„Über die Jahre“ – zehn Jahre in drei Stunden

Über die Jahre - Filmplakat; Bild: NGF

Über die Jahre – Filmplakat; Bild: NGF

Im Waldviertel steht eine Fabrik aus dem 19. Jahrhundert, in der bis 2004 noch Stoffe produziert wurden. Die schweren Maschinen sind seit 1850 in Betrieb und benötigen Mitarbeiter, die daneben stehen und die Mechanik überwachen. Man möchte nicht meinen, dass die Bilder Aufnahmen aus dem 21. Jahrhundert sind. Das Filmteam besuchte die Fabrik gerade noch rechtzeitig, um ihre letzten Atemzüge mitzuerleben und in einem Film festzuhalten. Zehn Jahre sollen es schließlich werden, die das Filmteam mit den Mitarbeitern der Stoff-Fabrik verbringen wird.

„Über die Jahre“ feiert am 20.3.2015 Österreich-Premiere in Graz bei der Diagonale. Für die Wien-Premiere am 22.3. im Stadtkino im Künstlerhaus verlosen wir 10×2 Tickets. BIORAMA hat sich den Film schon angesehen und mit dem Regisseur Nikolaus Geyrhalter gesprochen.

Stofffabrik Anderl im Waldviertel; Bild: NGF

Stofffabrik Anderl im Waldviertel; Bild: NGF

Biorama: Du hast einen Film über Arbeitslosigkeit gemacht, was war vorher da – die Fabrik oder die Idee?

Geyrhalter: Das Konzept war zuerst da. Ich wollte einen Film über den Verlust von Arbeit machen und das über ein paar Jahre begleiten. Ich wollte also einen Betrieb im Waldviertel finden, mit dessen Ende der Film beginnen kann. Die Fabrik war dann ein Glücksfund. Wir haben in ein paar anderen Betrieben Probeaufnahmen gemacht, als uns jemand den Tipp der Anderl-Fabrik gegeben hat.

Was ist dieser Film für dich persönlich? Er beinhaltet ja sehr viele Aspekte eines Lebens, schließlich habt ihr über zehn Jahre gedreht.

Dieser Film ist ganz viel. Ich kann ihn bis heute nicht so ganz genau fassen. Es ist für mich ein Film übers Leben. Natürlich auch über Arbeitslosigkeit, aber vor allem ein Film darüber, wie man zehn Jahre älter wird. Der Film hat nichts vorgegeben, außer dass er das wahre Leben abbilden wollte.

Was war dir dabei so wichtig?

Ich wollte eine Situation finden, wo man verschiedene Menschen über Jahre bei einem Prozess begleiten kann. Dann hatte ich eben die Hoffnung, dass wir Protagonisten finden, die auch die ganze Zeit mitspielen und nicht zwischendrin abspringen. Heute erwartet man von einem Dokumentarfilm, dass er am Anfang eine These hat und schon recht klar ist, wie er ausschauen wird. Die Risikobereitschaft bei den Förderern und Sendern wird immer geringer. Einen Film einfach machen zu können, zu sagen „hier starten wir, das wissen wir und den Rest lassen wir einfach passieren“, wird immer schwieriger. Aber das war ein wunderbares Arbeiten! Ich konnte meine zehn Jahre mit den zehn Jahren der Protagonisten teilen.

Der Film kommt völlig ohne kommentierenden Text oder untermalende Musik aus. Warum verzichtest du darauf?

Ich finde einen gut aufgenommenen Originalton einfach schöner als Filmmusik, die den Zuschauer emotional zu leiten versucht. Und ich finde nicht, dass der Dokumentarfilm dazu da ist, Information zu vermitteln. Wenn jemand ins Kino geht, hat derjenige das recht darauf, mehr zu erfahren als nackte Zahlen, er soll sich dabei auch etwas denken dürfen. Ich glaube es geht nicht darum, Antworten zu geben, sondern dass sich der Zuseher selbst gute Fragen stellen kann. Ich mag es sehr, wenn Leute aus dem Film hinausgehen und nachdenklich sind.

Einer der letzten Mitarbeiter bei der Arbeit in der Fabrik; Bild: NGF

Einer der letzten Mitarbeiter bei der Arbeit in der Fabrik; Bild: NGF

Du hast mit Menschen gearbeitet, die vorher noch nie mit einem Filmteam gearbeitet haben. Ihr habt weder gecastet noch ausgewählt, sondern einfach Menschen portraitiert, die in der Fabrik zu diesem Zeitpunkt gearbeitet haben. Wie war die Zusammenarbeit?

Wir trafen die Leute etwa einmal im Jahr. Das war aber sehr unregelmäßig, weil wir drei andere Filme in dieser Zeit gemacht haben. Wir haben uns bei den Wiedersehen immer gefreut, aber es gab auch Leute, die mussten wir von Dreh zu Dreh überzeugen. Ich glaube aber, dass alle Leute gespürt haben, dass unser Interesse an ihnen ehrlich und tief gehend war. Einige Protagonisten waren auch bei der Premiere auf der Berlinale, das hat mich sehr gefreut. Wir haben zehn Jahre lang versprochen, dass das ein guter Film wird, aber keiner konnte es wirklich wissen. Als sie das Endprodukt dann gesehen haben, war das für mich und für die Protagonisten ein ganz toller Moment.

Wie waren die Reaktionen der Protagonisten, als sie sich gesehen haben? Hat ihnen das Bild gefallen, das du von ihnen gezeichnet hast?

Zum großen Teil gefiel er ihnen gut, zum Teil auch wieder nicht so… Sie haben sich ja auch vorher noch nie im Fernsehen gesehen. Ich glaube, was ihnen nicht gefallen hat, sind kleine Eitelkeiten. Ich glaube aber, dass sie im Grunde genommen sehr zufrieden sind mit der Art, wie ich sie darstelle.

Wo verläuft bei so einem Projekt die Grenze zwischen Inszenierung und Realität?

Wenn man so will, ist in diesem Film sehr viel inszeniert, aber es ist nichts erfunden. Wir sind ja keine Tierfilmer – da müssen wir nicht heimlich aus dem Gebüsch filmen. Alleine mit der Wahl der Kameraposition inszeniert man ja schon. Ich habe das auch immer zu den Leuten gesagt: die Kamera bildet den Raum ab und der Raum ist eure Bühne. Alles was du jetzt tun musst, ist dich selbst darstellen.

Habt ihr Szenen auch mehrfach gedreht?

Nein. Unsere Bilder sind ja Beobachtungen. Da dreht man sehr viel mehr, als nachher im Film ist. Aber wiederholt haben wir nichts.

Herr S. (ganz rechts) hat noch immer keine Arbeit; Bild: NGF

Herr S. (ganz rechts) hat keine bezahlte Arbeit mehr gefunden, fad ist ihm aber nicht; Bild: NGF

Was machen die Leute jetzt?

Ich glaube der Film geht einfach so weiter. Der Herr Semper, der im Film selbstgeschriebene Gedichte vorgetragen hat, hat zum Beispiel in Berlin bei der Premiere ein Gedicht über den Film vorgetragen. Er ist auch so ein Beispiel – der hat keine Arbeit mehr, aber fad ist dem nicht. Das ist bestimmt eine Persönlichkeitssache, man kann schon versinken und versumpern, aber diese Person habe ich zumindest bei der Arbeit an diesem Film nicht getroffen.

Die Diagonale widmet dir eine Personale, sie zeigt alle deine Filme. Wie findest du das?

Es ist ein schöner Anlass alle meine Filme zu zeigen. Aber eine Personale hat auch etwas Abschließendes, dabei will ich ja noch mehr Filme machen.

Das heißt so bald wirst du nicht arbeitslos sein?

Ich kann nur die Frau Friedl zitieren: man weiß nie was das Leben bringt. Selbst wenn ich mal arbeitslos wäre, würde mir auch nicht langweilig werden. Vor allem – wann ist man denn als Filmemacher arbeitslos? Einmal dreht man, dann dreht man nicht, dann gibt es die Leerläufe und dann wieder intensive Zeiten. So kann man das in meinem Beruf gar nicht kategorisieren. Filmemachen ist mein Traumberuf. Ich könnte mir keinen anderen vorstellen.

Für die Premiere des Filmes am 22. März 2015 um 11 Uhr im Stadtkino im Künstlerhaus verlosen wir 10 x 2 Tickets unter allen Lesern, die uns bis 19.3.2015 ein freundliches Mail mit dem Betreff ÜBER DIE JAHRE an Lichtspiel@biorama.at senden.

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