Regional ist das neue Bio: Ein Spruch, der an Dämlichkeit kaum zu überbieten ist
Der Weg regionaler Produkte zum Gast oder Kunden ist steinig und nicht immer klar. Wir gehen der Logik des Regionalen auf die Spur.
Einfach betrachtet, wäre die Sache ja ganz einfach. Was »bio« ist, bestimmt die EU-Verordnung, was »saisonal« ist, der Kalender, und was »regional« oder »lokal« bedeutet, der Boden bzw. die Landschaft – und weil das alles so schön zusammenpasst, reden wir von »saisonal, regional und bio« als der heiligen kulinarischen Dreifaltigkeit der Lohas-Generation. Nur ist es leider nicht so einfach. Die drei sind zwar Geschwister und haben demnach viel gemeinsam, aber wie das bei Geschwistern eben ist, hängt hin und wieder der Hausfrieden auch schief. Welthandel, moderne Logistik und ganz und gar nicht stabile Konsumpräferenzen haben alles ziemlich durcheinandergebracht.
Begrifflichkeiten und Befindlichkeiten
Wenn wir uns den Begriffen zuwenden, bleiben wir sehr schnell bei »regional« hängen. Bio ist hinlänglich reglementiert, den Takt für »saisonal« gibt der gregorianische Kalender vor. Das Gespür für die richtige Saisonalität von Produkten ist bei uns ohnehin gut ausgeprägt. Denken wir nur an etablierte Institutionen wie die herbstlichen Wildbretwochen, die Jungwein-Euphorie, den jährlichen Spargel-Wahnsinn oder den Wachauer Marillen-Hype. Bei den meisten Konsumenten ist die Präferenz für Regionalität ausgeprägter als die für Bio-Produkte. Dieser Wunsch nach Authentizität, persönlichem Bezug zu Produkt und Produzenten, Einfachheit und in letzter Konsequenz auch Heimat wurzelt tief. Er kann als Gegenhaltung zu einer Lebensmittelindustrie verstanden werden, die uns genau um diese Werte betrügt. Handwerkliche Produktion, persönliche Beziehung und Herstellung in naher, intakter Landschaft werden uns höchstens noch in der massenmedialen Werbung vorgegaukelt. Irgendwie ist es schlüssig, dass es die Menschen satt haben und sich in regional und handwerklich hergestellten Lebensmitteln sinnvolle Alternativen suchen.
Aber Moment! Was heißt eigentlich »regional«? Schon bei dieser scheinbar einfachen Begriffsklärung geraten wir ins Wanken. Egal, ob man den Begriff googelt oder ordentlich recherchiert, man wird eine Unzahl von Definitionen finden, jede davon mehr oder weniger brauchbar für unseren Zweck.
Josef Floh, Wirt in Langenlebarn in Niederösterreich, hat sich seine eigene regionale Wirklichkeit geschaffen, indem er mit Landkarte und Zirkel einen Kreis festgelegt hat, innerhalb dessen er die Produkte für sein grandioses »Radius 66-Menü« bezieht. Es funktioniert. Getreide beispielsweise in allen Varianten vom Meierhof, Rohmilchkäse von Robert Paget, das Gemüse von Peter Lassnig – alles innerhalb der selbst gewählten 66 km. Der Floh trifft damit genau den Zeitgeist und vor allem erfüllt er damit ein Kriterium, das ein regionales Produkt aufrichtig zu einem solchen macht. Es wird nicht nur in einer Region hergestellt (schließlich wird jedes Produkt in irgendeiner Region hergestellt), es wird auch in derselben Region verarbeitet und konsumiert. Genau das ist der Unterschied, der einen Unterschied macht. Niemand wird bezweifeln, dass steirisches Kürbiskernöl ein regionales Produkt ist. (Nein, ich will jetzt nicht darauf hinaus, dass auch chinesische Kerne zu Kernöl verarbeitet werden). Aber ist es immer noch »regional«, wenn es in Bregenz im Supermarktregal steht oder wenn im Hotel am Arlberg damit gekocht wird?
Die Logik des Regionalen
Erst kürzlich brachte die Tiroler Marke Bio vom Berg ein neues Joghurt auf den Markt. Ein Fruchtjoghurt in drei Geschmacksrichtungen. Hergestellt in Italien. #Aufschrei? Mitnichten. Bei genauerer Betrachtung wird klar, dass das Joghurt zwar in Vipiteno, sprich Sterzing, hergestellt wird, dabei aber Milch von Biobauern aus Nord- und Südtirol verarbeitet wird. Bio vom Berg argumentiert sogar gerade mit Regionalität und stellt damit Landesgrenzen als Gegenargument für regionale Produkte in Frage: »Damit auch zur Besonderheit dieses regionalen Bio-Produktes: Die frische Bio-Milch wird in Sterzing verarbeitet und kommt von Bio-Bauern aus Nordtirol und Südtirol. Diese Kooperation macht Sinn. Für die Bio-Betriebe dies- und jenseits des Brenners sind sehr gute Milchpreise möglich. Die Qualität des Joghurt ist herausragend, eine besondere Regionalität ist gesichert.«
Womit wir bei einem Kernproblem bei der ganzen Thematik angekommen sind: Der Logistik des Regionalen. Um das zu skizzieren, ein kurzes Beispiel. In Tirol, im oberen Unterland, bzw. im unteren Oberland, also zwischen Zillertal und dem Mieminger Plateau, gibt es eine Reihe von Bio-Hotels. Eine der Kernkompetenzen der Bio-Hotels ist die hundertprozentige Verwendung zertifiziert biologischer Lebensmittel in der Küche. Es gibt Ausnahmen im Bereich Wild, Schwammerl und einigen Exoten. Darum geht es hier aber nicht. Es geht vielmehr darum, dass die Betriebe klarerweise auch Partnerschaften mit Bio-Produzenten, die in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft liegen, eingehen. Jetzt das Beispiel: Die Hersteller sind ein Ziegenbauer und eine Ziegenbäuerin, die im Alpbachtal leben und arbeiten. Die Käserei produziert sensationellen Bio-Ziegen-Rohmilchkäse und ist prädestiniert, das nächstgelegene Bio-Hotel am Pillberg zu beliefern. 30 Kilometer Luftlinie. Gut, das Konzept »Luftlinie« ist in Tirol nicht wirklich brauchbar, trotzdem ist es das Nachbartal, und für die Hotelgäste bedeutet das gefühlte Regionalität.
Die Frage ist, wie kommt der Käse ins Hotel? Genau hier wird es haarig. Es gibt ein paar Möglichkeiten, und keine davon ist überzeugend.
Erstens: Der Ziegenbauer liefert direkt ins Hotel. Das ist für den Hotelier bequem, der Bauer muss erst aus seinem Tal raus, ein kurzes Stück Autobahn und dann den Pillberg hinauf, bis ans Ende der Straße. Weil in den Tiroler Bergen auch immer einmal viel Schnee liegt und die Straßen eng und steil sind, ist er mit seinem Geländewagen unterwegs. Nicht mit so einem urbanen Bobo-SUV, bei dem die Besitzer Herzflattern bekommen, wenn sie durch gemähtes Gras fahren und die Alufelgen dreckig werden. Mit einem richtigen. Was das für den ökologischen Fußabdruck der Produkte bedeutet, braucht nicht weiter erörtert zu werden.
Die zweite Möglichkeit ist, dass die Produkte über das System der Gastro-Logistik zugestellt werden. Für den Hotelier bedeutet das, dass er den Alpbachtaler Bio-Ziegen-Rohmilchkäse (Artikel-Nummer N3-1290556a) bequem über einen Webshop bestellen kann. Der Käse ist dann zwei oder drei Tage später bei der wöchentlichen Lieferung dabei, mit der auch Brokkoli, Rindfleisch und Mineralwasser geliefert werden. Der Haken dabei: Der Käse wird natürlich nicht unmittelbar ins Hotel geliefert, sondern muss erst in ein Zentrallager und von dort dann ins Hotel gebracht werden. Diese Zentrallager sind in der Regel nicht in Tirol, ja nicht einmal im Westen des Landes. Sie sind im Großraum Linz, in Zwettl oder irgendwo in der Nähe von Salzburg. Für den Gast bedeutet das: Sein regionaler (und der Hotelier wird natürlich weiterhin erzählen, dass es ein Käse vom Nachbartal ist) Käse hat ein paar hundert Kilometer am Buckel, bevor er aufs Brot oder die Käseplatte kommt. Vom Aspekt des ökologischen Fußabdrucks betrachtet, ist er damit immer noch günstiger und nachhaltiger als der, den der Bauer im Kofferraum seines Defenders selbst den Berg hinaufkarrt. Das ist logisch und rational.
Darum geht es aber nicht. »Der Geschmack der Heimat« hat nichts (oder wenig) mit Vernunft zu tun. Es ist ein hochemotionales Bedürfnis. Eine Frage des Herzens. Wenn der Kopf verstanden hat, dass sich die Grenzen zwischen zwei Ländern und regionale Produktion nicht widersprechen und dass es manchmal notwendig und für die Umwelt besser ist, lokale Produkte über einen weiten Umweg zum Gast zu schicken, wird auch das Herz sich freuen.
Was bedeutet Regionalität?
Was heißt regional? Unser Umgang mit Regionalität ist eine Geschichte voller Missverständnisse, gut gemeinter Fehleinschätzungen und gezielter Falschinformation. Wer sich beim Einkauf nicht ausschließlich vom Preis leiten lässt, achtet auf die Herkunft der gekauften Ware. Aber woran erkennt man die – und wie stark wirkt sich die Produktionsmethode, die Region und der Transport etwa auf die Klimabilanz eines Produkts aus?