Karma-Konsum-Konferenz: „Einfach leben, erhaben denken“
Wie geht einfach? Christoph Harrach hat erneut zur Karma-Konsum-Konferenz geladen. Unter dem Titel „Simplicity. Die Notwendigkeit von Einfachheit und Entschleunigung im Business“ wurde dort viel über „Weniger“ diskutiert.
BIORAMA: Christoph, hast du schon mal gezählt, wie viele Dinge du besitzt oder kannst du das ungefähr schätzen?
Christoph Harrach: Nein, gezählt noch nicht. Aber ich bin mit meiner vierköpfigen Familie umgezogen und da haben wir zum ersten Mal unser gesamtes Hab und Gut in einen 7,5-Tonner reingepackt und das hat gerade so gepasst. Ich habe auch andere Familien gefragt und die meinten, dass sie drei 7,5-Tonner gebraucht haben. Es war trotzdem viel für uns, obwohl wir denken, dass wir sehr bescheiden leben.
Laut Statistik besitzt der Durchschnitts-Europäer zirka 10.000 Gegenstände. Ab wann belastet Besitz?
Jedes Stück, das man besitzt, braucht ja seine Zeit und seine Aufmerksamkeit. Sei es in der Anschaffung, bei der Installation, beim Reparieren oder bei der Entsorgung am Schluss. Jedes Produkt ist ein Zeitfresser – je mehr neue Produkte man hat, desto mehr Zeit: Man muss sie kennenlernen, installieren und vor Verkauf die Angebote vergleichen. Mit steigendem Konsum wird auch mehr Zeit gefressen. Ich denke, das ist ein sehr individuelles Gefühl, ab wann es belastet. Aber ich denke, dass jeder für sich diese Zeitbelastung abschätzen muss.
Der Konsumklima-Index des deutschen Marktforschers Gfk ist im September so stark gefallen wie seit drei Jahren nicht. Kommt den Menschen die Lust am Konsum schön langsam abhanden?
Ob man das alleine am Konsumklima-Index festmachen kann? Das müsste man an einer längeren Zeitreihe beobachten, aber mein Gefühl ist auf jeden Fall, dass Menschen in der westlichen Welt merken, dass reine Konzentration auf das Materielle nicht glücklich macht. Da sind sich Glücksforscher einig, und Studien zeigen auch, dass zu einem gewissen Grad von Wohlstand das Glück mitwächst. Da wir gerade in Deutschland einen sehr hohen Lebensstandard und damit allgemeinen Wohlstand haben, wächst das Glück nicht mit weiteren Produkten. Deswegen könnte es sein, dass sich Leute belastet fühlen von den Produkten, die dann wieder Zeitfresser sind, aber auch ökonomisch eine Belastung darstellen können und dass sich Menschen daher in einem Bewusstseinswandel befinden, dass weniger Konsum besser ist und die Konzentration auf Soziales wie Freunde, Familie oder Ökologisches wie die Natur. Viele Dinge, die individuellen Wert stiften, sind kostenlos. Vielleicht findet da jetzt ein Umdenken statt.
„Geld allein macht nicht glücklich, aber es beruhigt“ lautet eine sogenannte Lebensweisheit. Kannst du dem Spruch etwas abgewinnen?
Auf jeden Fall! Wenn man eine Grundversorgung, eine Grundsicherheit hat, wie ein Dach über dem Kopf, ein Einkommen, dass man am gesellschaftlichen Leben – wie auch immer das aussieht – teilhaben kann, dann gibt das auf jeden Fall ein gutes Gefühl. Man sollte aber auch etwas vorsichtig mit der Aussage »Weniger ist mehr« sein, weil es letztendlich Menschen gibt, die am Existenzminimum leben und damit von vielen gesellschaftlichen Bereichen ausgeschlossen sind.
Dieter Rams, Pionier des Produktdesigns, hat mit seinem Leitsatz „Weniger, aber besser“ ein gestalterisches Ideal etabliert. Lassen sich seine zehn Thesen für gutes Design auch in anderen Lebensbereichen anwenden?
Qualitativ hochwertige Produkte zu kaufen macht nicht nur ökologisch Sinn, sondern auch langfristig ökonomisch. Sie sind am Anfang zwar teurer, aber durch die lange Lebenszeit halten sie länger. Das heißt, dass man sich keine Neuanschaffungen leisten muss. Man sollte vor jeder Konsumentscheidung prüfen: Brauche ich das wirklich oder will ich das nur haben? Weniger, aber besser zu konsumieren ist eine Laien-Maxime für suffiziente Wirtschaft bzw. für ein suffizientes Leben. Es geht ja darum, die beste Qualität zu bekommen. Wenn ein Produkt Massenware aus Fernost ist, da habe ich a) keine persönliche Beziehung und b) im tiefen Inneren weiß ich, dass da sehr viel Leid drinnen steckt – ja, auch der Mainstream hat schon einmal gehört, dass normale Schokolade oder Textilien mit Kinderarbeit gefertigt werden, das schwingt ja auch in Massenartikel mit.
Die diesjährige Karma-Konsum-Konferenz steht unter dem Motto „Simplicity“. Wie definierst du Einfachheit?
Einfachheit ist für mich die Reduktion auf das Wesentliche, was ich tatsächlich brauche. Durch Reduzierung befreie ich mich vom Überfluss. Der Überfluss hat ja auch seinen Preis, nicht nur in Euro, sondern auch in Raum und Zeit, die er verbraucht usw. Einfachheit ist eine Reduzierung, die für mich aber auch eine Lebensform darstellt. Es gibt ein Zitat eines Yoga-Meisters, in dessen Tradition ich stehe, der sagt: „Einfach leben, erhaben denken.“ Das Einfache in der Materie gibt Zeit für soziales Engagement, Philosophie und Kunst und Kultur. Wenn man sich in Materiellem reduziert, dann hat man für diese Dinge mehr Freiraum. Niko Paech, der Postwachstumsökologie, sagt auch, dass man Arbeitszeit reduzieren soll, damit man weniger Geld für Konsum hat und damit wieder mehr Zeit für soziales Engagement, Suffizienz, Subsistenzwirtschaft bleibt. Viele Menschen denken beim Begriff Einfachheit an Verzicht, aber für mich ist das eher Befreiung vom Überfluss.
Konkret wird unter anderem der Faktor Entschleunigung in der Arbeitswelt thematisiert. Wo krankt unser derzeitiges System deiner Meinung nach?
Das System krankt an verschiedenen Stellen. Einerseits ist es das Wachstumsparadigma, ein wesentliches Krankheitssymptom, so nenne ich das jetzt mal. Wenn wir in die Medizin sehen: Ein unbegrenztes Zellwachstum nennen wir Krebs. Wenn man das auf die Wirtschaft überträgt – also ein unendliches Wirtschaftswachstum, das nicht naturgemäß ist, denn die Natur bewegt sich in Zyklen und kann gar nicht weiter wachsen –, dann führt diese denaturierte Perspektive, dass immer alles wachsen kann, zu Krankheiten. Und Krankheiten drücken sich bei Menschen in der heutigen Wirtschaft als psychologische Leiden aus, wie Burn-Out, innere Kündigung, hoher Stress.
Auf der anderen Seite ist natürlich auch der Wettbewerbsgedanke in der Wirtschaft meiner Meinung nach nicht gesund. Der Mensch ist aus meiner Perspektive ein kooperatives, gutes, soziales Wesen, das mit Menschen kooperieren möchte und nicht im Wettbewerb stehen soll. Doch die Wirtschaft geht von Konkurrenz der Menschen aus, der andere immer ausstechen will. Das verursacht ebenfalls Stress. Denn das trennt die Menschen und verbindet sie nicht. Man spricht von „Wettbewerbsabgrenzung“ oder „Kundensegmentierung“: Hier grenzen sich Menschen bewusst ab. Das sind trennende Begriffe, die nicht menschengerecht sind und uns krank machen. Wir haben uns zwar schon daran gewöhnt, aber kooperatives Miteinander ist, was der Natur des Menschen inneliegt.