Steirisches Braurezept: CO2-neutral
Bier gibt’s in bio, in Mehrweg und schon fast standardmäßig aus der Region. So manches Seiterl ist jetzt auch CO2-neutral. Besonders in der Steiermark braut man heute klimabewusst.
Kühl, würzig, prickelnd. Was will man mehr von einem Bier? Innovative Brauereien in der Steiermark wollen viel mehr. Vor allem der Klimaschutz ist Teil des visionären Braurezepts.
Roman Schmidt hat sich der Entwicklung der Region Vulkanland verschrieben. Er wünscht sich, dass Bürger ihren Lebensraum mehr wertschätzen – nicht nur dessen regionalen Lebensmittel, sondern die Umwelt als Ganzes. Der Humusanteil der Böden in der Region ist gering, das kommt vom intensiven Maisanbau mit Kunstdüngern und ohne Fruchtfolgen. Seine Lava Brau- und Whisky-Manufaktur setzt dem ein Gegengewicht: Bio-Anbau der Rohstoffe schont den Boden, möglichst regionaler Bezug und Vertrieb minimieren den Transport. Die Produktion läuft mit Vulkanlandstrom, Ökostrom aus Photovoltaik und Wasserkraft, der im Umkreis von 20 km erzeugt wird. Auch wenn man die CO2-Bilanz nicht genau nachrechnet, wird nachhaltig gebraut. Denn Schmidt will selbst die Veränderung sein, die er sich für folgende Generationen wünscht.
Auch das Toni Bräu setzt auf Klimaneutralität. Der Brauprozess der kleinen Brauerei wurde durch die Forschungseinrichtung AEE, Institut für Nachhaltige Technologien, bereits als klimaneutral bestätigt. Braumeisterin Erika Hofer hat allerdings zukünftig den ganzen Wertschöpfungsprozess im Blick. Sie setzt auf Braugersten von CO2-neutralen Humusböden der Ökoregion Kaindorf und produziert Überschussstrom aus Photovoltaik. Das wesentliche Ziel, erklärt ihr Mann als ausgebildeter Europäischer Energiemanager, ist CO2-Neutralität ohne Zukauf von Zertifikaten.
CO2-Zertifikaten der Ökoregion
Das mit den Zertifikaten ist ja so eine Sache. Nicht zuletzt, weil sich CO2-Zertifikate des EU Emission Trade System keinen guten Ruf eingehandelt haben. Diese verbriefen nur das Recht, Schadstoffe auszustoßen. Die Emission wird mit der Zahlung aber nicht durch Gegenmaßnahmen kompensiert. Anders ist das bei regionalen Umweltprojekten, die messbar dazu beitragen, CO2 in der Atmosphäre zu verringern. Die Ökoregion Kaindorf hat ein solches gestartet. Sie verkauft Kompensationszertifikate und bezahlt Landwirten im Projekt für nachweislich in Ackerflächen gebundenes CO2 ein Erfolgshonorar. Das funktioniert durch Bewirtschaftung mit Fruchtfolgen, Dauerbegrünung, minimaler Bodenbearbeitung und Verzicht auf Mineraldünger, was Humus im Boden aufbaut. So kann mehr Kohlenstoff (C) aus dem CO2 der Luft von Pflanzen als Baustoff verwendet und im Boden gespeichert werden.
Gänzlich »CO2-neutral« kann man ohne Kompensation kaum produzieren. Dafür bräuchte man null Emissionen im gesamten Produktlebenszyklus – vom Rohstoffanbau über Transport und Brauprozess bis zum Recycling der Flaschen. Wenn man es ernst meint mit der Ganzheitlichkeit, müssen alle Emissionen der Wertschöpfungskette berücksichtigt werden.
Alois Gratzer aus Obertiefenbach nimmt es so ernst. Sein Betrieb braut jährlich rund 1.000 Hektoliter CO2-neutrales Bier. Gratzer hat sich dafür an die Forschungsinstitution Joanneum Research gewandt, um alle Emissionen der Wertschöpfungskette analysieren zu lassen. Man konnte einiges optimieren, so werden zum Beispiel ausschließlich Mehrweggebinde aus Glas, Holz und Metall verwendet. Was an Emissionen nicht eingespart werden kann, gleicht Gratzer durch Ankauf von CO2-Zertifikaten der Ökoregion Kaindorf aus.
Große, grüne Brauereien
Maßnahmen für Klimaschutz in einer ganz anderen Größenordnung setzen zwei der bekanntesten steirischen Brauereien um. Murauer, Bierproduzent mit einem Ausstoß von rund 300.000 Hektoliter, setzt auf Nachhaltigkeit auf mehreren Ebenen. Dabei geht es auch um Klimaschutz und Energieeffizienz. Die Produktion der Getränke in der Brauerei selbst ist CO2-neutral. Die Prozesse funktionieren ohne fossile Brennstoffe, dafür gibt es eine hauseigene Kläranlage und Wasserkraft aus der Region. Auch Gösser befindet sich im Wandlungsprozess zur »grünen Brauerei«. In Göss geht es um die CO2-Neutralität des Brauprozesses, zu der nur mehr die Umstellung auf Treberfermentierung zur Biogas-Gewinnung fehlt. Dieses soll den letzten Rest Erdgas ersetzen, der noch verwendet wird. Bei der Wärmerückgewinnung ist man schon sehr weit und mit der 1500 m2 großen Solaranlage kann ein Teil des benötigten Stroms selbst erzeugt werden.
Geschützter Standard gefordert
»CO2-Neutralität« ist nicht nur Klimaschutz. Es ist auch ein Marketing, das funktioniert. Noch. Denn ohne Reglement fragt sich, wie lange das noch geht. Eine einheitliche Definition gibt es nicht. Gerfried Jungmeier von Joanneum Research bestätigt, dass die Bezeichnung »CO2-neutral« nicht geschützt ist. »Meist ist damit gemeint, dass Brauereien keine fossilen Energien verbrennen«, erklärt er. Rohstoffanbau, Transport und Gebinde nicht miteinzubeziehen, vernachlässigt allerdings ungefähr die Hälfte der Emissionen. Ein geschützter Standard des Begriffs »CO2-neutral« bleibt vorerst Wunschdenken – und ein Appell an den Gesetzgeber oder die Brauereibranche.
Übrigens: Die Brauerei Murauer und die Brauerei Gratzer sind auch am Craft Bier Fest Wien dabei. Am 21. und 22. November 2014 wird in der Wiener Anker Expedithalle/Brotfabrik handwerklich hergestelltes Bier wieder ins Zentrum gerückt. Alle Infos: www.craftbierfest.at