Ulrich Seidl auf Safari: Die Lust am Töten
Ulrich Seidl nimmt uns in seinen neuen Film mit auf Großwildjagd. Gewohntes Seidl-Kino in kolonialer Kulisse.
Ulrich Seidl zwingt mit seinen Filmen zur Reflexion, indem er Einblick in verborgene Welten gewährt, über die kaum geredet wird. Das kann wehtun und das gilt auch für den neusten Seidl: „Safari“.
Der österreichische Regisseur, Autor, Produzent und Filmfestspielgewinner von Venedig hat dafür deutsche und österreichische Jagdtouristen bei ihrem extrem umstrittenen Hobby in afrikanische Steppen begleitet. Die Emotionen der Protagonisten des Films und ihre Unaufgeklärtheit verstören zeitweise.
Munition kostet extra
Was anfänglich noch ein Sport reicher dekadenter Europäer war, ist inzwischen für den solventeren Durchschnittsbürger leistbar. Die Kosten für eine Großwildjagd richten sich nach der erlegten Wildart. Sie liegen zwischen 400 Euro für einen Steinbock und 11.000 Euro für ein Roan, ein stichelhaariges Pferd. Der Abschuss von Leopard, Gepard oder Giraffe kostet um die 4.500 Euro. Ein Flächenzebra darf für 1.400 Euro geschossen werden. Präparierte Trophäen, Munition, Transport – das alles kostet extra.
Ulrich Seidl hat eine Familie in den Jagdurlaub begleitet, die solche Preise zu zahlen gerne bereit ist. Während der Großwildjagd entsteht zwischen den Eltern und den Kindern menschliche Nähe und diese Emotionen hat Seidl gut eingefangen. Da fallen sich die Familienmitglieder um den Hals, küssen sich und gratulieren sich gegenseitig zum Jagderfolg. Die Jagd als Kick um sich selbst und andere zu spüren?
Die Mutter der Familie beschreibt ihre Gefühle während der Jagd: „Nach dem Schuss. Ja da bin ich so aufgeregt, da, ja da kann ich kaum mehr. Da zittern die Knie. Da zittern die Hände. Da kann man kaum mehr mit der Waffe umgehen da ist man also furchtbar aufgeregt. Und diese Aufregung weicht erst dann, wenn man das Stück gefunden hat.“
Ulrich Seidl spielt mit der Naivität seiner Protagonisten und manche seiner Filme laufen Gefahr in einer Freakshow zu enden – dieser Vorwurf gehört zum Kinostart eines jeden Seidl-Films. Ulrich Seidl erklärt im Gespräch, wie die Protagonisten trotzdem immer wieder Spaß daran finden, mitzumachen: „Indem sie das, was sie aus Überzeugung tun, auch vor der Kamera zeigen und Spaß oder Interesse daran haben, in einem Film mitzumachen.“ Die Interviews mit den Jägern im Film wirken völlig offen und entspannt. Diese Atmosphäre trotz aller Künstlichkeit eines Filmdrehs wird laut Seidl nicht mittels einer bestimmten Methode erzeugt, sondern einfach durch Seidls persönlichen Zugang zu den Menschen vor der Kamera: „Ich suche mir die Protagonisten natürlich danach aus, von denen ich meine, dass sie erstens für den Film geeignet sind und zweitens ehrlich sind, in dem Sinne, dass sie das, was sie sagen, was sie tun, was sie denken, vor der Kamera auch so präsentieren, natürlich nach meinen Anweisungen, das ist klar. Aber so grundsätzlich möchte ich niemanden vor der Kamera haben, den ich zu etwas zwingen muss“.
Die gezeigten Bilder sind an Ehrlichkeit, Schrägheit und Zynismus schwer zu übertreffen – so wirkt es zumindest. Der Zuschauer fühlt sich dabei wie beim Betrachten einer Karikatur, deren Pointe in der detailgetreuen Darstellung von Banalem liegt. Spätestens wenn ein österreichischer Jagdtourist vollkommen besoffen auf einem Hochstand einschläft und dabei lauthals während der Safari zu schnarchen beginnt, spürt man, das etwas falsch läuft. Afrika ist einer der wenigen Orte mit einer vom Menschen teilweise unberührten Natur. Genau dorthin fahren Jagdtouristen um gegen Bezahlung zu töten. Wo Wildtiere ein Preisschild erhalten, wird die Natur zum Marktplatz. Ganz unmittelbar.
Afrika als Supermarkt
Ulrich Seidl hat auf den Jagdfarmen, die er besucht hat, immer ein ähnliches Bild vorgefunden, erklärt er: „Die Weißen sind immer die Besitzer, die Schwarzen hingegen sind die Arbeiter und Jagdhelfer und die Leute, die die Tiere verwerten. Das zeigt der Film. Darüber hinaus gibt es tausende Dinge, die man über Schwarz und Weiß sagen könnte. Aber im Film habe ich nur das gezeigt, was zum Thema gehört. Die Schwarzen leben in anderen Verhältnissen und essen das Fleisch auch so, wie man es im Film sieht.“
Den unverhohlenen Rassismus gegenüber Afrikanern fängt Seidl scheinbar beiläufig ein, gleichzeitig sind die lapidaren, zutiefst rassistischen Einlassungen der Protagonisten gewohnt präzise inszeniert. Ganz wie schon in „Paradies: Liebe“. Da gibt es in „Safari“ zum Beispiel ein Interview mit einem Lodgebesitzer und dessen Frau. Die Ehefrau des Lodgebesitzers teilt mit Seidl und Seidls Kamera ihre ethnologischen Erkenntnisse: „Also die Schwarzen können deutlich schneller laufen als wir. Wenn sie wollen. Wenn sie Leistungssport machen. Sie haben andere Muskelfasern,“ und ihr Gatte springt ihr bei: „Ja. Haben sie. 20 Prozent mehr pro Quadratmillimeter-Querschnitt. Quergestreifte Muskulatur. Das Fersenbein ist länger. Deshalb können sie besser laufen, schneller.“ Die Frau schickt ein „Wenn sie denn wollen“ hinterher.
Postkolonialer Zynismus
Wie reagiert das Publikum auf „Safari“? Das wollen wir vom Regisseur wissen. „Die Reaktion auf den Film ist von jedem persönlich abhängig, je nachdem wie man das eben empfindet. Für viele Leute ist das, was gezeigt wird, nämlich, dass Tiere geschossen und getötet werden, sehr schockierend. Für die Jäger selbst aber nicht“, erklärt Seidl. Demjenigen, der sich schon einmal mit der Herkunft von Fleisch auf dem Speiseplan beschäftigt hat, fällt es relativ leicht, über die Brutalität des gezeigten hinwegzuschauen und eine rationale Haltung einzunehmen. Wer bei Safari eher an sprechende Disney-Tiere denkt, der wird schockiert. Eine Erkenntnis aus dem Film lautet, dass den Jägern selbst ihre Alltagssprache bei der Ausübung ihres Hobbies zu empathisch zu sein scheint. Denn Sie sprechen untereinander in der Jägersprache. Die distanziert sich vom Tier als Lebewesen und abstrahiert den Tötungsakt. Zum Beispiel wird das Tier als Stück und das austretende Blut als Schweiß bezeichnet. Jäger töten nicht, sie erlegen.
Ulrich Seidls „Safari“ ist eine filmische Studie über Rassismus, Jagdethik und postkolonialen Luxustourismus. Kein Wunder, dass dabei ein Film der Extreme entstanden ist, die den Zuschauer herausfordert. Dieser Herausforderung zum Kopfschütteln kann nur ein Zyniker widerstehen. Ulrich Seidl muss einer sein.