Wurst mit Hirn

Guerilla Kitchen mit Hendrik Haase aka Wurstsack © Daniela Banner

Wieso wollen eigentlich alle mit Essen Geld verdienen, aber die wenigsten es selbst produzieren? BIORAMA hat sich mit dem Wurstsack über Food Apps und den Umgang mit Produzenten unterhalten. 

Hendrik Haase aka Wurstsack ist so etwas wie ein inoffizieller Wurstlobbyist. Der Foodblogger, -aktivist und Autor betreibt seit Kurzem eine Metzgerei in Berlin Kreuzberg, mit speziellem Augenmerk auf Qualität und Handwerk. Dabei sind ihm der bewusste Produktions-Prozess an sich, die Entschleunigung und die Herkunft der Zutaten wichtig.

BIld: Hendrik Haase

BIld: Hendrik Haase

In Ihrem letzten Instagram Posting kritisieren Sie ursprungsferne Unternehmen im Lebensmittelbereich. Die meisten Unternehmen verdienen am Verkauf und an der Lieferung. Können Sie das etwas genauer erklären?

Also ich will nicht alle in eine Tonne werfen. Ich will auch nicht sagen, dass Logistik irgendwie verwerflich ist. Wir brauchen auch dringend Dienste oder Ideen dafür, wie man regionale Lebensmittel zu Leuten bringt, die in der Stadt leben. Ich habe nur mittlerweile den Eindruck, dass wir, am Beispiel meiner Metzgerei, regelmäßig Nachfragen bekommen, wie: „Könnt ihr uns beliefern?“. Ich merke dadurch, dass sich vor allem die unternehmerische Kreativität und auch die unternehmerische Kraft – weil da steckt ja auch viel Geld, Gehirnschmalz und viel Arbeit hinter –, nur auf den Prozess konzentriert, auf Vertrieb und auf Lieferung und zwar vor allem auch auf das Digitale. Damit meine ich, dass sehr schnell coole Apps, Websites, Bilder und Videos gemacht werden. Was aber vergessen wird: dass das Produkt und auch die Lieferung als solches und vor allem der Umgang mit den Produzenten meistens weit hinten ansteht.

Gibt es ein konkretes Beispiel?

Da kenne ich einen Produzenten, mit dem ich mehrmals gesprochen habe. Da sind Leute zu ihm auf den Hof gekommen, die fanden das alles ganz toll, was er macht, kamen im schönen, teuren Mietauto, hatten coole Sneakers an und meinten: „Super, ich will deine ganzen Produkte kaufen!“ Dann fahren sie nach Hause, stellen alle Produkte des Hofes online, verkaufen quasi deren eigenes Image, deren Marke, deren Reputation. Ich weiß von einigen Produzenten, die da nicht mehr mitspielen und abgesprungen sind. Ihr Standpunkt ist: „Die spinnen ja wohl! Null für mich engagiert, nutzen eigentlich nur das, was ich hier aufgebaut habe und verdienen damit Geld, indem sie dann noch die Prozente draufschlagen.“

Und da herrscht für mich momentan einfach Intransparenz – auch was die Fairness angeht. Da werden irgendwelche Slowfood-Sticker verwendet, weil man bei Slowfood relativ einfach Unterstützer-Label erwerben kann. Das heißt dann im Grunde genommen nicht, dass man Slowfood bekommt, sondern als Lieferdienst sagen kann: „Ich unterstütze Slowfood“. Für die breite Masse draußen sieht das aber anders aus. Überprüfen tut keiner, ob auch wirklich fair bezahlt wird. Das Ding ist dann, dass einigen Produzenten Geld abgezogen wird, das eigentlich ihnen zustehen würde, weil sie ja die ganze Arbeit machen. Das ist mir in letzter Zeit einfach sauer aufgestoßen.

Warum machen sich so wenige Leute als Produzenten selbstständig?

Ich möchte den Menschen, mit denen wir zu tun haben, nicht unterstellen, dass sie bösartig sind, oder ausbeuterisch. Aber sie haben oft wenig Ahnung von der Situation auf den Höfen.

Ich weiß nicht wie es in Wien ist. Aber in Berlin und drum herum sterben gerade die Höfe, es gibt sehr wenige neue Hofgründungen. Es fehlt an jungen Produzenten, die wirklich am Ursprung anfangen, Gemüse oder Fleisch zu produzieren, Wurst zu machen, Brot zu backen.

Diese werden immer weniger, aber die Leute, die sich coole Apps ausdenken, mit denen man kochen kann und mit denen man kleine Kochpakete bestellen kann, die werden immer mehr. Die haben auch medial große Aufmerksamkeit. Woran es aber fehlt, das sind die kleinen Produzenten, die ein Unternehmen starten.

Die meisten dieser App-Gründer sitzen dann bequem in der warmen Stube und programmieren eine Website. Vielleicht lässt man die dann auch noch von irgendwelchen billigen Programmierern irgendwo programmieren. Das ist alles nicht so mühsam. Aber einen Bauernhof zu starten, eine neue Gemüseproduktion zu starten, eine Bäckerei aufzumachen, das ist aufwändiger und eine unternehmerische Verantwortung, die scheinbar keiner mehr tragen möchte.

Haben Sie damit persönlich Erfahrungen gemacht?

Es ist so, dass ich kaum vertrauenswürdige Partner finde. Ich will ja auch gerne über solche Dienste etwas verkaufen, aber ich möchte da auch wissen, was der Partner wirklich für den Produzenten tut. Es reicht nicht, dass die Leute die Produkte vertreiben. Also, wenn ich jetzt wieder an meine kleine Metzgerei denke, dann müsste ich ja auch noch jemanden einstellen, der die Gewürze und alles, was wir produzieren in Plastik einschweißt und zwar in Miniportionen, weil die meisten Leute ja keinen ganzen Leberkäse, sondern nur ein paar hundert Gramm bestellen. Da frage ich mich dann, wo der Gesamtgedanke bleibt.

Das Bedürfnis ist da, die Sehnsucht ist da, das Thema ist da, nur die Umsetzung fehlt.

Wenn ich dann, wie vor Kurzem, überall Werbung für Liefer-Apps und jetzt das 5. oder 6. Plakat sehe, mit irgendeinem „foodoo“, „foodohudu“, da frage ich mich, ob da der Gerhirnschmalz und die Energie junger Leute richtig angelegt ist. Oder ob die sich nicht überlegen sollten: „Wir machen mal lieber eine Bäckerei oder eine Metzgerei auf, oder lasst uns mal wieder zum Bauernhof fahren“.

Wurstsack will, dass sich etwas ändert © Daniela Banner

Glauben Sie das Problem liegt daran, dass es an der Wertschätzung für Bauern fehlt? Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?

Das commitment muss sich ändern. Wir haben meiner Meinung nach eine Kultur, die sehr kurzfristig angelegt ist. Leute denken, auch bei Lebensmittelverschwendung und gerade auch bei regionalen und guten, sauberen, fairen Lebensmitteln zu kurz.

Eine Metzgerei aufzumachen, Bauern zu finden, die einen beliefern, die Naturdärme zu finden, nicht die Plastikdärme zu verwenden, gute Gewürze zu kriegen, gute Metzger zu finden, gute Rezepte zu haben, das Zeug zu produzieren, zu kühlen, zu lagern, rauszuhauen und dann noch Leute anzustellen und die zu bezahlen, das ist alles ein riesiges commitment. Also das heißt eine unternehmerische Verantwortung, die weit in die Zukunft reicht.

Diese Einstellung „Ich hole mir jetzt mal zwei Millionen € von einem komischen Investor für ein Start-up, weil ja grade Regionalität und Apps in sind“, scheint der einfachere Weg. Da geht’s irgendwann nur ums Verkaufen des ganzen Unternehmens und nicht mehr um die Werte mit denen geworben wird.

Viele wollen also einfach nur Apps verkaufen?

Es ist ja bei Start-ups so, dass sie immer diese Fremdfinanzierung drin haben, d.h. man hat da irgendwie zwei Equity-Fronten drin. Also bei diesen Investments geht es aus meiner Sicht weniger darum, ideell auch was für die Region zu tun, sondern da wird Geld reingepumpt um das Ding irgendwann später richtig teuer zu verkaufen.

Gibt es abgesehen von der Lebensmittelindustrie noch andere Bereiche in denen Sie Ähnliches beobachten?

Ja, bei den Textilien ist das zum Beispiel sehr ähnlich. Da werden dann biologische und nachhaltig faire Stoffe verwendet und man vergisst dabei, dass das Produkt auch genäht werden muss. Und genäht wird dann trotzdem wieder in Bangladesch – auch weil es einfacher ist, sich eine Zertifizierung zu holen und irgendwo anders produzieren zu lassen.

Die richtige Veränderung in der Produktion wäre im Grunde genommen vorzuproduzieren. Das wird dann aber auch wieder schwierig, weil man dann merkt, dass man Räume finden muss, Näher finden muss, die man fair bezahlen und versichern muss. Wenn man das beachtet, hätte man beispielweise ein T-Shirt aus einer Produktion, wo die soziale Nachhaltigkeitsdimension mitspielt und nicht nur einfach irgendwie Bio.

Deshalb sehe ich das eher armselig. Die Leute glauben, dass sie mit einem inspirierenden 3-Minuten TED-Talk die Welt retten könnten. Zwei Monate nach dem Talk wundert man sich aber, was denn eigentlich aus dieser Idee geworden ist. Keinem hilft die geniale Idee allein. Was den Leuten hilft, das ist die Umsetzung.

Wurstsack im Gespräch mit Produzenten © Andreas-Körner

Was wäre also für Sie ein nachhaltiger Ansatz?

Wenn man anfängt etwas umzusetzen, muss man Waren einkaufen, dann muss man sie verarbeiten, Leute anstellen. Das ist für mich ein Teil der Nachhaltigkeit. Dahin gehend kann man nicht sagen, wenn man Lebensmittel von A nach B fährt – sei es mit einer App oder mit dem Fahrrad, oder was auch immer – wäre nachhaltig.

Nachhaltig wird es erst dann, wenn es Leuten einen Job gibt und wenn es vor allem die Produzenten erhält. All das tun diese Apps oder Website-Dienste nicht. Von daher mangelt es einfach an unternehmerischem Verantwortungsgefühl und ganzheitlichem Denken.

Deswegen sage ich: Wenn ich so eine App angehen würde, dann würde ich zuerst mal auf einen Bauernhof fahren und 20 Bauern fragen, mich mit denen unterhalten, vielleicht ein zweimonatiges Praktikum machen und mir dann erst überlegen, was man mit denen Sinnvolles machen könnte. Und ich würde mich nicht in irgendeiner Großstadt hinsetzen und feststellen, dass ich nichts zu liefern habe, weil es da ja keine Bauern mehr gibt. Wobei ich das jetzt natürlich auch wirklich nicht so hinstellen will, als ob alle Apps schlecht wären, die so etwas machen oder die Bio-Klamotten verkaufen. Wir müssen da nur einen Schritt weiter gehen und in Richtung unternehmerische Verantwortung kommen – hin zum „Machen“ kommen.

Wenn wir als Generation etwas verändern wollen und wenn wir uns hinstellen wollen und sagen „Wir machen hier einiges anders“, dann müssen wir anfangen, vor Ort zu produzieren. Das tun Bauern, das tun Metzger, das tun Bäcker. Das müssten eigentlich auch wieder Textiler tun, Fahrradbauer, oder sonst was. Man kann nicht einfach nur sagen, man will sich hier etwas rausziehen und die besten Bio-Fahrradreifen haben und die werden wieder irgendwo in Indien zusammengeklöppelt. Da hat gar keiner etwas von – außer dem Händler, der wieder seine 20 Prozent oben drauf schlägt, genauso wie die Lieferdienste und davon wird eine Website programmiert, Marketing produziert und irgendwann profitiert der, der das Ganze verkauft. Nachhaltig sozial hat man dann eigentlich nichts produziert.Völlig abstrakt.

 

Hendrik Haase setzt sich als Wurstsack für die handwerkliche Produktion von Lebensmitteln – insbesondere Fleisch und Wurst – und gegen industrielle Massenware ein. 

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