Grüner Kittel, rosige Wirkung – über den therapeutischen Effekt von Biodiversität
Gut funktionierende Ökosysteme sind eine Grundlage der menschlichen Gesundheit. Sie liefern saubere Luft, Trinkwasser, Nahrungsmittel und stabilisieren das Klima. Biodiversität macht gesund – und das auf vielfältige Weise. Über den etwas anderen Arzt, dessen heilsame Wirkung und was wir tun können, um die natürlichste Medizin der Welt bestmöglich zu erhalten.
Sie kniet zwar nicht nieder und es gibt auch keinen diamantenbesetzten Ring – der Glückspegel schnellt ihretwegen jedoch trotzdem ins Unermessliche, ähnlich einem post-heiratsantragsgehauchten Ja! Und das ist verblüffend und erfreulich zugleich. Nämlich zu wissen, dass die Natur es durchaus mit Serotonin-Giganten wie einer Hochzeit oder einem neuen Arbeitsplatz aufnehmen kann ist… leider geil. Zwar ist ein Park für das Glück des Einzelnen weniger bedeutend als eine Eheschließung oder neue berufliche Laufbahn, macht aber für die Zufriedenheit und psychische Gesundheit aller Anwohner den entscheidenden Unterschied: Von grüner Umgebung profitieren alle. Das Glück ist also doch ein Vogerl.
Die Natur, dein Psychiater
Man muss nicht erst eine lange Ehe mit der Natur eingehen, um ihre positiven Effekte zu genießen – bereits fünf Minuten körperliche Aktivität im Grünen verbessern Stimmung und Selbstwertgefühl deutlich. Britische Wissenschaftler bestätigen überdies: Ein Spaziergang in der Natur führt zu messbaren Veränderungen bei Depressionen. Im Rahmen der Studie „Ökotherapie: die grüne Agenda für psychische Gesundheit“ mit 108 Probanden wurde deutlich, dass „Ökotherapie“ das psychische Befinden fast aller Teilnehmer verbesserte. Die Institution Natural England veröffentlichte zu Beginn des Jahres einen Bericht, aus dem hervorgeht, dass Menschen, die unter psychischen Problemen leiden, von naturorientierten Aktivitäten profitieren. Ängste, Stress und Depression werden abgebaut. Es ist also durchaus zulässig, die Natur als gesündestes Psychopharmakon einzustufen.
Totholz statt Tot-Sein
Die Effekte der „Arznei“ Natur sind mannigfaltig und nicht nur für die menschliche Psyche von Bedeutung. Acht Jahre lang untersuchte der Wissenschaftler Peter James mit einem Team der Harvard University und des Brigham Women’s Hospital mehr als 100. 000 Frauen auf den Zusammenhang zwischen Naturverbundenheit und Sterblichkeitsrate. Im Laufe der Langzeitstudie verstarben 8604 der Teilnehmerinnen. In Gegenden mit vielen Grünflächen sank das Risiko, an einer Atemwegerkrankung zu sterben, im Vergleich zu urbanen Regionen um 34 Prozent. Das Krebsrisiko nahm um bis zu 13 Prozent ab. Die durchschnittliche Sterbensrate verringerte sich um ganze 12 Prozent. „Es hat kognitive Vorteile und einen stärkenden Effekt, sich in der Natur aufzuhalten“, so James.
Intakte Natur ist Lebensgrundlage für Menschen, Tiere und Pflanzen. Daraus resultiert letztlich auch der Vormarsch von Ökotherapie und biophilem Denken – jener Annahme, dass der Ursprung unserer Naturverbundenheit in unserer Biologie und unseren Genen verankert ist. In Japan gilt deshalb „Waldbaden“ als Therapie-Hit: In Outdoor-Kliniken kann man sich nach der üblichen Voruntersuchung zum „Baden“ in den Wald begeben. Damit ist nicht etwa ein Wasserbad, sondern „shinrin yoku“ – das Eintauchen in die Waldumgebung – gemeint. Zahlreiche wissenschaftliche Studien haben sich mit den positiven Wirkungen von „shinrin yoku“ auseinandergesetzt und bestätigen deren stressreduzierende Wirkung. Zudem sinken beim Waldbaden Blutdruck, Puls, Blutzuckerspiegel.
Heilsame Biodiversität
Auch der österreichische Umweltdachverband hat sich im Rahmen des Projekts „Biodiversität und Gesundheit“ der Thematik verschrieben und in Kooperation mit MedUni Wien, BOKU und der Wiener Ärztekammer eine Studie hervorgebracht, die den Kausalzusammenhang zwischen Biodiversität – der biologischen Vielfalt – und menschlicher Gesundheit untermauert. Die Vielfalt in der natürlichen Umgebung bietet Raum für Entdeckungen und regt durch verschiedene Formen, Farben und Materialien die Phantasie an. Andererseits vermittelt sie Kontinuität, Verlässlichkeit und Sicherheit. Neben den positiven Effekten auf die emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern durch Kontakt mit der Natur lassen sich auch eine Verbesserung der Motorik, Stressreduktion sowie Konzentrationsverbesserung durch Naturerleben feststellen.
Alle Aspekte des menschlichen Wohlbefindens hängen von den Dienstleistungen der Ökosysteme ab. Der Verlust von Biodiversität kann zur Folge haben, dass Ökosysteme destabilisiert, die Produktion von Nahrungsmitteln beeinträchtigt, der Schutz vor Naturkatastrophen vermindert werden und das Risiko für Infektionskrankheiten steigt. Diese Risiken stehen bisher allerdings kaum im Fokus der Förderung der öffentlichen Gesundheit.
Es ist – wie so oft im Leben – alles eine Frage der Kohärenz: Ein interdisziplinärer Ansatz unter Einbezug der medizinischen, der Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften scheint unerlässlich, um die komplexen Herausforderungen für die menschliche Gesundheit anzugehen. Jeder kann sein tägliches Verhalten ein kleines Stück abändern, ohne den gewohnten Lebensstil vollkommen umzustellen. Ob über die Reduktion der eigenen Treibhausgasemissionen durch den Kauf möglichst regionaler, saisonaler, nachhaltig hergestellter Produkte; die Gestaltung des Arbeitsplatzes anhand haltbarer, natürlicher, wiederverwertbarer Materialien, die bestenfalls aus der Umgebung stammen; die Nutzung von umweltfreundlichen Haushaltsprodukten oder den Umstieg auf Bio-Kosmetik – in der Summe können diese kleinen Veränderungen allesamt Großes bewirken. Denn nicht nur weiße Kittel signalisieren: Es ist alles im grünen Bereich.
Wer mehr zum gesundheitlichen Mehrwert von Biodiversität erfahren möchte, findet Infos dazu beim Projekt Biodiversität und Gesundheit. Das Projekt wird von Bund (BMLFUW) und Europäischer Union (EU) gefördert.