Apocalypse Again? Dem Mekong Delta droht Gefahr

Bild: Barbara Köppel

Bild: Chris Cummins

40 Jahre nach Ende des Vietnamkriegs kämpft das Land um den Erhalt seiner Artenvielfalt und Ernährungssicherheit. Klimawandel, Wasserkraft und exzessiver Reisanbau bedrohen das Mekong-Delta.

Aus dem Dunkel hinter dem Kajütenfenster strecken sich mir Hände mit zwei verschieden großen Wassermelonen entgegen. Ich lehne mich vorsichtig über die Reling, wäge ab, bezahle die schwerere Frucht und das Boot driftet langsam wieder ab. Einen Moment später nähert sich ein kleineres Boot, das so schwer mit Ananas und Mangos beladen ist, dass das braune Wasser fast über den Bug schwappt. Sein Besitzer hängt sich mit einem Haken bei uns ein und schon geht das Feilschen weiter. Business as usual am schwimmenden Markt von Can Tho im Mekong-Delta, wo etwa 17 Millionen Menschen von den Ressourcen, die ihnen der Fluss bietet, leben.

Der Mekong ist der zwölftlängste Fluss der Erde. Er bietet Lebensraum für mehr wilden Fisch als jedes andere Süsswassersystem und hat Vietnam zum zweitgrößten Reisexporteur der Welt gemacht. Seine Quelle liegt etwa 4500 Kilometer nördlich im Hochland von Tibet, von wo er durch China, Burma (Myanmar), Thailand, Laos und Kambodscha fließt, bevor er sich im Süden von Vietnam aufspaltet und als „neunarmiger Drache“ ins Südchinesische Meer mündet.

Bild: Barbara Köppel

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An den Ufern der kleineren Kanäle, die sich wie Adern durch das Mekong-Delta ziehen, wird hauptsächlich Landwirtschaft betrieben. Auf einer Radtour fahre ich nicht nur an zahlreichen Gärtnereien vorbei, in denen Blumen für das Tet-Fest in Ho Chi Minh City (vormals Saigon) gezüchtet werden, sondern auch an Papayaplantagen, Äckern mit Kürbissen, Pfeilwurzeln oder Chinakohl und vor allem an Reisfeldern. Was hier angebaut wird, ernährt etwa 40 Millionen Menschen – fast die Hälfte der Bevölkerung Vietnams.

Mit einer Hand am Lenker und der anderen zur Seite gestreckt deutet mein Guide Phuong auf einen Haufen, der nach rötlichen Sägespänen aussieht. Es sind geschnetzelte Kokosnussschalen, die als Dünger verwendet werden. „Wir werfen hier nichts weg“, sagt sie stolz. „wir verwenden alles wieder.“ Leider stimmt das nur teilweise. Denn wenn im Mangrovenwald plötzlich der Benzinmotor des kleinen Tourbootes ausfällt und sich eine vorher unbemerkte Stille breit macht, ist es, weil sich ein Plastiksack im Antriebsruder verfangen hat.

Bild: Chris Cummins

„Die Chinesen setzen auf Wasserkraft, weil sie immer noch als grüne Energie gilt“

Die durch die alltägliche Verschmutzung sinkende Wasserqualität ist aber nicht die größte Bedrohung für das Delta. Nicht einmal die Spätfolgen des Ökozids durch 13 Millionen Tonnen Bomben und 72 Millionen Liter des hochgiftigen Entlaubungsmittels Agent Orange, das die Amerikaner während des Vietnamkriegs aus ihren Flugzeugen und Helikoptern regnen ließen, gelten noch als Hauptproblem. Heute kann hier nur mehr Schadensbegrenzung durch Wiederbewaldungsprojekte geleistet werden. Fast die Hälfte der Mangrovensümpfe im Mekong-Delta und tausende Hektar fruchtbare Waldböden wurden damals zerstört oder zu ödem Brachland gemacht.

Wirklich besorgniserregend ist, was sich kilometerweit vom Delta entfernt flussaufwärts abspielt. An einigen Abschnitten des Mekong in China sind riesige Wasserkraftwerke in Betrieb. Weitere Projekte sind in Laos und Kambodscha geplant, manche schon in Bau. Südostasienexperte und Autor Bill Hayton sagt: „Die Chinesen setzen auf Wasserkraft, weil sie immer noch als grüne Energie gilt und sie ständig erklärt bekommen, sie sollen keine Kohlekraftwerke mehr bauen.“ Dazu kommt, dass der Energiebedarf in diesem Teil der Welt rasant steigt. Die Auswirkungen auf die Ökologie des Flusses sind schon bemerkbar. Die Flutungen der Kraftwerke verursachen starke Schwankungen der täglichen Wasserspiegel und die großen Staudämme unterbrechen die Wanderung vieler Fischarten sowie den Transport von Sedimenten, die wertvolle Nährstoffe auf die Felder bringen.

Wenn immer weniger Wasser durchgelassen und immer weniger Erdmaterial abgelagert wird, sinkt das Delta. Dadurch trocknen die Felder aus, für die schon jetzt aufwändige Bewässerungsanlagen notwendig sind – und wenn die Fische ihren Fortpflanzungszyklus nicht beenden können, bleiben die Netze leer. Fisch ist nicht nur die Hauptquelle an Proteinen im Mekong-Delta, sondern auch der Stolz in jeder Küche. In allen Unterkünften bekomme ich Elefantenohrfisch, weißen oder pinken Fisch serviert. „Man kann sie grillen, frittieren oder in einer Reiskruste braten – alle sind köstlich“, sagt Phuong, „und jeder nimmt sich mit seinen Stäbchen so viel er will.“ Der Verlust der Artenvielfalt erscheint drastischer, wenn man ihn mit dem Verlust von Genuss und Lebensqualität in Verbindung bringt. Dabei geht es um nichts weniger als um die Ernährungssicherheit eines ganzen Landes. Experten meinen zudem, es sei es schlicht nicht wert, den biologischen Reichtum des Flusses zu opfern, da die jüngsten technologischen Entwicklungen eine viel sanftere Methode böten, erneuerbare Energie zu erzeugen. „Südostasien hat enorm viele Sonnenstunden“, so Ian Baird von der Universität von Wisconsin, „und die Kosten von Solarenergie sind in den letzten Jahren stark gesunken. Sie könnte schon in kurzer Zeit wesentlich ökonomischer als Wasserkraft sein.“

Das Mekong-Delta verliert an Land

Verschlimmert werden diese Entwicklungen vom Klimawandel. Laut Weltklimarat ist Vietnam eines der Länder, die am stärksten von steigenden Meeresspiegeln und extremen Wetterverhältnissen wie Stürmen und hohem Wellengang betroffen sein werden. Ein großes Problem sei vor allem die Erosion der Küste, sagt Marc Goichot, Mekong-Experte beim WWF. „Über 6000 Jahre lang hat das Mekong-Delta ständig an Land gewonnen. Dieser Prozess hat sich jetzt umgekehrt. Vietnam verliert jedes Jahr vier Meter an Küste.“ Dazu kommt die Versalzung. Da das Delta buchstäblich sinkt und schrumpft, kann immer mehr Salzwasser immer weiter flussaufwärts fließen und die feine Balance zwischen Salz- und Süßwassergehalt kippen. „Das hat nicht nur drastische Konsequenzen für die enorme Biodiversität, sondern auch für die Bewässerung der Felder“, so Goichot. „Salz ist schlecht für Reis.“

Mekong Delta_Reissorten am Markt

Die Produktion und der Export von Reis hat allerdings oberste Priorität für das vietnamesische Landwirtschaftsministerium. Die Entwicklung von immer resistenteren Reissorten und der stetige Ausbau des ausgeklügelten Dammsystems bringen heute drei Ernten ein, wo vor einem halben Jahrhundert knapp eine möglich war. Nie wieder soll es zu Hungersnöten wie in den 70er- und 80er-Jahren kommen, die durch die Kollektivierung der Landwirtschaft verursacht wurden. Doch die exzessive Nutzung des Bodens beschleunigt die Versalzung des Deltas. Immer mehr BäuerInnen sind gezwungen, sich eine neue Lebensgrundlage aufzubauen. Statt Reis setzen nun viele auf Shrimps, die in salzigerem Wasser gedeihen. Das ist jedoch meist mit hohen Kosten für Spezialfutter und Medikamente verbunden, weil die Schalentiere anfällig für Krankheiten sind.

Die Bedrohungen des Mekong-Deltas könnten somit auch drastische soziale und wirtschaftliche Folgen haben. Wenn die vietnamesische Reispolitik nicht den Druck von den BäuerInnen nimmt, sind die Böden bald völlig ausgelaugt und was einst saubere Energie versprach, könnte zum Zusammenbruch des gesamten Ökosystems führen. „Etliche BäuerInnen und HändlerInnen wären nicht mehr fähig, sich und ihre Familien zu erhalten“, sagt Bill Hayton. „Sie müssten ihr Land verlassen und in die Städte ziehen. Es wäre das Ende einer ganzen Lebensweise.“

Mekong Delta_Fisch am Markt

Bild: Barbara Köppel

Mekong Delta_Seitenarm

Bild: Barbara Köppel

Mekong-Delta_Ben Tre

Bild: Barbara Köppel

Barbara Köppel

 

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