Heckentag 2014: Von Kriecherln und Faulbäumen
Am Niederösterreichischen Heckentag am 8. November können wieder heimische Bäume und Sträucher, sowie Fruchtsträucher und alte, regionale Obstsorten abgeholt werden. BIORAMA hat sich mit Judith Pölz, Schriftführerin beim Verein Regionale Gehölzvermehrung, über heimisches Gehölz und den Heckentag unterhalten.
Der Verein für Regionale Gehölzvermehrung setzt sich für die Artenvielfalt in der Gehölzwelt ein und organisiert deshalb jährlich einen Heckentag, an dem man heimische Bäume und Sträucher, sowie Fruchtsträucher und alte, regionale Obstsorten erwerben kann. So sollen vielerorts ausgeräumte Landschaften wiederbelebt und die ursprünglichen Sorten erhalten werden. Schon einmal etwas vom Schneeballstrauch oder dem Weißdorn gehört?
BIORAMA: Beim Heckentag gibt es Gehölzarten, die man im herkömmlichen Handel nicht findet. Woher kommt denn die Liebe zum Gehölz?
Judith Pölz: Vor über 20 Jahren haben sich Botaniker und Beamte der Niederösterreichischen Landesregierung zusammengesetzt und darüber diskutiert, wie man die Gehölzqualität im heimischen Landschaftsbau verbessern kann. Bis zu diesem Zeitpunkt war es kaum möglich, regionale, heimische Pflanzen zu erwerben. Die Diskussionsrunden fanden rasch Anhänger unter Studenten, Botanikern, Bauern ud Baumschulen. Das war die Geburtsstunde der Regionalen Gehölzvermehrung. Wir sammeln Früchte von Wildsträuchern, diese werden gereinigt und das Saatgut wird gewonnen. Das Saatgut kommt zu niederösterreichischen Partnerbaumschulen. Dort werden die Sträucher herangezogen. Somit kommen die Sträucher und Bäume, die es beim Heckentag gibt, garantiert alle aus Niederösterreich.
Es werden heimische Sträucher, Bäume und Obstbäume seltener, regionaler Sorten angeboten. Gibt es einen alljährlichen Favoriten?
Jedes Jahr bieten wir fertige Pakete für Gartenbesitzer an. Darunter ist unser Top-Favorit das „10-Jahreszeiten-Heckenpaket“. Für jeden Abschnitt im Naturkalender gibt es eine charakteristische Pflanze, die mit ihrer Blüte, ihrer Fruchtreife oder mit ihrer Laubverfärbung eine neue Phase einläutet. So beginnt z.B. mit der Blüte des Schwarzen Hollers der Frühsommer usw. Mehr darüber findet man unter www.naturkalender.at.
Zu den Bestsellern unter den Obstbäumen zählen regionale Sorten wie die Znaimer Ananasmarille oder die Magersdorfer Apfelquitte.
Am Heckentag, dem 8. November, stehen acht Ausgabestandorte zur Verfügung. Wo sind diese und wie haben sie sich entwickelt?
Die acht Ausgabestandorte sind in Amstetten (Landwirtschaftliche Fachschule Gießhübl), Wartmannstetten, an der Landwirtschaftlichen Fachschule Pyhra, Tulln, Mödling, Etzmannsdorf, Merkengersch und in Poysdorf. Am Abholtag selbst gibt es auch einen kleinen Pflanzverkauf von RGV-Sträuchern und -Bäumen. Einige Abholorte bieten auch ein Begleitprogramm. Es ist aber meist so, dass die Gartenbesitzer rasch ihre vorbestellten Sträucher setzen wollen und somit nicht allzulange vor Ort bleiben. Es gibt aber zwischenzeitlich auch schon Gemeinden, die für ihre Gemeindebürger einen „kleinen Heckentag“ abhalten, wie z. B. die Retzer-Land-Gemeinden. Die Pakete können vor Ort abgeholt werden.
Das Kriecherl ist niederösterreichisches Wildgehölz 2014. Was „kann“ das Kriecherl?
Die Frucht des Kriecherls kann als Frischobst, Marmelade oder veredelt zu Obstbrand oder -likör genossen werden. Die Formenvielfalt der Kriecherl steht heuer im Zentrum unserer Bemühungen. Als niederösterreichisches „Wildgehölz des Jahres“ hat es das Kriecherl, im Botaniker-Hochdeutsch als Kriechenpflaume bekannt, gerade noch auf die Teilnehmerliste geschafft. Wenn man es ganz genau nimmt, handelt es sich beim Kriecherl nämlich um eine uralte Halbkulturpflanze, bei deren Entstehung und Erhaltung der Mensch kräftig beteiligt war. Diese Art war einmal eine Allerwelts-Pflanze, die in fast jedem niederösterreichischen, bäuerlichen Garten zu finden war und mit einer Vielfalt an Formen, Farben und Geschmacksrichtungen aufwarten konnte. Heute muss sich das echte Kriecherl nicht nur gegen das Vergessenwerden zur Wehr setzen, sondern auch gegen einen täuschend ähnlich aussehenden Doppelgänger mit dem Namen Kirschpflaume. Am Heckentag kann man das wahre Kriecherl erwerben und damit zum Fortbestand dieses mitteleuropäischen Kulturerbes beitragen.
Bei so vielen Sorten kann ich mir vorstellen, dass ein paar schwieriger zu pflegen sind und ein paar leichter. Gibt so etwas wie „Schwierigkeitsgrade“?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn ich heimische Sträucher z.B statt einer Thujenhecke setze und somit den Anspruch habe, eine blickdichte Hecke zu erhalten, muss ich natürlich auch mehr pflegen und schneiden. Rosen können in der Sonne und im Halbschatten wachsen, aber für eine volle Blütepracht brauchen sie viel Sonne. Man muss sich vorher erkundigen, welche Standortansprüche der Strauch bevorzugt. Infos darüber gibt es in unserem Webshop, auf einer eigens eingerichteten Heckendatenbank (Heckipedia) oder auch am Heckentelefon. Dieses Telefon gibt es nur während der Bestellzeit vor dem Heckentag.
Hat es einen Grund, dass der Heckentag im November stattfindet?
Bei der Herbstpflanzung ist im oberirdischen Pflanzenabschnitt zwar schon die Winterruhe eingekehrt, solange der Boden aber nicht gefroren ist, wachsen die Wurzeln weiter. Die Pflanzen sind in diesem Zustand gut transportfähig und sehr robust. Wenn die frostfreie Zeit lange genug andauert, können sich noch viele Faserwurzeln bilden. Das sind die winzigen Würzelchen, die für die Aufnahme von Wasser und Nährstoffen verantwortlich sind. Sind sie zu Beginn der nächsten Vegetationsperiode schon vorhanden, kann das neu gepflanzte Gehölz gleich voll durchstarten, ohne die im Gewebe gespeicherten Wasserreserven verbrauchen zu müssen.
Gibt es neben dem Gehölzkauf noch andere Aktivitäten am 8. November?
Vor Ort sind RGV-Mitarbeiterinnen. Es besteht die Möglichkeit, sich über unseren Verein und über unsere Arbeit zu informieren. Auch eine Partnerbaumschule ist vor Ort, die Anleitungen über die richtige Pflanzung bereit hält und es werden Sträucher, die noch in Restbeständen vorhanden sind „frei“ verkauft. Erstmals wird in Tulln auch „Natur im Garten“ dabei sein. Weitere Aktivitäten sind leider nicht geplant, werden aber auch nicht angenommen. Der Heckentag selbst hat sich in den letzten Jahren zu einem Abholmarkt entwickelt – was verständlich ist, da unsere Kunden oft riesige Mengen bestellen und diese natürlich auch rasch einpflanzen wollen.
Der Heckentag wird vom Verein Regionale Gehölzvermehrung (RGV) veranstaltet. Wofür setzt sich der Verein sonst noch ein?
Seit über 20 Jahren wird im Rahmen des Projektes „Regionale Gehölzvermehrung“ mit großem Erfolg daran gearbeitet, die Formenvielfalt und Mannigfaltigkeit der heimischen Gehölzflora zur erhalten und zu fördern. Die Regionale Gehölzvermehrung (kurz: RGV) existiert seit dem Jahre 1993. Wir produzieren Gehölze, die zu ihrem zukünftigen Pflanzplatz passen. Gehölze aus der „richtigen“ Region also. Ein Gehölz aus seiner ursprünglichen Herkunftsregion kann die Vorteile einer Jahrtausende alten Anpassungen in der Heimatregion am Besten ausspielen.
Jedes Jahr stellen wir ein Wildgehölz in den Mittelpunkt, somit können wir auch unser Wissen, das wir in den letzten Jahren über heimische Gehölze erworben haben, an unsere Kunden weitergeben. Viele kennen heimische Arten nicht mehr und haben verlernt, heimisches Wildobst zu nutzen. Unser Verein, die „Regionale Gehölzvermehrung“ hat dazu beigetragen, dass viele regional angepasste Sträucher wieder in unseren Gärten zu finden sind und dass sich deren Besitzer wieder mit Begriffen wie Dirndl, Asperl oder Hetscherl auseinandersetzen.
Das Gehölz hat vermutlich ähnliche Probleme mit der EU wie die Saatgutvielfalt?
Wir als Verein Regionale Gehölzvermehrung (RGV) vermehren seit über 15 Jahren mit großem Erfolg viele hunderte Varietäten heimischer Wildgehölzarten. Diese sind seit Jahrtausenden an die ursprünglichen Herkunftsregionen in Niederösterreich angepasst und haben einen eindeutigen, genetischen Vorteil gegenüber importierter Ware. Außerdem gibt es bei vielen heimischen Schmetterlingen und anderen Insektenarten in Bezug auf Nahrung und Vermehrung spezifische Anpassungen an diese Wildgehölze. Eine Einengung des Saatgutspektrums, wie im Erstentwurf der Saatgutverordnung vorgeschlagen, hätte also insgesamt deutlich negative Folgen für die heimische Artenvielfalt.
Hecken können Tieren erstaunlich viel helfen, da sie oft Nischen für den Nachwuchs, Rückzugsmöglichkeiten und Aussichtsposten zur Verfügung stellen. Können Hecken als Grenzstreifen die Artenvielfalt von Insekten, Vögeln und Kleinsäugern nachhaltig ankurbeln?
Je höher die Artenvielfalt an unterschiedlichen Gewächsen in der Hecke, desto mehr Tierarten bietet sie Nahrung. Hecken stellen Früchte zur Verfügung und sind somit Energielieferant für viele Tiere. Amseln lieben Weißdorn, Seidenschwänze mögen den gewöhnlichen Schneeball. Vögel werden von Früchten angelockt, die in starkem Kontrast zur Umgebung stehen. Vögel brauchen zur Aufzucht Insekten. Diese finden sie hauptsächlich auf heimischen Gehölzen. Die meisten Gehölze werden in unseren Breiten von Insekten bestäubt. Neben Bienen sind das Fliegen, Käfer , Schmetterlinge…. Diese Beschreibungen über Sträucher aus dem Buch über Hecken von Gregor Dietrich beantworten eigentlich schon die Frage zum Thema „nachhaltige Ankurbelung der Artenvielfalt“.
Welche Gehölzarten kannst du empfehlen?
Jeder heimische Strauch ist empfehlenswert. Denn jeder Strauch dient einer anderen Art als Futterplatz, als Schutz, usw. Nehmen wir z. B. den Faulbaum. Nicht sein befürchteter eigenartiger Geruch zeichnet diese Pflanze aus, sondern seine wichtige Eigenschaft als Nährpflanze für die Raupe des Zitronenfalters. Die enge Nahrungsbasis der Zitronenfalterraupe könnte dieser Schmetterlingsart zum Verhängnis werden, denn nur Faulbaum und Kreuzdorn werden als Futterpflanze angenommen und beide Gehölzarten sind selten geworden und fehlen praktisch in allen Gärten.
Die Bestellung läuft noch bis 15. Oktober. Die gesamte Auswahl der Sträucher ist hier als Download verfügbar: Heckenblatt 2014
Noch mehr zum Thema Hecken: www.biorama.eu/ausweg-hecke