„Auch ich habe Angst, aber …“

Conny

Schon lange reden wir über Flüchtlinge. Jetzt reden wir auch über Terror. Eine gefährliche Mischung im Diskurs. Das ist nur ein Grund, Cornelia Höfer aus Niederösterreich von ihren Erfahrungen mit einer Flüchtlingsfamilie berichten zu lassen. 

„Lange habe ich überlegt, ob ich diese Worte in die Weiten des Internet entlassen soll. Fast kindlich anmutend erscheint es mir selbst, wenn ich schreibe: Ich habe in den vergangenen Jahren viel gelernt. Über die Welt, die Menschen, mich selbst. Die Welt. Wie komplex sie funktioniert. Die Menschen. Wie sie scheinbar funktionieren. Mich selbst. Was all dies mit mir macht.

In der Vergangenheit haben mich viele Themen bewegt. Wenige so sehr wie jenes, das uns aktuell förmlich anspringt – in den Medien, auf der Straße, auf Wahlplakaten, bei Gesprächen am Nachbartisch im Lokal. Flüchtlinge.
Ohne Zweifel wird unsere Gesellschaft vor eine große Herausforderung gestellt, die nicht von allen gleichermaßen angenommen werden möchte. Was tun mit all diesen Menschen, traumatisiert, aus einem gänzlich anderen Kulturkreis, ohne Hab und Gut. In einem völligen Ausnahmezustand. Nicht wissend, was die Zukunft bringen wird. Schnell werden kritische Stimmen laut. Der Flüchtlingsstrom könnte eine ungeahnte Gewaltbereitschaft, misslungene Integrationsversuche, kulturelle Werteveränderungen in Europa und vieles mehr mit sich bringen.

Auch ich habe Angst, was all dies bedeutet. Wie diese große Herausforderung zu bewältigen ist. Welche Form der Hilfe ist angebracht und gibt es dabei Grenzen? Ich habe mich entschieden, mein Herz zu öffnen.

Ich habe mich zusammen mit einigen anderen einer Familie angenommen, die mich vieles gelehrt hat. Dass es tatsächlich nicht immer einfach ist. Dass es kulturelle Unterschiede, die sich im täglichen Alltag manifestieren, gibt und schnell für Missverständnisse sorgen. Dass wir uns in Glaubensfragen grundlegend unterscheiden. Dass Integration aufgrund vieler Faktoren nicht einfach gelingt. Dass wir viel voneinander lernen können. Dass sie eine besondere Willkommenskultur in ihrem Haus haben und ich täglich mit ungeahnter Gastfreundschaft empfangen werde. Dass sie eine Geschichte haben, die wir in unseren schlimmsten Albträumen nicht erleben möchten. Dass die absolute Entwurzelung schmerzt und Wunden der Erinnerung heilen müssen, um einen Schritt zur Integration möglich zu machen. Dass wir schlichtweg alle Menschen sind, gleich an Würde und Recht.

Flüchtlinge am Wiener Westbahnhof, September, 2015, Bild: Josh Zakary, Flickr, CC BY-NC 2.0

Flüchtlinge am Wiener Westbahnhof, September, 2015, Bild: Josh Zakary, Flickr, CC BY-NC 2.0

Dies wurde ihnen genommen. Denn sie wurden bedroht und all ihrer Habseligkeiten und Erinnerungen beraubt. Entschieden sich, vor Leid und Tod zu fliehen. Mussten Familienangehörige zurücklassen und sich auf eine Reise ins Ungewisse begeben.
Wir haben zusammen gelacht und geweint. Manchmal bin ich überfordert mit ihren Erzählungen, durchlebe eine Gefühlsmischung von Trauer und Wut. Aber auch Dankbarkeit dafür, dass sie mich vieles erkennen lassen. Und dafür, dass sie mir mit Worten oder einer Berührung so viel zurückgeben, sodass ich reich beschenkt zurückbleibe.
Warum schreibe ich das hier? Nicht, weil ich mir öffentlich selbst auf die Schulter klopfen möchte. Weil ich hoffe, zumindest eine einzige Person ‚anzustecken‘. Denn der Bedarf an Hilfe ist groß. Und die Zahl an tatsächlich für Familien sowie Einzelpersonen aktiven Helfern ist überschaubar. Es kostet Zeit und Kraft zu helfen. Aber es kann eine ungeahnte Bereicherung mit sich bringen, die ich nicht mehr missen möchte. Und wenn die nachfolgende Generation fragt, können wir zumindest behaupten, nicht nichts getan und beim Schauspiel des Weltwahnsinns nur zugesehen zu haben.“

Diesen Text hat Cornelia Höfer zunächst privat im Freundeskreis auf Facebook geteilt. Wir haben sie gefragt, ob sie Lust hat, ihre Beobachtungen mit einer größeren Öffentlichkeit zu teilen. 

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