Künstlerin Ursula Biemann: „Hoffnung ist fehl am Platz“
Die Schweizer Künstlerin, Autorin und Videoessayistin Ursula Biemann beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit den Folgen des Klimawandels, chronischem Wassermangel und Naturrechten. Sie fordert eine allumfassende Kosmopolitik, die nicht nur den Menschen berücksichtigt.
BIORAMA: Wie lange werden wir noch unseren Lebensstandard halten können? Haben wir eine realistische Zukunftsperspektive in der Art und Weise, wie wir leben?
Ursula Biemann: Das sind spekulative Fragen, um deren Antwort derzeit sehr viele Wissenschafter fieberhaft bemüht sind. Einiges lässt sich an Modellen errechnen, doch die Entwicklung des Klimawandels übersteigt unsere derzeitige Fähigkeit der Berechnung, die Modelle kollabieren. Unrealistisch erscheint mir zu diesem Zeitpunkt, dass wir überhaupt mit der möglichen Weiterführung des kapitalistischen Ökonomiemodells spekulieren. Naomi Klein, die soeben in New York ihr neustes Buch »This Changes Everything« vorgestellt hat, in dem es um die Erderwärmung geht, sieht jedenfalls keine Vereinbarkeit dieser beiden Systeme. New York ist besonders sensibilisiert, denn unmittelbar nach der Finanzkrise, die die Fehlbarkeit der Wall Street demonstrierte, setzte der Hurricane Sandy die Stadt vielerorts unter Wasser.
In einer ihrer ganz aktuellen Arbeiten thematisieren Sie das Problem der Ölförderung in Kanada. Dort gibt es die Protestbewegung »Idle no more«. Gibt es eine Chance, dass etwa indigene Gruppen mit ihren Anliegen, ihre Territorien vor kapitalistischen Großprojekten zu schützen, durchkommen?
In den Amerikas steht die Öl- und Mineralförderung in direktem Konflikt mit der autochtonen Bevölkerung, auf deren Territorien diese Großprojekte stattfinden sollen. Die Indigenen im Amazonas, den USA und Kanada setzen alle Mittel ein, diese zu verhindern. Auf juristischem Weg, indem sie vor das Interamerikanische Gericht für Menschenrechte gehen und vor Ort mit Protesten und Medienkampagnen. »Idle no more« geht im Besonderen gegen die projektierte Northern Gateway Ölpipeline vor, die schweres Öl aus den Alphaltsanden von Alberta durch indigenes Land an die Westküste leiten soll. Die aktivistische Organisation hat bereits große Teile der Bevölkerung hinter sich gestellt. Ich bezweifle, dass die Pipeline so gebaut werden kann. Ölfirmen scheuen heftigen Widerstand dieser Art, die große Verzögerungen verursachen und teuer zu stehen kommen, wenn das Projekt bei der Bevölkerung verhasst ist. Einer der First Nations hat man dieses Jahr das Recht auf Berufung zugesprochen. Die Ölkonzerne überlegen sich bereits, die Pipeline über die viel längere Route an die Ostküste zu leiten.
Eines Ihrer jüngsten Projekte, »Deep Weather«, setzt die beiden Flüssigkeiten Wasser und Öl in einen Zusammenhang.
Der kurze Videoessay zum Klimawandel – der Titel bezieht sich auf die Tiefenzeit, d.h. den geologischen, fossilen Aspekt des Klimawandels – gibt aus Flugsicht einen eindrücklichen Einblick in das Ausmaß der Verwüstung von Nadelwäldern in Kanada, in der auf einem Gebiet der Größe Englands nach dem ölhaltigen Sand gegraben wird. Diese düsteren Bilder verbinde ich im zweiten Teil des Videos mit einer Szene im Delta von Bangladesch, in der die einheimische Bevölkerung von Hand einen riesigen Lehmwall zum Schutz ihres Dorfes gegen steigende Wasserspiegel baut. Sie wehren sich schon jetzt gegen die Folgen des zukünftigen Ausstoßes, den diese fossilen Energien verursachen werden. Die beiden entlegenen Erdteile werden im Flüsterton durch die Chemie in der Atmosphäre kausal verbunden, unsichtbar, aber mit steigender Gewalt.
Wie kann man die gefährdeten Terrains am besten schützen? Nützt es langfristig etwas, das Rechtssystem zu ändern?
»Forest Law«, meine neue Arbeit in Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Architekten Paulo Tavares, entstand im Urwald von Ecuador, eines der artenreichsten Gebiete der Welt. Dort gibt es einen großen Reichtum an Kupfer, Gold, Uran und anderen Mineralien. In vielen Teilen Amazoniens stehen der Wald und dessen Bevölkerung deshalb unter dem Druck von Öl- und Mineralförderkonzernen aus aller Welt. »Forest Law« konzentriert sich auf drei juristische Fälle. Ecuador hat vor einigen Jahren die Natur als juristisches Subjekt in die Verfassung geschrieben. So hat diese beispielsweise das Recht, sich ungehindert zu reproduzieren. Die Sarayakus haben den Staat Ecuador verklagt, weil er Ölfirmen erlaubt hat, auf ihrem Territorium seismische Exploration durchzuführen und ein Grid von Sprengsätzen durch eine geschützte Zone zu legen. Letztes Jahr haben sie den Fall gewonnen. Sie argumentierten mit ihrer Kosmologie des »lebendigen Waldes«, in dem alle Wesen mit der Natur verbunden sind. Das sind international wichtige Momente im Errichten und Durchsetzen von Naturrechten, die als Modell für universalistische Gesetze gesehen werden können. Wie es seinerzeit wichtig war, für Menschenrechte zu kämpfen, ist es zum jetzigen Zeitpunkt dringend nötig, der Natur Rechte einzuräumen.
Welche Rollen spielen Kunstschaffende in diesem Geflecht?
Faktisch verstehen wir diese Zusammenhänge vielleicht. Doch die Kunst kann auf der Ebene des Imaginären und der intuitiven Wahrnehmung einwirken mit einer Kraft, die faktische Informationen nie erreichen werden. Spekulieren spielt dabei eine interessante Rolle. Durch die Frage »Was wäre wenn?« entsteht ein spekulativer Moment, in dem es möglich ist, die Aufmerksamkeit der Zuschauer von einer bestimmten Sichtweise auf eine andere zu verschieben, eine neue Perspektive zumindest zu erwägen. Wir buhlen ja alle um etwas Aufmerksamkeit in dieser Informationsgesellschaft. Die epischen Videobilder der Zerstörung und des Ringen ums Überleben wirken auf emotionaler Ebene nach und bewirken ein völlig anderes Resultat als das Vorlegen von Forschungsdaten.
Ist es überhaupt möglich, dass Regierungen in kapitalistischen Ländern die Klimakatastrophe aufhalten bzw. bremsen können?
Pauschal kann ich die Frage kaum beantworten. Ich bin an kleineren Dimensionen interessiert, die mich weniger machtlos machen. Für die Rechte der Natur einzustehen scheint mir jedenfalls sinnvoll. Gegenwärtig ist es ja vornehmlich so, dass die Natur lediglich in der Form von Besitz- oder Landrechten verhandelt wird, als Ressource für den Menschen, aber vor Gericht keine Rechte hat. Große Teile unseres Erdsystems sind vor dem Gesetz unsichtbar und das ist zu einer realen Gefahr für die Erde geworden.
Die Folgen des Klimawandels sind ohnehin nicht mehr aufzuhalten …
Mir scheint, dass wir lange Zeit die Tatsache verdrängt haben, dass wir so nicht mehr weiterleben können, nicht, weil es ethischer oder vernünftiger wäre, unseren verschwenderischen Lebensstil zu drosseln, sondern weil sich die Umstände so rasant und unaufhaltsam verändern, dass wir einfach dazu gezwungen werden. Wir tauchen erst so richtig aus einer langen Verdrängung auf und in diesem Zustand werden sich viele nichts mehr vormachen wollen. Hoffnung ist meiner Ansicht nach fehl am Platz, sie macht diffus und untätig. Was sich hingegen aktiv und auf allen Ebenen verändern muss, ist unsere Beziehung zur materiellen Realität, mit anderen Worten, unsere Kosmopolitik, die alles einschließt, nicht nur den Menschen.
Mit ihrer Arbeit »Egyptian Chemistry« thematisiert Ursula Biemann den chronischen Wassermangel in Ägypten. Das Land, in dem der Nil fließt, ist ein Brennpunkt der Politik und der Folgen von Klimawandel und Naturzerstörung. »Egyptian Chemistry« ist im Rahmen der Ausstellung »Reines Wasser« im Linzer Lentos Museum bis 15. Februar 2015 zu sehen. Zur Ausstellung erscheint auch ein Buch, in dem Ursula Biemann einen Beitrag zum Thema veröffentlicht.