Train Of Ideas – Rainer Müller im Interview
Hamburg wurde 2011 zur „European Green Capital“ gekürt – damit setzte sich die deutsche Hafenstadt gegen 34 Mitbewerberstädte durch. Im Jahr 2010 schaffte es die Stadt trotz wachsender Hafen- und Industriewirtschaft 720.000 Tonnen CO2 einzusparen. Solche Zahlen sowie diverse nachhaltige Projekte wie der Bau der Hafen-City, bei der man auf ökologisch nachhaltige Stadtentwicklung setzt, trugen zur Entscheidung zu Gunsten der Hanse-Stadt bei.
Auch das Projekt „Train of Ideas“ hatte daran seinen Anteil: Derzeit befindet sich der Zug der Ideen auf einer Reise durch 18 Metropolen Europas, um innovative Umweltprojekte vorzustellen. Aufgeteilt auf 6 Wagons erwartet die Besucher eine rollende Ausstellung zum Thema Hamburg als Umwelthauptstadt, Umgang mit weltweit schwindenden Ressourcen, Klimawandel oder damit wie jeder Einzelne zu einer verbesserten Lebensqualität beitragen kann. Vom 20. bis zum 22. Juni macht der Train of Ideas auch in Wien Station.
Rainer Müller, freier Journalist und Pressesprecher des Train of Ideas, begleitet diese Europareise und teilt seine Erfahrungen sowie innovative Umweltprojekte der einzelnen Reisedestinationen in Form seines Blogs mit der Welt. Wir haben ihn zu diesem Projekt befragt und wollten mehr über seine Einschätzungen rund um das Thema Nachhaltigkeit in Städten sowie seine Zukunftsprognosen in puncto Umweltschutz erfahren. Außerdem erzählte er uns von innovativen und nachhaltigen Projekten die er auf seiner Reise bereits kennengelernt hat.
Rainer Müller über das Projekt Train of Ideas (Teil 1)
Mit dem Train of Ideas sind Sie gerade auf dem Weg durch die Metropolen Europas. Welche Idee steckt hinter diesem vom Hamburger Ministerium für Umwelt und Stadtentwicklung initiierten Projekt?
Rainer Müller: Hamburg ist ja Europäische Umwelthauptstadt 2011. Diesen Titel hat uns die EU verliehen. Der Zug ist sozusagen die rollende Umwelthauptstadt, das heißt eine Wanderausstellung, mit der wir in 18 europäischen Städten Halt machen. Darin zeigen wir Visionen für die Städte der Zukunft. Zu sehen sind beispielhafte Projekte zum Umweltschutz aus den 18 Städten – darunter Wien, Zürich, Paris und natürlich Hamburg.
Wie schätzen Sie den Effekt dieses Projekts auf die Besucher ein? Denken Sie es ist für diese ein Anstoß zum Umdenken?
Rainer Müller: Das ist zumindest unser Ziel. Wir wollen die Besucher motivieren, selbst aktiv zu werden, sich zu engagieren für den Umwelt- und Klimaschutz. Dazu reichen ja schon kleine Verhaltensänderungen – etwa ab und zu das Auto stehen zu lassen und mit Öffis oder dem Rad zur Arbeit zu fahren oder weniger Rindfleisch zu essen. Viele Besucher sind völlig überrascht, wenn sie an unserem CO2-Rechner erfahren, dass sie zum Beispiel 50 Kilo Kohlendioxid einsparen, wenn sie häufiger einheimisches Mineralwasser statt Orangensaft trinken. Wir versuchen das anschaulich aber auch unterhaltsam und ohne erhobenen Zeigefinger zu vermitteln. Den fast immer positiven Kommentaren unserer Besucher nach zu urteilen, ist uns das offenbar gelungen.
Warum haben Sie sich dazu entschieden, die einzelnen Stationen in Form eines Blogs festzuhalten und zu kommentieren?
Rainer Müller: Zentrale Idee des Train of Ideas ist es, Menschen für Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes und der nachhaltigen Stadtentwicklung zu sensibilisieren. Dazu suchen wir den Dialog mit den Bürgern aber auch mit Fachleuten vor Ort. So transportieren wir Ideen durch Europa – und sammeln gleichzeitig Ideen ein. Einige dieser Ideen, auf die wir stoßen, skizziere ich in dem Blog, um so möglichst zeitnah die oft fantastischen aber andernorts kaum bekannten Projekte weiterzutragen.
Der Train of Ideas stellt ja eine Reihe von Projekten vor, die die Lebensqualität in Städten deutlich verbessern. Gab es da ein Projekt, das auf ihrem Blog vorgestellt wurde, das Sie besonders beeindruckt hat?
Rainer Müller: Sogar ziemlich viele! Der Öffentliche Personennahverkehr in Hamburg etwa ist wirklich gut. Aber wenn ich sehe, dass fast alle Städte, durch die wir fahren – anders als Hamburg – eine perfekt funktionierende Straßenbahn haben, dann wäre das ein gutes Projekt für Hamburg. Beeindruckend fand ich auch die konsequente Fahrradförderung in Kopenhagen und Zürich oder die problemlose Einführung einer City-Maut in Oslo. Alles Maßnahmen, die spürbar den Autoverkehr reduziert haben und so die Lebensqualität steigern.
Im Vergleich zu den anderen Städten, die der Train of Ideas bereits bereist hat- Haben Sie den Eindruck, dass Hamburg in Sachen Umweltschutz tatsächlich gegenüber allen anderen die Nase vorne hat?
Rainer Müller: Na, die EU-Kommission hatte diesen Eindruck jedenfalls, als sie ihren Prüfkatalog mit elf Kriterien an uns und 34 Wettbewerber-Städte angelegt hat. Aus dieser Prüfung sind wir als eindeutiger Sieger hervorgegangen. Aber richtig ist trotzdem: Hamburg ist kein Ökotopia. Hamburg hat den drittgrößten Hafen Europas, die größte Kupferhütte und hunderte weitere Industrieunternehmen. Aber auch darum ging es der EU-Kommission: Es soll gezeigt werden, dass Ökonomie und Ökologie kein Widerspruch sein müssen. Möglicherweise soll mit der Wahl Hamburgs auch der Gedanke gefördert werden: Wenn Hamburg Umwelthauptstadt werden kann, dann können das andere Städte auch, wenn sie sich anstrengen. Hamburg ist nicht nur für Erreichtes ausgezeichnet worden, sondern auch für seine ambitionierten Ziele.
Rainer Müller zum Thema Nachhaltigkeit und Umweltschutz (Teil 2)
Der Train of Ideas ist gerade auf Europa-Tour. Zwischen dem 20. und 22. Juni macht die rollende Ausstellung zu innovativen Umweltprojekten auch in Wien Halt. Rainer Müller, Pressesprecher des Train of Ideas, erzählte uns im zweiten Teil unseres Biorama-Interviews mehr zum Thema Nachhaltigkeit und Umweltschutz in urbanen Lebenszentren.
Wie schaut die Stadt der Zukunft ihrer Meinung nach aus? Wie leben wir z.B. in 20 Jahren?
Rainer Müller: Fast 80 Prozent aller Europäer leben heute schon in Städten. Und in Städten werden rund 80 Prozent aller Ressourcen verbraucht und 80 Prozent aller Treibhausgase verursacht. Städte sind also Hauptverursacher des Klimawandels. Gleichzeitig sind sie aber auch Motoren des Fortschritts. Hier werden Innovationen geboren. Ich glaube, dass wir in 20 Jahren anders mobil sein werden. Carsharing und andere Modelle machen es möglich, ein Auto zu benutzen, ohne eines zu besitzen. Alles wird flexibler. Die Menschen werden ganz selbstverständlich zwischen öffentlichen Leihautos, Leihrädern und Öffis hin- und herwechseln. Fast alle unsere Wohnungen und Büros werden energieoptimiert sein und wir werden uns bewusster, auch regionaler, ernähren. Das Zeitalter des unreflektierten Konsums geht zu Ende.
Inwieweit passen Nachhaltigkeit und Natur überhaupt in das großstädtische Leben. Sind diese beiden Pole an sich nicht gänzlich unvereinbar?
Rainer Müller: Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Die Megatrends heißen Urbanisierung und Ressourcen-/Klimaschutz. Gerade das stetige Wachsen der Städte zulasten der „Provinz“ bietet große Chancen. Nur in kompakten, urbanen Städten kann Infrastruktur, können Mobilität, Ver- und Entsorgung effizient und damit sparsam organisiert werden. Langfristig profitiert die Natur und profitiert auch das Klima von der zunehmenden Verstädterung unserer Gesellschaft.
Ändert sich nichts in den Städten, ist der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten. Was kann jetzt getan werden, um die Situation langfristig zu verbessern?
Rainer Müller: Es passiert schon vieles – zum Beispiel im Städtebau aber auch in den Köpfen der Menschen. Der „Traum vom Eigenheim im Grünen“ wird von immer weniger Menschen geträumt. Der Trend geht klar zurück in die Innenstädte. Das bringt viel weniger Verkehr und damit weniger Emissionen mit sich. Eine kompakte Stadt kann natürlich auch viel effizienter mit Energie und Wasser versorgt werden. Wir müssen und werden wegkommen von großen Kraftwerken, die auf fossilen Energieträgern beruhen. Schon heute entstehen immer mehr dezentrale, kleine Anlagen zur Energie- und Wärmeversorgung auf Basis erneuerbarer Energieträger. Etwa Kraft-Wärme-Kopplung in Blockheizkraftwerken für einzelne Stadtquartiere. Wir müssen an intelligenten Stromnetzen arbeiten, die die vielen kleinen Kraftwerke zu großen, virtuellen Einheiten zusammenschließen. Pilotprojekte dazu gibt es bereits und die zeigen wir in unserer Ausstellung.
Was ist die effektivste Maßnahme, um CO2 Emissionen zu verringern? Welche Stadt ist in Sachen Emissionsverringerung Vorreiter?
Rainer Müller: Fragen Sie mich das doch noch einmal am Ende unserer Reise. Die Klimaschutzziele vieler Städte, die wir bisher bereist haben, sind jedenfalls sehr vielversprechend. Kopenhagen etwa will als erste Großstadt bis 2025 völlig CO2-neutral sein. München will schon 2015 alle privaten Haushalte mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgen und später sogar alle Wirtschaftsunternehmen. Wir in Hamburg müssen uns aber auch nicht verstecken: Zwischen 1990 und heute haben wir unseren CO2-Ausstoß um rund 17% verringert, bis 2020 sollen es sogar 40% sein – und das bei stets wachsender Bevölkerung und Wirtschaftsleistung.
Die Müllberge, die in einer Stadt anfallen, stellen ein großes Problem dar. In Hamburg gibt es ja eine Biogasanlage, wo durch Müllverbrennung Energie gewonnen wird. Wie geht man in anderen Städten mit der Müllentsorgung um?
Rainer Müller: Es gibt ganz unterschiedliche Ansätze. Das geht bei Müllvermeidung los und geht weiter über konsequente Mülltrennung bis hin zur angesprochenen thermischen Verwertung – also Verbrennung. Wien hat seine Verwaltung mit „ÖkoKauf Wien“ darauf verpflichtet, nur Produkte und Dienstleistungen zu nutzen, die bestimmten ökologischen Kriterien genügen und helfen, Abfall zu vermeiden. In Warschau versucht man die Bürger mit der Kampagne „Recyclingtag“ zur Mülltrennung zu motivieren. In München arbeitet man ähnlich wie in Hamburg mit einer Trockenfermentationsanlage. Das ist eine Biogasanlage, die Küchen- und Gartenabfälle zur Stromgewinnung in einem Blockheizkraftwerk nutzt.
All diese Projekte stellen lediglich einen Anfang in der nachhaltigen Stadtgestaltung dar. Was muss gemacht werden, dass dies nicht mehr nur einzelne Projekte sind sondern Nachhaltigkeit zum Status Quo erhoben wird?
Rainer Müller: Das ist eine langfristige Aufgabe und geht nur über intensiven Erfahrungsaustausch zwischen Verwaltungen, Wissenschaft und Wirtschaft – und über den Blick über den eigenen Tellerrand und Ressortgrenzen hinweg. Aber die Richtung stimmt. Dass die EU-Kommission nach dem Vorbild der Europäischen Kulturhauptstadt nun auch den Titel einer Europäischen Umwelthauptstadt verleiht, trägt zum Erfahrungs- und Ideenaustausch bei. Unser Zug ist das beste Beispiel dafür.
Wie lange denken Sie, wird es dauern bis die gesetzten Umweltziele Hamburgs bzw. Europas tatsächlich erreicht werden können?
Rainer Müller: Hamburg aber auch viele andere Städte, durch die wir reisen, haben ja sehr präzise Vorstellungen formuliert, bis wann sie ihre Ziele erreichen wollen. Von Kopenhagen, München und Hamburg habe ich schon gesprochen. Zürich hat ähnliche Ziele. Hier hat die renommierte ETH Zürich das Konzept einer 2.000 Watt-Gesellschaft entwickelt. Die Bürger haben darüber abgestimmt und sich dazu verpflichtet, bis 2050 ihren Energieverbrauch von aktuell 5.000 auf dann nur noch 2.000 Watt zu reduzieren.
Hamburg wurde der Titel der Umwelthauptstadt Europas verliehen Wo sehen Sie aber nach wie vor die größten Probleme in Sachen Nachhaltigkeit und Umweltschutz in Hamburg?
Rainer Müller: Wir haben ganz klar noch Luft nach oben im Bereich Verkehr. In seinem Klimaschutzkonzept hat Hamburg deshalb beschrieben, dass Radwege ebenso ausgebaut werden sollen, wie das S- und U-Bahnnetz, um so den Anteil des nicht motorisierten Verkehrs zu erhöhen.
Wie können diese Probleme in Zukunft ausgeräumt werden?
Rainer Müller: Einige der konkreten Vorhaben sind bereits umgesetzt – zum Beispiel die Stromversorgung der S-Bahn durch erneuerbare Energieträger seit 2010. Die S-Bahnlinie S1 wurde verlängert und fährt seit 2008 auch zum Flughafen und derzeit ist eine neue U-Bahnlinie zur Hafencity im Bau. Auch im Bereich Elektromobilität kann und wird derzeit einiges getan. Hamburg ist eine von acht Modellregionen des Bundes zur Förderung der E-Mobility. Die Förderung endet 2011. Danach wird sich zeigen, inwieweit Hamburg den Weg weiter geht. Auch hier erweist sich der Train of Ideas als wertvolles Instrument: Wir haben in Oslo gesehen, dass viele praktische Probleme bei der Einführung von Elektroautos mit einer Mischung aus Anreizen und Sanktionen zu bewältigen sind.
Was kann jeder einzelne von uns zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen?
Rainer Müller: Es kommt natürlich darauf an, wie man Lebensqualität versteht. Für den einen sind es möglichst viele Fernreisen und der Besitz vieler Statussymbole. Für den anderen bemisst sich Lebensqualität in dem was heute Neudeutsch „Quality Time“ genannt wird – also Zeit mit der Familie, mit Freunden, im Verein, Zeit zum Entspannen, Zeit für Hobbys und ähnliches. Soziologen reden gerne von „Postmaterialismus“, also der Abkehr von Konsum und Statussymbolen. Wenn wir alle bewusster leben, unsere Lebens-, Produktions- und Konsumweisen hinterfragen, ist schon viel erreicht.