@porrporr – Twitter-Nachrichtenagentur des Widerstands
Allzu gerne werden Social Media an sich schon als revolutionäre Kraft beschrieben. Als sich im Frühling Menschen in Ägypten gegen das Regime erhoben haben, wurde das von vielen zur „Facebook-Revolution“ hochstilisiert. Auch in Österreich nutzen Menschen die neuen technischen Möglichkeiten zu Vernetzung und Mobilisierung gegen etablierte politische Strukturen. Der Rest ist harte politische Arbeit, sagt @porrporr, ein anonymer Twitter-Aktivist, der als eine Art Nachrichtenagentur des Widerstands fungiert.
Wer @porrporr auf Twitter folgt, bekommt einen relativ guten Real-time-Eindruck, was die alternative Polit-Szene in Österreich bewegt. @porrporr sammelt und verteilt News, die von Netzpolitik über queere Themen bis zu Migrationsfragen reichen. Er verbreitet Demo-Aufrufe und diskutiert über die öffentliche und mediale Rezeption der Dinge, die ihn bewegen. Vor allem aber verwendet er Twitter als kommunikative Unterstützung für »Aktionen«. Dabei ist ihm klar, dass diese nur dann Wert haben, wenn sie auch eine größere Öffentlichkeit erreichen. Die traditionellen Medien sind da nach wie vor als Multiplikator gefragt. Die Abschiebe-Blockade am Hernalser Gürtel im Vorjahr macht für ihn nicht nur als konkrete Aktion Sinn, sondern auch wegen der medialen Aufmerksamkeit, die sie genossen hat. »Twitter ist vor allem deswegen spannend, weil viele Medienleute dabei sind. Ich habe in den zwei Jahren, in denen ich das mache, gelernt, den Medienzirkus zu verstehen.« Im konkreten Fall hat das zu einer Intensivierung der Fremdenrechtsdiskussion beigetragen und konnte mehr Menschen mobilisieren, gegen Abschiebungen aufzutreten.
Von der Spielerei zum Fixpunkt im Leben
Der Sozialarbeiter hat sich mit mehr als 33.000 Tweets einen Ruf als verlässliche und vor allem schnelle Informationsquelle aufgebaut. Dabei fährt er einen »straighten Kurs«, was wohl auch der Grund für seine digitale Reputation ist. Wie er selbst sagt, kommt er aus der »linksradikalen Politszene«. Dort immer dieselben Dinge im kleinen Kreis mit anderen Menschen zu diskutieren, war aber auf Dauer unbefriedigend. Anfangs war Twitter für ihn eine Spielerei, doch bald entdeckte er darin eine Möglichkeit, sein politisches Engagement stärker nach außen zu richten. Das kann ein Hebel für tatsächliche Veränderungen sein. Dabei ist ihm durchaus bewusst, dass das nicht in eine Revolution münden wird. Dennoch: Im Kleinen ist es sehr wohl möglich, etwas zu bewirken. Das schildert er anhand zweier für ihn prägenden Erfahrungen.
#unibrennt – Politisierung der Generation 2010
Eine davon ist #unibrennt. Die Proteste der österreichischen Studierenden haben für ihn gezeigt, wie schnell sich eine Bewegung über Social Media organisieren kann. Auch wenn sich die konkrete Situation an den Unis kaum verändert hat, sieht @porrporr in #unibrennt den Grundstein für die Politisierung vieler Menschen, die sich längerfristig in Projekten auch abseits universitärer Themen engagieren. Für ihn und viele andere waren die Wochen der Audimax-Besetzung der Punkt, an dem private Twitter-Accounts und Blogs an Reichweite gewannen und man lernte, sie nicht nur als digitale Tagebücher, sondern als Instrumente einzusetzen. »Wenn Du mal eine gewisse Schwelle an Followers überschritten hast und merkst, dass Du mit deinen Inhalten wahrgenommen wirst und etwas zurückkommt, macht es auch Spaß.« Mittlerweile ist Twitter fixer Bestandteil seines Lebens und er spürt auch die Erwartungshaltung, die seine knapp 2.000 Followers an ihn haben.
Konkrete Gefühle statt abstrakter Demos
Das zweite prägende Erlebnis ist die Spontandemo, die im April 2010 gegen die Abschiebung des Trainers und eines Spielers des FC Sans Papiers stattfand. Nach einer Razzia bei dem Fußballverein für Menschen mit prekärem Aufenthalts-Status wurden die beiden in Schubhaft genommen. Innerhalb kürzester Zeit konnten dutzende Menschen mobilisiert werden, die erst vor dem Gefängnis protestierten und dann durch eine Blockade des Wiener Gürtels versuchten, die Abschiebung zu verhindern. »Da war ein Bus auf der Straße und der Mensch, um den es ging, war nicht hinter Gefängnismauern versteckt, sondern für alle sichtbar. Die Rückkehr nach Nigeria war für diesen Menschen lebensbedrohlich.«
Pragmatismus vor Ideologie
Politische Arbeit nimmt im Leben von @porrporr einen »ziemlich wichtigen Stellenwert« ein. Keine Frage, der Mann will etwas verändern. Dabei ist ihm durchaus bewusst, dass der Gestaltungsspielraum gering ist. »Man muss sich immer vor Augen halten, was wäre, wenn man das alles nicht machen würde. Dann wär’s noch wesentlich schlimmer«, meint er. Daher ist es ihm auch so wichtig, gegen 278ff aufzutreten. Damit sind die sogenannten Mafiaparagrafen gemeint, auf deren Basis Tierrechtsaktivistinnen und –aktivisten die »Bildung einer kriminellen Organisation« vorgeworfen wurde. Nach zwei Jahren endete der aufsehenerregende Prozess Anfang Mai mit vorläufigen Freisprüchen. Die Befürchtung bleibt aber bestehen, dass Gesetze wie diese gegen Menschen eingesetzt werden, die vehement gegen Missstände auftreten, die aus ihrer Sicht im politischen oder juristischen System begründet liegen.
Widerstand als Teil gesellschaftlicher Diskurse
Im Gespräch vermittelt @porrporr den Eindruck eines Menschen, der sich weniger von abstrakten politischen Konzepten leiten lässt als von einem praktischen Gerechtigkeitsbegriff. Würde er drei Gesetze im Nationalrat durchsetzen können, wären das für ihn eine Mindestsicherung für alle in Österreich lebenden Menschen, eine Totalreform des Fremdenrechts und die Durchsetzung umfassender Regelungen für Barrierefreiheit, zu der für ihn auch der freie Zugang zu Bildung und Wissen zählt. Doch solche Fragestellungen haben für ihn keine Priorität, da diese Regelungen nur oberflächliche Eingriffe darstellen, wo doch eine grundlegende Änderung der Gesellschaft nötig wäre. Viel mehr beschäftigen @porrporr ganz konkrete Fälle, wo sich Ungerechtigkeiten am härtesten manifestieren und konkrete Aktionen dagegen stattfinden. Da sieht er auch seine Rolle, dem Widerstand als eine Art Nachrichtenagentur Reichweite zu schaffen.
TEXT: Werner Reiter (www.werquer.com)