trend geht von Industrie- zu Dienstleistungsjobs. Es ist natürlich auch nicht ganz falsch, dass es nicht allein disruptive Innovationen und Technologien sind, die Unternehmen erfolgreich machen und Jobs schaffen. Zum Erfolg gehört nicht selten auch Ignoranz gegenüber der unternehmerischen sozialen Verantwortung. Das werden auch die nächsten industriellen Revolutionen vermutlich nicht ändern – und so gehört die Skepsis untrennbar zum Fortschritt.
Beim österreichischen Arbeitsmarktservice zum Beispiel. Dort geht man davon aus, dass Millionen von Menschen ihre Jobs verlieren werden, weil es diese nicht mehr geben wird. Das ist nicht dasselbe wie millionenfache Arbeitslosigkeit, schließlich sollen auch neue Jobs entstehen. Aber wo? Tatsächlich nur dort, wo Experten die Innovationen der Industrie 4.0 gestalten? Oder auch im Bereich niedrig qualifizierter Arbeit? Ein Teil der Antwort klingt sehr hart: Heutige Niedriglohnarbeit ist bereits so billig, dass es sich nicht lohnen würde, sie durch Maschinen erledigen zu lassen. Sie wird also bleiben. Das Haus- und Hofinstitut der Deutschen Bundesagentur für Arbeit, das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, hat für Deutschland die Prognose errechnet, dass bis 2025 rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze wegfallen werden und dass gleichzeitig auch rund 1,5 Millionen neu entstehen. Wegfallen würden Jobs vor allem in der Industrie, und zwar bei den klassischen Facharbeitern. Das Bedienen von Maschinen lasse sich schließlich noch eher durch Computersteuerung ersetzen als einfache Hilfsarbeiten.
Stimmen die Prognosen, bietet die idealtypische Industrie 4.0 also Jobs, die so einfach sind, dass sie sich nicht durch Technologie ersetzen lassen – und Jobs für Expertinnen und Experten, die Technologie entwickeln, warten oder bedienen. Das klingt nach viel sozialer Polarisierung und eher nicht besonders wünschenswert. Die britische Arbeitssoziologin Ursula Huws beschreibt schon seit Jahren das Entstehen eines Cybertariats – einer sozialen Klasse von Cyber-Arbeiterinnen und -Arbeitern. Andernorts ist die Rede vom Entstehen einer neuen, anonymen Dienstbotenklasse, die jene Jobs erledigt, die sich nicht digitalisieren lassen, und die mit den Services von Online-Plattformen verbunden sind. Angeblich begegnet man dieser Klasse schon heute an der Wohnungstür bei jeder Foodora-Bestellung. Oder hinter dem Steuer von Uber-Autos. Das kann man verteufeln – muss man aber nicht. Es gibt auch Studien, die ein entspannteres Bild der Verteilung von Arbeit in der digitalisierten Welt zeichnen. Melanie Arntz, Terry Gregory und Ulrich Zierahn haben ihren Blick im Auftrag der oecd auf die Job-Risiken durch zunehmende Automatisierung gerichtet. Sie stellen fest, dass viele Studien, die sich mit der zukünftigen Verteilung von Arbeit beschäftigen, von der Annahme geprägt seien, Jobs würden durch Maschinen ersetzt. »Diese Studien folgen einem Ansatz, der auf Berufen basiert, und gehen davon aus, dass ganze Berufe durch Technologie automatisiert werden, statt einzelner Tasks im Job. Das dürfte zu einer Überschätzung der Automatisierbarkeit von Jobs führen«, heißt es da. Natürlich macht es einen großen Unterschied, ob einige Aufgaben von der To-do-Liste am Arbeitsplatz verschwinden, weil sie von neuen Tools oder neuer Software erledigt werden, oder ob die ganze To-do-Liste überflüssig wird.
Disruption
So bezeichnet man Innovationen und Technologien, die bestehende Geschäftsmodelle und ganze Branchen durch ihre Neuartigkeit ins Wanken bringen. Airbnb macht klassischen Hotels das Leben schwer, Uber stellt Taxi-Unternehmen vor Probleme. Die Digitalisierung beschert fast jeder Branche Disruptionen. Und nicht wenige sind mit prekären Arbeitsverhältnissen, mit moderner Ausbeutung verbunden. Oder mit negativen ökologischen Folgen.
Bullshit-Job
Der Sozialanthropologe David Graeber beschreibt mit diesem Begriff Jobs, deren einziger Zweck es ist, künstliche Arbeit und damit Einkommen zu schaffen. Schließlich gibt es seit dem Beginn der Industrialisierung immer weniger Arbeit für immer mehr Menschen. Deshalb würden seither ständig neue (eigentlich überflüssige) Bedürfnisse und Dienstleistungen kreiert – und damit immer mehr unsinnige Jobs. Haben Sie sich schon einmal gefragt, was es für Folgen haben würde, wenn sie die Aufgaben in ihrem Job nicht erledigen würden? Wenn die Folgen nicht dramatisch wären, dann arbeiten Sie vielleicht auch in einem unsinnigen Job.
Entkopplung von Arbeit und Lohn
Spätestens mit dem digitalen Copy-Paste-Zeitalter haben die Produkte unserer Arbeit nur noch entfernt mit der Arbeitszeit, die wir darauf verwenden, zu tun. Das gilt zumindest für ziemlich Jobs. Wenn es immer weniger Arbeit auf immer mehr Menschen zu verteilen gibt, weshalb wird dann die Bezahlung überhaupt noch so häufig an die Arbeitszeit geknüpft? Es gibt längst Modelle, die besser in die digitalisierte Zeit passen. Eines davon ist das Grundeinkommen, das oft als »bedingungslos« bezeichnet wird. Dahinter steckt eine simple Frage: Wie kommt man zu einer nachhaltigen Art und Weise, Menschen die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, wenn es weniger Jobs gibt, aber mehr Menschen?
In 21 oecd-Staaten haben die Wissenschaftler erhoben, wie automatisierbar Jobs tatsächlich sind. Und dafür wurden die einzelnen Aufgaben von Berufstätigen analysiert. Das Ergebnis: Rund neun Prozent aller Jobs seien weitgehend automatisierbar. In Südkorea liege die Quote der »Risiko-Jobs« am niedrigsten: bei sechs Prozent. Am höchsten liege sie mit zwölf Prozent – genau – in Deutschland und Österreich. Ein bisschen mehr als jeder zehnte Job soll also verschwinden – das klingt schon weniger dramatisch als viele Studien, die bisher prophezeiten, die Hälfte aller Jobs in Deutschland würde bald überflüssig. Zur Beruhigung: Neu entstehende Jobs sind in diesen Studien nicht berücksichtigt – auch nicht in der weniger dramatischen oecd-Analyse. Es besteht also durchaus Grund, der Entwicklung entspannt entgegen zusehen. Wo Risiken sind, gibt es auch Chancen.
Wie nutzt man die Chancen?
Es ist schön zu wissen, dass die Wissenschaft bisher nicht wirklich davon ausgeht, dass die Industrie 4.0 ein Jobkiller im großen Stil ist. Allerdings muss wohl auch noch einiges passieren, damit sie das wirklich nicht wird, und das auch nicht vorübergehend. Schließlich sind die wenigsten Menschen in der Lage, digitale Funktionen und Dinge zu entwickeln. Und das gilt heute sogar für Menschen mit Spitzenjobs. Die Sprache der Digitalisierung ist allgegenwärtig – und doch Expertensprache. Wenn unsere Bildung weiter so organisiert wird wie bisher, dann werden wir gerade vermutlich im großen Stil de-alphabetisiert. Das Problem ist nicht ganz neu. 1919, vor fast 100 Jahren und ungefähr zwei industriellen Revolutionen, meinte der Soziologe Max Weber, die Rationalisierung der Welt bedeute, dass man, wenn man nur wolle, jederzeit alles über seine Lebensbedingungen erfahren könne, »dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen Mächte gebe, die da hineinspielen, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen beherrschen könne.« Weber beschrieb die Rationalisierung als »Entzauberung der Welt.« Diese Entzauberung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als reichlich theoretischer Trick erwiesen. Und mit wachsender Rationalisierung und Digitalisierung hat der Trick immer weniger praktische Bedeutung. Denn: Praktisch ist kaum jemand in der Lage, auch nur annähernd die Funktion der alltäglichsten Gadgets und Maschinen zu verstehen. Wenn wir die Funktionen unseres Smartphones, unserer Digitalkamera, unseres Smart-TVs bedienen können, dann reicht uns das im Alltag schon. Die Literacy Gap zwischen Developern und Usern ist gigantisch, und was wir heute unter Digital Native verstehen, hat nicht unbedingt viel mit Programmierkenntnissen zu tun. Fast kleingeistig wirkt es da, wenn heutige Lehrer ihren Schülern die Smartphones abnehmen, statt sie in den Unterricht einzubinden.
Wohin die nächste industrielle Reise auch geht: Mehr digitale Bildung schadet ganz sicher nicht. Denn in einer immer weiter technisierten und digitalisierten Welt bleiben am Ende sonst nur Experten, die Teile dieser Welt beherrschen – und eine riesige Menge von Menschen, die nicht länger Bürgerinnen und Bürger und mündige Konsumentinnen und Konsumenten, sondern nur noch Userinnen und User sind – die ständig Daten liefern. Was es bedeutet, abhängig von digital miteinander kommunizierenden Maschinen zu sein, bekommt man heute schon gelegentlich zu spüren, wenn im Zug die Sitzplatz-Reservierungen nicht rechtzeitig digital übertragen wurden oder wenn im Geschäft die onlinegestützte Registrierkassen-App sich partout nicht öffnen lassen will. Dann gerät die Organisation des Alltags kurzzeitig aus den Fugen. Natürlich kann es auch entspannend sein, wenn die vorübergehende Nichterreichbarkeit des Mailservers einem eine Zwangspause am Arbeitsplatz beschert. Allerdings: Diese harmlosen Beispiele sind auch Belege für die Wahrscheinlichkeit dramatischer Fälle von digitaler Abhängigkeit. Um die Chancen der Digitalisierung möglichst nachhaltig zu nutzen, ist also Unabhängigkeit von ihren Vorzügen ratsam. Die lässt sich nur durch Bildung erlangen – wie üblich.
Analog geht Auch
Die Frage nach dem großen Nutzen der Digitalisierung stellt sich ganz automatisch, wie bei allen vorangegangenen technischen Entwicklungen. Die disruptiven Innovationen, die uns die Digitalisierung beschert, machen so manches bisherige Geschäftsmodell obsolet. Das ist im Allgemeinen nichts Außergewöhnliches und doch im Speziellen oft traurig. Die Abhängigkeit von digitalen Maschinen gefällt nicht jedem unhinterfragt. Der Sozialpsychologe Harald Welzer befürchtet bei fortschreitender Digitalisierungs-Euphorie den Weg in »Die smarte Diktatur« und Gerd Pfitzenmaier warnt vor dem »Leben auf Autopilot«. Es gibt eine Vielzahl anderer Antworten auf die Digitalisierung als die bestmögliche Eingliederung in die digitale Welt. Zum Glück bleiben auch Bereiche, die man der digitalen Sphäre entziehen kann. »Analog ist das neue Bio« schreibt zum Beispiel Andre Wilkens. Und der Schweizer Bildhauer Horst Bohnet bietet ein simples Gadget für Menschen an, die gerne bewusst offline sind: den iStone, polierten Granit im Format eines Smartphones.
Wer sich die industrielle Revolution vor den Toren Wiens einmal ansehen möchte, der teilt sich die U-Bahn auf dem Weg dorthin nicht mit Robotern und findet sich am Ziel umgeben von einer Großbaustelle mit viel Platz zum Gestalten. So ist sie, die industrielle Revolution: vor der Haustür, ziemlich alltäglich, längst nicht fertig. Fast jeder kann sich seinen Platz in der Industrie 4.0 noch aussuchen. Zu den Optionen gehört hier in der Smart City Aspern auch der Selbstversorger-Biogarten, der keine digitale Schnittstelle hat – ganz analog und offline.
Mit der Digitalisierung kommen noch ganz andere Dinge auf uns zu. Erhöhter Strom- und Papierverbrauch zum Beispiel:
Skurril: Durch die Digitalisierung wächst unser Papierverbrauch
Wird das Internet of Things wirklich helfen, Energie zu sparen?