Kulinarische Spurensuche in Rom: Fast Food and Long Drinks
Teil 4 unserer Serie über ESSEN IN DER ANTIKE: Der Alltag der Römer richtete sich nach dem Stand der Sonne und den Mahlzeiten, die über den Tag verteilt eingenommen wurden. Von den Gelagen der Oberschicht haben wir eine Vorstellung – doch was aß eigentlich das gemeine Volk Roms?
Morgens halb zehn in Roma: Nein, anders als in der „Knoppers“-Werbung, die vor einigen Jahren auf deutschen Fernsehkanälen ausgestrahlt wurde, verdrückte man im antiken Rom kein süßes Frühstückchen (ich habe aber auch berechtigte Zweifel, dass jemals in Deutschland auf die Knoppers-Art gefrühstückt wurde).
Nach einigen Ausflügen in die Mythologie und in die merkwürdige Lebenswelt des Cato ist es nun an der Zeit, einmal den Römern auf den Zahn zu fühlen. Besser gesagt den Dingen, die sie ihren Zähnen zu fühlen gaben.
Zuerst einmal einige Vorbemerkungen: Vergessen Sie alle unsere Dauerbrenner aus der Neuen Welt. Keine Erdäpfel, Paradeiser, Mais, Paprika oder Kakao. Auch kein Espresso – der Kaffee wird erst viele Jahrhunderte später den Weg aus Ostafrika über Arabien (und den berühmten, zurückgelassenen Säcken Kaffee vor den Toren Wiens) nach Italien finden.
Dann vergessen Sie einmal alles, was Sie womöglich aus dem Lateinunterricht noch über die Essensgewohnheiten der Römer zu wissen glauben. Was uns die Schriftsteller, die alle aus der römischen Adelsschicht stammten, über ihre Gastmähler erzählten, hatte mit der Realität der normalen Bevölkerung wenig zu tun. Das wäre, als würde man über die Wiener des 19. Jahrhunderts sagen, sie seien 17 Stunden am Tag im Kaffeehaus gesessen und hätten sich nur von Sacher-Torte und Melange ernährt. Die Römer aßen natürlich auch nicht nur glasierte Siebenschläfer und mit Tauben gefüllte Schweine zum Abendessen, von denen der Satiriker Petronius in seiner Schilderung des Gastmahls bei Trimalchio erzählt. Im Gegenteil, der Speiseplan der Römer erweist sich als sehr viel nüchterner.
Das Hauptnahrungsmittel der Römer war die puls. Ein in Salzwasser gekochter Getreidebrei, dem man je nach Geschmack und Verfügbarkeit Gemüse, Kräuter oder auch Speck beifügte. Nicht gerade sehr aufregend. Puls zu kochen war auch eine der Hauptaufgaben der römischen Legionäre in ihren Lagern – neben dem Patrouillen- und Baudienst. Die römischen Soldaten legten also vor 2000 Jahren nicht nur die ersten Straßen Wiens an, sie gründeten auch die ersten „Italiener“.
Der römische Alltag – nach Mahlzeiten geordnet
Aber sehen wir uns einen typischen römischen Tag einmal an: Der Alltag der Römer (wie auch jener der meisten Menschen vor der Industrialisierung) war an der Sonne orientiert. Dies hieß, dass man mit der Sonne aufstand und mit deren Untergang auch schlafen ging. Zum Frühstück (lat. ientaculum) aßen die Römer sehr wenig, ähnlich wie die heutigen Italiener. Statt Espresso und Cornetto wurden in Rom aber – außer puls – Brot, Käse, moretum (eine Art Kräutertopfen) und Olivenöl verzehrt. Betuchtere Römer fetteten ihr Frühstück etwa durch Gemüse, Obst, Oliven und Honig auf. Das Getränk der Wahl war in Rom zu jeder Tageszeit und durch alle Schichten hindurch der mit Wasser verdünnte Wein, da normales Wasser meist äußerst verschmutzt und mit Keimen verseucht war.
Darauf verließ der Römer seine oft schäbige Behausung – viele Römer wohnten in insulae, also Mietskasernen, wobei die Betonung auf Kaserne liegt. Kein fließend Wasser, keine Küche, aber viele Menschen auf engem Raum (hier bietet sich schon wieder der Vergleich mit dem Wien des 19. Jahrhunderts an). Daher verbrachte der durchschnittliche Bürger seinen Alltag im öffentlichen Raum.
So war auch das Mittagessen (lat. prandium) ein Termin, der in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde und die Römer in die Garküche (lat. thermopolium, von den altgriechischen Wörtern für „warm“ und „verkaufen“) führte. Diese Lokalitäten sind auch heute noch zu bewundern und erstaunen aufgrund ihrer Beschaffenheit jedes Jahr tausende von Touristen in Pompeji, Herculaneum oder Ostia. Denn man kann sich diese Lokale immer noch recht gut vorstellen: Man sieht noch die Theken, die zur Straßenseite hin ausgerichtet waren und in die große Töpfe eingelassen waren, die das Essen und den Wein enthielten. Man konnte aber auch in den Gastraum hineingehen und sein Essen dort genießen. Für die Besucher, die zu viel Wein erwischt hatten, standen auch Räume im Obergeschoss zur Verfügung, um den Rausch auszuschlafen. Falls noch Nachtbegleitung erwünscht war, konnte auch dies in einem thermopolium arrangiert werden. Es handelte sich also um einen Allround-Dienstleister.
Was die angebotenen Speisen angeht, so waren dies recht einfache Speisen, welche die Töpfe am Straßenrand ausspuckten. Die in Pompeji und Herculaneum gefundenen Speisereste deuten auf ganz einfache Mahlzeiten hin, die Nüsse, Bohnen und Erbsen enthielten. Ob es sich aber um warme Speisen, wie der Name der Lokale suggeriert, oder um getrocknete handelt, ist noch nicht geklärt (bei frischen, warmen Speisen stellt sich die Frage, wie die großen eingemauerten Töpfe hätten gereinigt werden sollen). Auf jeden Fall gab sich der Römer zu Mittag nur einem kleinen schnellen Snack hin, bevor er sich wieder seinen Aufgaben p(ost) m(eridiem) zuwendete.
Am späten Nachmittag schließlich, nach einem anstrengenden Arbeitstag oder, sofern man der gehobenen Schicht angehörte, nach einem langen Tag am Forum, auf dem Sportplatz und in der Therme, gönnten sich die Römer das Abendessen (lat. cena). Diese Mahlzeit dauerte länger, konnte aus mehreren Gängen bestehen und sich auch über längere Zeit ziehen.
Auch hier gilt: Je mehr man sich leisten konnte und wollte, desto mehr wurde bei der cena geboten: Während bei armen Menschen auch hier puls oder Brot den Magen füllte, gab es in reicheren Haushalten mehrere Gänge, bestehend aus Fleisch, Fisch, Pilzen, Gemüse und sogar Eis (lat. gelatum), das im Winter aus den Bergen herangeschafft und im Keller gelagert wurde.
Begleitet werden konnte das Abendessen je nach Lust und Laune von Musikern, philosophischen Debatten oder auch Tänzerinnen, wobei das Aufkommen dieser Tradition bei den konservativeren Anhängern der Oberschicht auf starke Ablehnung stieß. Während die ärmeren Schichten nach der cena mit etwas puls im Magen bald nach Sonnenuntergang schlafen gingen, um genug Schlaf für den nächsten Arbeitstag zu bekommen, tranken, aßen und philosophierten betuchtere Römer gerne den ganzen Abend lang.
Diese Sitte des Symposions schauten sich die Römer übrigens – wie so vieles – von den Griechen ab, bei denen Trinken und Philosophieren eng miteinander verbunden waren. Nicht umsonst heißt es vom Urvater der Philosophie, Sokrates, dass er der trinkfesteste unter allen Athenern gewesen sei. Während viele seiner Gefährten bei den Gelagen irgendwann die Orientierung verloren und eindösten, hielt er es mit dem Alkohol und dem Philosophieren ohne Probleme bis in die Morgenstunden aus. Gut möglich, dass er bei dieser Gelegenheit irgendwann zu der Erkenntnis kam, mit Sicherheit nur eines zu wissen. Nämlich nichts.
Niklas Rafetseder ist Magister des Lehramtes Geschichte und Latein sowie Doktorand am Institut der Alten Geschichte in Wien. Seine Texte entführen in längst vergangene Zeiten und nehmen den Leser mit auf eine historische wie kulinarische Reise, auf der man erfährt, welche Speisen der große Dichter Homer seinen Helden servierte und auf welche Weise die Römer ihr Essen zubereiteten.
Teil 1: „Außerdem schmeckt es gut“ – Was uns Cato der Ältere über Kohl lehrt