Die Welt bei 23°
Ein Wiener Verein arbeitet an einer Webplattform zum Visualisieren von Daten in Form interaktiver Landkarten. Wir haben uns das Projekt 23 Degree erklären lassen.
Verständnis für globale Zusammenhänge erzeugen, indem man sie auf Landkarten und in Infografiken darstellt; das ist der Plan, den das Team vom Verein Feel The World umsetzen möchte. Der Anfang dazu ist gemacht und inzwischen wurde 23° mit dem Content Award der Stadt Wien ausgezeichnet. 23° bedeutet Stories schreiben, Maplogs kuratieren, Petitionen bestärken, Orte erkunden, Daten verstehen, Karten erstellen, Probleme wahrnehmen, Themen abonnieren, Artikel verlinken, Daten beitragen, Debatten führen, heisst es auf der Website. Wir wollten das genauer wissen. Johannes Jäschke hat uns im Interview erklärt, was die Visualisierungs-Plattform ausmacht.
Lässt sich in einem Satz beschreiben, was 23° ist, oder einmal sein möchte?
Ein unabhängiges, umfangreiches, interaktives Nachschlagewerk für Krisen und Probleme der Welt oder ein zeitgemäßer, interaktiver Atlas.
Was ist neu am Visualisieren von Daten, wie 23° es betreibt?
Unsere Arbeit bei 23° verstehen wir als eine Spielart von Wissenschaftskommunikation, da wir an einer Schnittstelle zwischen Wissenschaft und interessierter Öffentlichkeit sitzen. Ein Teil unseres Teams kommt selbst aus der Wissenschaft und wir wissen um die Unzugänglichkeiten des Wissenschaftsbetriebs, gerade bezüglich der adäquaten Kommunikation ihres Outputs. Gleiches gilt übrigens für politisch relevante Themenfelder, wo die meisten handelnden Akteure auch eigene Agenden haben. Wir dagegen sind neutral und unabhängig und möchten den Nutzern die Freiheit geben, eigene Schwerpunkte zu setzen. Nutzer können Themenfelder individuell auswählen, gezielt ganze Regionen unter die Lupe nehmen und so sinnvolle Vergleiche anstellen. Das macht es dann leichter, auch die Zusammenhänge von Problemen besser nachzuvollziehen und zu verstehen. Genau das Darstellen solcher komplexer Zusammenhänge auf zugängliche Weise ist unser Kernanliegen. Dafür entwickeln wir ein bedienungsfreundliches Interface mit umfangreichen Möglichkeiten, Daten zu visualisieren und in Kontext zu setzen.
Auf eurer Website heißt es, 23° bringe NGOs, Journalisten, Experten etc. zusammen, um die Welt zu verändern. Klingt gut. Wie genau macht ihr das?
Unsere Art der Darstellung und Aufbereitung von Daten soll es Experten – von institutionellen Organisationen bis hin zu NGOs – ermöglichen, ihre Arbeit einer interessierten Öffentlichkeit jenseits des Elfenbeinturms zugänglich zu machen. Wir helfen dabei, dass auch Laien fundiertes Expertenwissen verstehen und nutzen können ohne selbst Experte werden zu müssen, wie das ja sonst oft der Fall ist. Wir erhoffen oder wünschen uns, dass auch Journalisten so auf einfachem Weg an gut nutzbare Daten und Datenvisualisierungen gelangen. So können wir einen kleinen Beitrag zu einer Welt leisten, in der seriöser Journalismus leichter und niederschwelliger machbar ist. Vielleicht können dadurch sogar ein paar Berührungsängste zwischen Wissenschaft, Journalismus und Publikum abgebaut werden.
Und woran wird bei eurer Plattform gerade ganz konkret gearbeitet?
Der Atlas ist in seinen Grundfunktionen weitgehend fertig. Momentan arbeiten wir an einer Erweiterung der Darstellungsmöglichkeiten, um auch dynamische Prozesse abbilden zu können, darunter fallen etwa Geldströme, Importe und Exporte oder Migrationsbewegungen. Dabei liegt ein wesentlicher Schwerpunkt auch auf dem Prozess der Erstellung schöner und funktional an die Daten angepasster Infografiken. Die Nutzer sollen am Ende die Möglichkeit haben, mit wenig Aufwand zu den jeweiligen Daten passende Infografiken zu generieren und Aussehen und Ästhetik zu beeinflussen.
Die Rede ist von Visualisierungs-, Storytelling- und Recherchetools. Gibt es so etwas wie das Tool, das verglichen, mit allem, was man bisher so kennt, bei 23° den größten Mehrwert bietet?
Der größte Mehrwert entsteht wahrscheinlich aus der transparenten Vernetzung verschiedener Daten in unserem Atlas, um das Verstehen komplexer Zusammenhänge niederschwellig zu ermöglichen. Mit den Visualisierungs- und Storytelling-Tools kann man dann sein Wissen oder die entstandenen Einsichten auch mit anderen Menschen teilen – sei es durch Einbettung auf anderen Websites oder in Social Media Streams. Ein Tool oder ein Website, das dies bewerkstelligt, ist uns bisher nicht bekannt, sonst hätten wir das Projekt wahrscheinlich nicht gestartet.
Wer soll 23° mit Daten füttern? Sollen das die Nutzer selbst tun, oder wird es dafür langfristig das Team hinter 23° brauchen?
Langfristig werden Nutzer und mit uns kooperierende NGOs ihren Teil dazu beitragen, spezifische oder selbst erhobene Datensätze verfügbar zu machen. Parallel dazu werden auch wir unsere Datenbank laufend um neue oder aktualisierte Datensätze erweitern.
Und gibt es auf eurer Plattform bereits interessante Daten?
Ja! Derzeit haben wir etwa 250 relevante – sprich: auch für ein Laienpublikum interessante – Datensätze aufbereitet in der Datenbank. Öffentlich verfügbar sind momentan zwei, zum einen ein interaktives Konfliktbarometer, das in Zusammenarbeit mit dem Heidelberger Institut für internationale Konfliktforschung entstanden ist, zum anderen der Environmental Performance Index EPI, der die ökologische Leistungsbilanz von Staaten erhebt und uns so Einblick in Fortschritt und Effizienz der Anstrengungen im nachhaltigen Umgang mit den regionalen Ökosystemen verschafft. Der EPI ist ein gutes Anschauungsbeispiel für unsere Vorstellung der Datenpräsentation auf einer Karte. In den nächsten Wochen werden nach und nach mehr Datensätze verfügbar sein, im Sommer dann schon ein paar hundert.
Wer sind die Leute hinter 23°?
Wir sind ein großes, bunt gemischtes Team, das stetig noch weiter wächst. Das Kernteam hat sich schon Ende 2014 aus Menschen mit unterschiedlichen Expertisen, wie zum Beispiel Ökonomie, Grafik und Biologie, zusammengefunden. Mitte 2015 haben wir nach einer Ausschreibung dann noch eine Menge wunderbarer, freiwilliger Helfer für unser Projekt gewinnen können. So haben wir jetzt Hilfe an allen Ecken und Enden, sei es in Social Media, PR oder Daten-Recherche. Auch viele Freunde und Bekannte, die an das Projekt glauben, steuern ihr Können an entsprechender Stelle bei.
Wie habt ihr den Start eurer Plattform finanziert?
Wir haben eine AWS XS-Förderung erhalten, die Machbarkeitsprüfungen von Projekten unterstützen soll. Mit dieser Förderung können wir die Programmierung der Plattform finanzieren. Momentan arbeiten wir aber ansonsten alle neben unseren anderen Jobs und Studiengängen, die natürlich etwas zu kurz kommen, ehrenamtlich an 23°.
Und das langfristig Geschäftsmodell von 23°, wie stellt ihr euch das vor? Sollen User zahlen, sollen jene Zahlen, die Daten bereitstellen, wird es Werbung geben?
Ein klassisches Geschäftsmodell können und wollen wir als gemeinnütziger Verein gar nicht realisieren. 23° wird für alle NutzerInnen gratis sein und bleiben. Unser Ziel ist es schließlich, Informationen frei zugänglich und es Interessierten leicht zu machen, in Themen einzutauchen. Auch die Datengeber werden keine Kosten tragen, das widerspräche ja auch komplett dem Open Data Ansatz. Bisher planen wir auch nicht mit klassischer Werbung, sondern hoffen auf Sponsoren, die wir mit unserer Idee begeistern können. Außerdem wollen wir damit nicht reich werden, wir wollen die Welt reicher machen.
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