Peter Zellmann im Interview – Die Urlaubsrepublik Österreich im Überblick
Wie werden Österreicher in 20 Jahren ihren Urlaub verbringen und welche Gäste besuchen auch in 30 Jahren noch unsere Alpenrepublik? Peter Zellmann, Experte für Tourismusforschung, wirft gemeinsam mit BIORAMA einen Blick in die Zukunft.
Peter Zellmann ist Leiter des Wiener Instituts für Freitzeit- und Tourismusforschung und daher der Ansprechpartner, wenn es gilt, der Zukunft unseres Reiseverhaltens sowie dem der Gäste in unserem Land auf den Grund zu gehen. In seinem aktuellen Buch „Die Urlaubsrepublik“ bringt Zellmann Zahlen, Daten und Fakten über den Tourismus in Österreich auf den Punkt und räumt mit Klischees und Vorurteilen auf.
Seit den frühen 80ern geht der Schneefall in den Alpen massiv zurück. Laut Studien rückt die Schneefallgrenze immer weiter in die Höhe. Dadurch werden einst schneesichere Gebiete zu schneefreien Orten. Brauchen die Alpen vielleicht einfach neue Wintersportarten und wie könnten die aussehen?
Das kann man pauschal für den Alpenraum in Österreich nicht sagen. Durch die Erderwärmung kann sich der Rückgang der Schneefallgrenze lokal unterschiedlich äußern. Eine komplette Änderung des Angebots wäre somit verfrüht und kontraproduktiv. Man muss sich aber innerhalb der kommenden 20 Jahre darauf einstellen, dass sich das Schi-Opening vom Dezember manchmal auf den Jänner verschieben wird. Schifahren und Snowboarden werden aber auch in den nächsten 15 Jahren die Hauptwintersportarten in den Alpen bleiben, da die aktuelle Generation diese Sportarten gelernt hat. Winter ohne Schnee in mittleren Höhenlagen wird es, wenn überhaupt, frühestens in 20 Jahren geben und ich warne vor einer Alternativ-Euphorie, da Alternativangebote höchstens zur Überbrückung dienen können
Werden die Skigebiete der Alpen immer teurer und zu reinen Luxus-Destinationen, oder bleibt Sport im Schnee irgendwo erschwinglich?
Dass Schisport immer teurer werden würde, ist ein Missverständnis. Schiurlaub war immer schon ein Angebot an die gehobene Mittelschicht und daher immer eher ein Luxus-Angebot. Es stimmt zwar, dass über 60 Prozent der Österreicher nicht mehr Schi fahren, aber das liegt daran, dass sich die Bürger der Ostregion Österreichs aufgrund der Ferne der Wintersportgebiete und des Rückganges der Schulskikurse nicht mehr so sehr für den Schisport begeistern und so hat sich der Schisport als Volkssport der Österreicher verabschiedet.
Müssen Mountain-Biker und andere Extremsportler noch stärker als bisher als Tourismus-Zielgruppen angesprochen werden?
Es gibt einige klassische Sportarten, die von Österreichern gerne und oft ausgeübt werden. Dazu gehören Schifahren, Wandern, Schwimmen, Laufen und Radfahren. Mountainbiking ist ein Minderheitensport und wird es auch bleiben. Verstärkt auf Mountainbiker als Touristen zu setzen, kann also nur bedingt funktionieren und ist höchstens, wie bisher, als Alternativ- oder Zusatzangebot denkbar.
Was ist die Besonderheit des österreichischen Alpentourismus im Vergleich mit anderen Regionen des Alpenraums?
Die Besonderheit des österreichischen Alpenraumes liegt in der vielfältigen Landschaft, bestehend aus Mittelgebirgen und Seen. Das Hochgebirge, wie es zum Beispiel in der Schweiz dominiert, ist für den Massentourismus im Sommer wie im Winter ohnehin nicht interessant. Aber natürlich gilt es auch, die Vielfalt der Bergwelt für dementsprechende Angebote zu nutzen. Überall dort, wo man Angebote findet, die mit der Liebe zum Detail gestaltet wurden, wird der Tourismus auch funktionieren. Die Betreiber müssen im Detail auf die individuellen Wünsche der Urlauber eingehen. So kann der Alpenraum auch in 20 Jahren noch mit innovativen Angeboten punkten.
Was macht eigentlich Kärnten und die Steiermark zu den beliebtesten Zielen für österreichische Urlauber, während die ausländischen Gäste lieber nach Tirol und Salzburg fahren?
Ostösterreicher schätzen zum einen die örtliche Nähe von Kärnten und Steiermark und zum anderen die Vielfalt der Topografie. Ausländische Gäste wollen das österreichische Image kennenlernen und schätzen daher das klassische alpine Angebot bzw. den Mix aus Bergen und Seen. Für einen reinen Badeurlaub im Sommer ist das Wetter in Österreich zu unbeständig.
Werden landwirtschaftliche und kulinarische Produkte in Zukunft eine noch größere Rolle für den Alpentourismus spielen?
Das landwirtschaftliche und kulinarische Angebot hat mit einem besonderen Tourismusangebot eher wenig zu tun. Regionale Produkte sind zwar für „Ausflugs-Touristen“ interessant, aber „Kulinarik“ bietet jede Region an und ist nichts, womit man besonders herausstechen kann. Die regionale Verschiedenartigkeit der Küche ist noch kein Qualitätsmerkmal. Bei Urlaub am Bauernhof sieht die Sache aber wieder anders aus. Dieses Angebot hat sich sehr gut entwickelt und ist mittlerweile ein wichtiger Faktor in der Alpenregion. Dort lassen sich auch heimische Produkte sehr gut vermarkten. Diese Nische wird in Zukunft immer größer werden. Dazu muss aber die Landwirtschaft stärker als bisher als Partner des Tourismus gewonnen werden.
Von welcher Alpenregion können Touristiker des Alpenraums Ihrer Meinung nach heute am meisten lernen?
Die meisten Regionen punkten mit ihren eigenen Vorzügen, die sich nicht auf andere Regionen übertragen lassen. Jeder Betrieb und jede Region muss ihr Angebot mit Liebe zum Detail erstellen, die Wünsche der Gäste von ihren Augen ablesen und familiäre Nähe schaffen. Auf dieser Basis entstehen interessante und individuelle Angebote. Auch Erlebnisse zu schaffen, wird immer wichtiger, so dass die Besucher etwas Besonderes mit nach Hause nehmen.
Welche Erlebnisse können das sein?
Das kann alles sein, was die Gäste auch lange nach dem Urlaub noch mit der jeweiligen Region oder den Gastgebern in Verbindung bringen. Etwas, das nur sie erlebt haben.
In Südtirol wird heute schon mehr Geld mit Urlaub am Bauernhof als mit Wein verdient. Könnten andere Regionen sich auch so vermarkten?
Ja, das kann zum Beispiel auch Urlaub am Winzerhof im Burgenland sein. Den Lebensstil am Land kennenzulernen, ist für Großstädter sehr interessant. Dieses Konzept ist aber kein Selbstläufer, dazu muss man auf die Gäste eingehen, um Stammkunden zu lukrieren.
Gibt es Ihrer Ansicht nach bestimmte Tourismuspotenziale, die bislang noch kaum oder gar nicht ausgeschöpft werden?
Eigentlich nicht. Das vorhandene Potential wird sehr gut genutzt. Touristiker sind zwar gefordert, manchmal auch wirklich Neues zu kreieren, doch ob diese „neuen Potentiale“ dann letztlich auch genutzt werden, wird sich immer erst im Nachhinein herausstellen.
Sie sprechen in Ihrem Buch von Fallen auf dem Weg in die Tourismuszukunft. Wie kann man sich diese Fallen vorstellen?
Die größte Falle ist mit Sicherheit die, dass die volkswirtschaftliche Bedeutung der Tourismus- und Freizeitwirtschaft für Österreich dramatisch unterschätzt wird. Immerhin ist jeder dritte Österreicher beruflich vom Tourismus zumindest teilweise oder indirekt abhängig. Der Freizeit- und Tourismussektor ist etwa genauso bedeutend wie der der Bauwirtschaft und der Industrie. Auch das Spiel mit den Tourismuszahlen in den Medien ist eine solche Falle.
Arbeiten die Medien denn mit falschen Zahlen?
Oft wird falsch oder ungenau berichtet, so dass ein irreführendes Bild entsteht. Zum Beispiel dann, wenn über Prognosen berichtet wird. Die Zahl der Menschen, die bei einer Umfrage angeben, im kommenden Jahr auf Urlaub fahren zu wollen, hat meist nichts mit der tatsächlichen Anzahl an Urlaubern zu tun. Eine weitere Falle kann sein, dass Qualität oft einseitig mit hochpreisig gleichgesetzt wird. Das stimmt so nicht, denn auch die Mittelschicht verlangt im Urlaub Qualität. Qualität zu bieten bedeutet Erwartungshaltungen zu erfüllen.
Wird es in Zukunft eine Kluft zwischen Billigangeboten und Urlaub für Wohlhabende geben?
Diese beiden Marktsegmente gibt es und wird es auch in Zukunft geben. Man darf nicht vergessen, dass 90 Prozent des Freizeit- und Tourismusumsatzes mit einem Drittel der Bevölkerung gemacht wird. Zwei Drittel tragen somit kaum zum Umsatz bei und daran wird sich auch nicht viel ändern.
Werden Österreich die typischen Städtetouristen in Zukunft erhalten bleiben? Kann Österreich mit Stephansdom und Mozart-Image noch punkten?
Der Städtetourismus ist verlässlich und wird es auch bleiben. Der Erfolg des Städtetourismus liegt hauptsächlich darin, dass Europäer gerne Europa kennenlernen. 80 Prozent der Städtetouristen stammen aus Europa, vor allem aus den Nachbarländern. Der einzige mögliche Dämpfer ist die Angst der Menschen vor weiteren Terroranschlägen in Großstädten.