Betretungsverbot für den freilaufenden Wisent?
Im deutschen Rothaargebirge läuft seit einigen Jahren ein Wiederansiedlungs-Projekt für Wisente. Derzeit sind neun Vertreter des mächtigen Paarhufers in den Wäldern rund um Bad Berleburg unterwegs. Aber: Ein Urteil des Amtsgerichts Schmallenberg schränkt nun die Bewegungsfreiheit der Tiere stark ein und reduziert sie auf das Projektgebiet. Der Trägerverein des Artenschutzvorhabens geht in Berufung. Ist das Projekt, den Wisent in Deutschland wieder heimisch zu machen, zum Scheitern verurteilt? BIORAMA fragte nach.
BIORAMA: Haben Tiere wie der Wisent in den heute intensiv genutzten Wäldern überhaupt noch Platz?
Michael Emmrich: Generell ist in Deutschland die Landschaft stark zersiedelt und es gibt nur noch wenig Plätze, wo die großen Pflanzenfresser wie zum Beispiel das Rotwild oder der Wisent noch geeigneten Lebensraum finden. Bei uns im Rothaargebirge haben die Tiere mehr als ausreichend Platz. Es handelt sich um ein großes, fast unzerschnittenes mehrere 1000 Hektar großes Waldgebiet. Die angrenzenden Regionen sind zudem sehr dünn besiedelt.
Urwald, Luchs, Bär, Wolf und Wisent: Müssen oder sollen wir der Wildnis generell mehr Raum in unserer Umwelt zugestehen? Warum? Und: Wie wild darf die Wildnis sein – in punkto Vermehrung der Tiere, etc.?
Artenschutzprojekte wie das unsere werden immer im selben Atemzug wie „Wildnisentwicklung“ und „Urwald“ genannt. Wir wollen hier etwas anderes zeigen: Dass nämlich auch im bewirtschafteten Wald Platz für die großen Tiere ist. Der Initiator lebt schließlich von den Einkünften aus seinem Wald. Beim Artenschutzprojekt „Wiederansiedlung der Wisente im Rothaargebirge2 ist eine Obergrenze von rund 25 Tieren angestrebt. Das wird von Wissenschaftlern vor dem Hintergrund des zur Verfügung stehenden Lebensraums als sehr verträglich angesehen.
Waren Probleme, wie die, die das Gerichtsurteil jetzt aufzeigt, nicht vorprogrammiert?
Nein. Ziel des Projektes ist nach wie vor, für die Wisente den Status der Herrenlosigkeit zu erreichen. An diesem Ziel hat sich nichts geändert. Aus Sicht des Wisent-Trägervereins hat sich mit der gerichtlichen Auseinandersetzung nur der Zeithorizont verändert. Das heißt: Dieses Ziel muss jetzt früher als angestrebt erreicht werden. Unberührt davon, sieht sich der Verein in der Verantwortung, privaten Waldbauern, die Schälschäden an Bäumen nachweisen, eine Entschädigung zu ermöglichen. Daher befindet sich derzeit ein Schadensfonds in Vorbereitung.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Projektpartnern, also zwischen den Forschern, den Tourismus-Verantwortlichen und den Vertretern aus den Kommunen?
Das Wisent-Projekt ist – mit Ausnahme einzelner klagender Hochsauerländer Waldbauern – ein bedeutender Imagefaktor in der Region geworden. Die von ihnen genannten Partner schätzen daher das Projekt, auch in seinen ökonomischen Folgewirkungen für die Region. Der Trägerverein erfährt aus der Region und auch national wie international große Unterstützung und Zuspruch. Eine Koordinierungsgruppe, in der alle relevanten gesellschaftlichen, sowie öffentliche Stellen vertreten sind, steuert das Projekt.
Sehen Sie das Ziel des Projektes jetzt in Gefahr?
Das Urteil des Schmallenberger Amtsgerichts ist eine erste Etappe in der gerichtlichen Auseinandersetzung. Sollte sich diese Rechtsauffassung auch in der höchsten Instanz durchsetzen, ist das Projekt in der Tat in seinem Kern gefährdet. Denn das Ziel sind ja freilebende Tiere. Inwieweit Betretungsverbote für die Tiere auf einzelnen Grundstücken zu realisieren sind, um das Projekt im Kern zu erhalten, ist derzeit nicht zu beantworten.
Wie funktionieren derartige Wiederansiedlungsprojekte in anderen Ländern? Gibt es eine Zusammenarbeit?
Das Wisent-Projekt in Bad Berleburg hat sich inzwischen zu einer Art Referenzprojekt für zahlreiche andere ähnliche Vorhaben in Westeuropa entwickelt. Es ist ein dichtes Netzwerk zwischen den Initiatoren und den Forschern entstanden. Andere Länder schauen sehr interessiert auf die Erfahrungen, die derzeit im Rothaargebirge gemacht werden. Gerade ist in Bad Berleburg die zweite Internationale Wisent-Tagung mit Wisent-Forschern aus ganz Europa zu Ende gegangen. Dort sind genau solche Themen erörtert und der Erfahrungsaustausch gepflegt worden.
Bei der Wiederansiedlung von Tieren wie dem Wolf oder dem Bären gehen regelmäßig die emotionalen Wogen hoch. Befürworter und Gegner stehen sich beharrlich und vom jeweils eigenen Standpunkt überzeugt gegenüber. Denken Sie, dass in diesen Fällen ein nachhaltiger Konsens gefunden werden kann? Was braucht es dazu?
In Bad Berleburg und in der Region war die transparente Öffentlichkeitsarbeit von Beginn an ein integraler Bestandteil des Projektes. Aufklärung und Information und der Dialog wurden über mehrere Jahre konsequent betrieben. Das hat dazu geführt, dass sich das anfängliche Klima aus Furcht, auch Ablehnung und Desinteresse, komplett gewandelt hat. Inzwischen hat die Region das Wisent-Projekt angenommen, es wird von vielen Partnern unterstützt und als Chance für einen positiven Imagetransfer, sowie für Wertschöpfung anerkannt. Rund um das Wisent-Projekt sind daher zahlreiche touristische Angebote entstanden. Einige wenige Kritiker – einzelne Privatwaldbesitz aus dem Hochsauerland – sind aber geblieben.
BIORAMA hat schon einmal über die Wisente von Bad Berleburg berichtet. Hier geht es zum Bericht.
Auch in den rumänischen Karpaten gibt es ein Auswilderungs-Projekt. Den BIORAMA-Artikel gibt es hier zum Nachlesen.