Ich will so bleiben, wie ich bin – daraus wird wohl nix werden

Bild: Jed Sullivan, flickr

Weitermachen! Weiterwachsen! Die Maxime des Wirtschaftswachstums wird von der der Regenerativität abgelöst werden – entweder vor oder nach der Katastrophe, so Herbert Rauch und Ernst Schriefl von European Sustainable Development (Wien). 

Manche ahnen schon das Unvermeidbare: Ja, Regenerativität setzt irgendwo auch Verzicht voraus. Doch die Autoren nähern sich der Frage nach dem “Genug” nicht über die Selbstgeißelung und Entbehrung an, sondern lieber über den Zugang des “buen vivir” des ecuadorianischen Politikers Alberto Acosta: Das Erstreben von immer Besserem kann des guten Lebens Feind werden! – Das Motto ihres Buchs “Glo‐c‐al Balance, der Umbau der Titanic” lautet dementsprechend: “Nicht Arbeits‐, sondern LEBENSplätze sind Thema des 21. Jahrhunderts”. Wir haben Herbert Rauch gefragt, was sich ändern muss, damit künftig für alle genug da ist:

 

Ihr Buch trägt den Titel Glo-c-al Balance„. In welcher Hinsicht ist die Balance zwischen Globalem und Lokalem aus dem Gleichgewicht geraten? 

Herbert Rauch: Man kann damit die Balance zwischen Lokalem und Globalem als auch die innerhalb beider Ebenen selbst ansprechen. Die Gesamtsituation ist seit etwa 1960 („Die Grenzen des Wachstums“ wurden immerhin schon in 1972 geschrieben) zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte aus der Balance. Es geht insbesondere um eine ökologische Dimension, die Balance zwischen Natur und Kultur. Ich vermeide hier den Begriff Gleichgewicht, weil ich hier einen Bedeutungsunterschied sehe.

 

Sollen wir also Gleichgewicht oder Balance anstreben?

Balance bringt eine flexiblere Metapher ins Spiel als das Konzept des Gleichgewichts: Wenn man einer Henne einen Geldsack mit vielen Münzen um den Hals hängt, sodass die Henne sich weder „vor-zurück“ noch „links-rechts“ bewegen kann, hat man mit „gleichem Gewicht“ bewegungslose Ruhe hergestellt.

Seattle Municipal Archives, flickr

Seattle Municipal Archives, flickr

Balance kann man sich jedoch wie eine Schaukel vorstellen, wo immer wieder Ausgleich gesucht wird – durch angepasste Gewichtsverlagerungen (das wären umgelegt auf das ökologische Gleichgewicht beispelweise Gesetzesanpassungen in Kontextvernunft). Ein Ergebnis wäre, dass keiner an den Enden der Schaukelbalken zu fest auf den Boden aufschlägt, obwohl ständig Bewegung stattfindet.

Auf unser Problem umgelegt könnte das in Form einer Gesellschaft umgesetzt werden, die sowohl auf Suffizienz (maßvoller Ressourcenverbrauch, der ein „Genug für alle“ ermöglicht, Anm.) als auch auf Resilienz (Widerstandsfähigkeit, Anm.) ausgerichtet ist. Resilienz bedeutet für mich die Fähigkeit, auf Schocks aller Art zu reagieren, ohne die Lebensfähigkeit zu verlieren.

 

Warum muss immer wieder Ausgleich gesucht werden und wer findet ihn?

Ein vom Kapital dominiertes Wirtschaften vernachlässigt  systembedingt immer – sowohl ökologische als auch soziale Aspekte. Dies wird zurecht von der kommenden, aber auch schon von der gegenwärtigen Generation als ungerecht wahrgenommen. Sogar von Warren Buffet, der sich als drittreichste Mensch der Welt laut Forbes-Liste für eine höhere Besteuerung von „Superreichen“ einsetzt.

Da die Technologie seit einem halben Jahrhundert das Niveau erreicht hat, Kollateralschäden über alle nationalen und kontinentalen Grenzen hinweg zu erzeugen, erleben wir immer mehr die Nachteile dieses „Fortschritts“. Wir müssen uns sogar darauf einstellen, nun auch bewusst regionale Subsistenzversorgung vorzubereiten und dieser intelligente Global-Governance-Strukturen zugrundelegen.

 

Ist eine Rückkehr zu einer regionalen Subsistenzversorgung denn realistisch?

Als Jahrgang 1939 kenne ich noch die Zeit, in der es selbstverständlich war, im kleinsten Garten Gemüse anzubauen für den Eigenbedarf, sogar im Schrebergarten und erst recht am Land. Nun aber müssen wir aus „Langfrist-Einsicht“ eine zeitgemäße Grundversorgung auf unserem Technikniveau etablieren, nicht nur wie früher aus unmittelbarer Notwendigkeit!

 

Wohlstand erzeugen, ja vermehren, ist spätestens seit Adam Smith offizielle Wirschaftsdoktrin aller „westlichen“ Staaten. Ich behaupte, wir werden diese Doktrin durch die Maxime der Regenerativität – der Lebensfähigkeit allen Lebens – ersetzen müssen, auch wenn es einen wesentlich bescheideneren Lebensstil erfordert. Wir werden dies tun, vor oder nach einer Katastrophe des Zusammenbruchs des expansionistisch-extraktivistischen Wirtschaftssystems.

 

Dies ist schon fast allgemeines Wissen oder wenigstens allgemeines Ahnen in den OECD-Staaten.  Nicht aber in den Schwellenländern, deren Mittelschicht nun auf Teufel komm raus unbedingt auch europäisches Konsumniveau erreichen will.

Bild: "Enjoy Capitalism", Pimkie, flickr

Bild: „Enjoy Capitalism“, Pimkie, flickr

Der Wettlauf ist schon im Gange zwischen den Anstrengungen, Einsicht zu erzeugen, und den kapital-dominierten Tendenzen, Verschwendung systemisch zu pflegen. Der dazugehörige Kulturkampf (und zu hoffen, Ja auch zu erwarten ist, dass dieser nicht blutig wird) geht nun darum, WIE die dauerhafte Überlebensfähigkeit der Menschheit erreichbar ist.

 

Die Technik-Gläubigen hoffen, die Technologie wird so große Fortschritte machen, dass ein sinnvolles Ressourcenmanagement und ein Hinreichend-gut-leben-Können für alle weltweit machbar werden – mit mehr oder weniger Systemänderungen. Manche wiederum hoffen hierzu auf eine Art Edel-Sozialismus statt der kapitalistischen Grundstruktur.

 

Im einem zweiten Interview beantwortet uns Herbert Rauch kommende Woche, welchen Ansatz das ESD vorschlägt, und spricht über ein gestörtes Verhältnis zu Regeln und den Ärger mit Pattsituationen.

 

Bild: ESD

Bild: ESD

Herbert Rauch ist Leiter des Instituts für Sozialanalyse (Wien),

Ernst Schriefl ist Geschäftsführer bei energie-autark consulting;
Bund und Länder haben Ihre Nachhaltigkeitskoordinatoren versammelt und von 27.Mai bis 7. Juni österreichweit zur Teilnahme an den Aktionstage Nachhaltigkeit aufgerufen. In Salzburg wurden unter anderem die Thesen von Rauch und Schriefl in der Robert Jungk Bibliothek für Zukunftsfragen diskutiert. Das Buch „Glo-c-al Balance – Der Umbau der Titanic“ sind über das ESD unter esd.rauch@gmx.at erhältlich.

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