Expo: Welternährung und Widersprüche
Über 140 Nationen und Organisationen gestalten die Weltausstellung zum Thema »Feeding the planet. Energy for life«, die bis Oktober 20 Mio. Besucher nach Mailand locken soll. Gesponsert wird das Mega-Event von Lebensmittelkonzernen.
Ausgerichtet vom Bureau International des Exposition (BIE) vereint die aktuelle Weltausstellung Slow Food und kulturelle Tradition mit Innovation und neuen Technologien. Die Expo ist eine architektonische und inhaltliche Reise quer durch die Kontinente. Auf einem Areal von über einem Quadratkilometer rücken sich Nationen und Organisationen ins beste Licht. Jeder Pavillon, jeder Messestand ist zugleich Aushängeschild, Werbeportal und Wirtschaftsmotor. 80 Pavillons zieren das riesige Ausstellungsgelände am Mailänder Stadtrand. Die erste Weltausstellung im Londoner Hyde Park beherbergte 1851 die industriellen Errungenschaften ihrer Zeit noch unter einem einzigen Dach, dem »Crystal Palace«, einer Konstruktion aus Eisen und Glas.
Gegenwärtig sprießen im »Feld der Ideen« des Deutschland-Pavillons Ideenkeimlinge in Form von riesigen weißen Membran-Dächern aus der sanft ansteigenden hölzernen Felder-Landschaft. Deutschland setzt dabei auf »Natur als Grundlage der Ernährung« und zeigt »Lösungsansätze für die Nahrungssicherheit der Zukunft«. Die Realität in Deutschland sieht (noch) anders aus: Über 90 Prozent des Schweinefleisches stammt aus Massentierhaltung, der Trend zu landwirtschaftlichen Großbetrieben hält an und riesige Mähdrescher-Kohorten ernten die endlosen Monokulturen. Der Weg von den Ideenkeimlingen zu sich manifestierenden Früchten des Wandels ist hart und steinig. Im Österreich-Pavillon lädt eine beeindruckende Waldatmosphäre ein, tief durchzuatmen. Die bis zu 15 Meter hohen Bäume, Sträucher und Gräser im Pavillon produzieren jede Stunde Sauerstoff für 1.800 Menschen. »Luft ist Nahrung« proklamiert Österreich, das zur Hochburg des Transit- und Binnenverkehrs gehört: Im Jahr 2014 donnerten laut VCÖ in Haid an der Westautobahn durchschnittlich 13.000 LKW täglich vorbei. Mahlzeit.
Solidarität statt Verschwendung
Elf Mio. Tonnen – oder 400.000 LKW-Ladungen – essbare Lebensmittel landen in Deutschland jährlich im Müll – damit könnte die Hälfte des Welthungers gestillt werden. Slow Food-Gründer Carlo Petrini fordert einen Wandel im Ernährungssystem. Die Expo solle sich stärker der Unter- und auch der Überernährung annehmen. Mehr als 800 Millionen Menschen leiden an Hunger und Mangelernährung, jeder neunte Mensch sozusagen. Dem gegenüber stehen 1,6 Mrd. Menschen, die gegen die Folgen von Übergewicht kämpfen. Den Missstand Welthunger thematisiert vor allem der Vatikan. Unterstützung findet er dabei von der Caritas International, die sich als »das Gewissen« der Expo 2015 bezeichnet. Papst Franziskus, der der feierlichen Eröffnungsfeier via Videocall beiwohnte, sieht die Expo als eine günstige Gelegenheit, um die Solidarität zu globalisieren. »Nehmt die Gesichter von den Männern und Frauen wahr, die Hunger leiden, die krank werden und sogar sterben aufgrund von mangelnder oder schädlicher Nahrung, wenn ihr durch die Pavillons wandert«, rief er die Menschen auf. Die Expo sei in gewisser Hinsicht Teil des von Papst Johannes Paul II. 1992 so bezeichneten »Paradox des Überflusses«, kritisiert der Papst, »wenn sie der Kultur der Verschwendung folgt und nicht zu einem Modell der fairen und nachhaltigen Entwicklung beiträgt.«
Wer Widersprüche sät, wird Proteste ernten
Die Aussteller bewerben Slow Food, gesunde Ernährung und die Ernährungsmodelle der Zukunft, während Lebensmittelkonzerne, Fast-Foodketten und Soft-Drink-Produzenten wie Nestlé, McDonald’s, Coca-Cola, Ferrero und andere zu den Hauptsponsoren gehören. Seit Mailand den Zuschlag für die Expo 2015 erhielt, hat sich das No-Expo-Movement gegen die Ausrichtung der Expo in Mailand eingesetzt. Für die benötigte Infrastruktur mussten landwirtschaftlich genutzte Flächen weichen, Korruptionsvorwürfe und Mafia-Verstrickungen begleiteten das Bauvorhaben. Der großteils friedliche Protest von 20.000 Expo-Gegnern wurde von radikalen Ausschreitungen und Kämpfen mit den örtlichen Einsatzkräften überschattet.
Eine Ausstellung, die Lösungen bringt? Oder doch nur eine große Werbeplattform der Industrie? Kontrovers wie keine andere birgt die Expo 2015 auch Potenzial wie keine andere. Die Besucher erhalten Einblick in Kultur und Küche von Afghanistan bis Zimbabwe. Sie sind eingeladen, (Koch-)Kulturen und Lebensmittel am eigenen Gaumen und Technologie und Innovation mit allen Sinnen zu erfahren und zu erforschen. Sie sind auch eingeladen, kritisch nachzusinnen über die Interessen von Großkonzernen, industrielle Lebensmittelproduktion und die Ernährung von morgen.
Expo 2015, Mailand
1.Mai – 31. Oktober
www.expo2015.org