Die Hühner sind los
Yamuna Valenta hat einen Hühnerstall für den Balkon designed und gebaut. Mit ihrem Urban-Chicken-Projekt holt sie damit das Huhn in die Stadt Wien.
Im Interview mit BIORAMA erzählt sie, was sie beim Bau des Stalls berücksichtigt hat, wie sie mit den Hühnern klarkommt und wie sie mit ihrem Projekt gegen Massentierhaltung vorgehen will.
BIORAMA: Wie kamst du auf die Idee, einen Hühnerstall für die Stadt zu entwerfen?
Yamuna Valenta: Eigentlich bin ich da schon vor etwa drei Jahren drauf gekommen. Ich war schon immer ein bisschen Bauernhof-begeistert und meine Schwester hält Hühner im Burgenland. Zudem habe ich mich immer gefragt, was der Unterschied zwischen einem Wellensittich im Käfig und einem Huhn auf dem Balkon ist. Warum kann man nicht auch Nutztiere als Haustiere halten?
Als es dann auf die Suche nach einem Projekt für meine Diplomarbeit in Industriedesign ging, wollte ich keine Tische oder Stühle wie meine Studienkollegen designen, weil mich das einfach nicht so interessiert. Da habe ich wieder an diesen Hühnerstall gedacht und fand das eine tolle Herausforderung, der ich mich stellen wollte. Es gibt ja so viele ungenutzte Flächen im öffentlichen Raum, wie beispielsweise Hinterhöfe, Terrassen und Balkone. Und meinen Balkon habe ich vorher eigentlich kaum genutzt.
Wie hat man an der Uni auf deine Idee reagiert? Was haben deine Freunde und Familie dazu gesagt?
Der Betreuer meiner Diplomarbeit fand das Projekt von Anfang an sympathisch. Sehr skeptisch war mein Vater. Er hat früher selbst Hühner gehalten und hat im Urban-Chicken-Projekt eher eine Quälerei der Hühner gesehen. Mittlerweile findet er den Stall aber auch gut. Meine Freunde fanden die Idee alle extrem cool. Meine beste Freundin plant jetzt sogar, Wachteln auf ihrer Dachterrasse zu halten.
Kann sich jeder Hühner in der Stadt halten?
Nicht ganz. Man hat schon ein paar Hürden zu nehmen. Und generell rate ich natürlich jedem, der sich Hühner zulegen will, das nicht spontan zu machen, sondern sich vorher gründlich damit zu beschäftigen. Stadthühner müssen beim Veterinäramt angemeldet werden, hauptsächlich wegen möglichen Krankheiten wie der Vogelgrippe. Der Amtstierarzt muss dann auch bestätigen, dass man überhaupt mit den Tieren umgehen und sie betreuen kann. Die Hausverwaltung muss der Hühnerhaltung ebenfalls zustimmen. Ich wohne in einem Gemeindebau und „Wiener Wohnen“ (Anm. d. Red.: die Verwaltung der städtischen Wohnhausanlagen) meinte, wenn meine Nachbarn einverstanden sind und die Hühner nicht durch Schmutz, Geruch oder Lärm negativ auffallen, sehen sie da kein Problem. Laut sind zumindest die Hennen eigentlich nicht, sie gackern nur manchmal, wenn sie zum Beispiel gerade ein Ei gelegt haben. Und wenn man ähnlich wie bei einem Katzenklo den Kot immer beseitigt, stinken sie auch nicht. Meine Nachbarn hatten auch alle nichts gegen die Hühner. Außer eine. Sie meinte, die Hühner wären bei mir arm dran und hat das Veterinäramt verständigt. Dabei hatte ich ja bereits das OK des Amtes. Wenn sich meine Nachbarin noch bei der Hausverwaltung beschwert, kann es sein, dass ich die Hühner wieder weggeben muss.
Was hast du beim Bau des Stalls berücksichtigt?
Ich habe im Voraus viel recherchiert und habe bei Seiten wie huehner-info.de, urban-chicken.com und backyardchickens.com Tipps für die Haltung und den Stallbau gefunden. In den USA halten viele ihre Hühner in der Stadt, daher gibt es auch schon einige Entwürfe für Balkon-Hühnerställe. Mir ist bei denen aber oft aufgefallen, dass die Ställe gefährlich für die Hühner sind: nicht abgerundete Ecken, herausstehende Drähte, Verkleidungen mit Styrodur oder Styropor, das die Hühner abpicken und schlucken können. Oft haben die Ställe auch nicht den EU-Normen entsprochen und hatten zum Beispiel keine 25 cm lange Sitzstange pro Huhn. Die Sitzstangen in meinem Hühnerstall sind aus abgerundetem Holz und speziell an die Größe von Hühnerfüßen angepasst, damit die Sehnen nicht belastet werden. Zudem habe ich darauf geachtet, dass der Stall genügend Belüftung hat, die Hühner aber keinen Zug abkriegen. Da reagieren sie nämlich sehr empfindlich drauf.
Was die Größe des Hühnerstalls angeht, habe ich mich für einen Mittelweg entschieden. In Österreich sind in der Bodenhaltung sieben Hühner pro Quadratmeter erlaubt. Bei der Freilandhaltung werden pro Huhn acht Quadratmeter gerechnet. Der Sprung zwischen einem Hühnerei der Kategorie I zu einem Hühnerei der Kategorie II ist also sehr groß. In meinem Hühnerstall hat jedes Huhn zwei Quadratmeter Platz. Ich habe mir immer die Frage gestellt, was macht denn Hühner glücklich? Was macht ein glückliches Tier aus? Und da spielen natürlich viel mehr Faktoren mit rein, als nur der Platz. Etwa Zuneigung und Futter. Mein Hühnerstall ist sicher nicht perfekt. Und die Hühnerhaltung auf dem Balkon auch nicht. Aber ich möchte zumindest einen alternativen Weg der Tierhaltung zeigen.
Woher hast du deine Hühner?
Meine zwei Hühner sind Legehybriden und ich habe sie aus einer Bodenhaltung gekauft, als sie noch Junghennen waren, sie hatten also noch keine Eier gelegt. Ich hab sie jetzt seit Ende April auf meinem Balkon und sie sind beide schon handzahm. Die weiße Henne heißt Fathima, die gescheckte Lucifa, weil sie auf Fathima immer rumhackt.
Man kann natürlich auch Hühner von einem Bauernhof nehmen, aber dort geht es ihnen ja meistens sehr gut. Es liegt mir eher am Herzen, Hühner aus Batterie- oder Bodenhaltungen aufzunehmen und ihnen ein schönes Leben zu bieten. Weil sie nach einem Jahr nämlich nicht mehr jeden Tag ein Ei legen, verlieren sie an Wert und werden gleich verwurstet. Und enden als Brennstoff in Biogasanlagen.
Hast du für den Stall ein spezielles Material verwendet?
Für das Endmodell habe ich das Faserzement Eternit verwendet. Es wird in Österreich hergestellt und ist zu 100 % recycelbar. Es ist säureresistent und wetterbeständig und kühlt im Sommer während es im Winter dämmt. Die Firma, die das Material herstellt, hat mich während meiner Arbeit sehr unterstützt und möchte meinen Hühnerstall jetzt auch in Serie produzieren lassen. Die Platten werden dann einfach auf die gewünschte Größe gefräst und zusammengesteckt. Dadurch ist der Stall auch leicht zu transportieren und lässt sich zu zweit in einer halben Stunde aufbauen. Das Material ist spitze und hält ewig, hat aber auch einen dementsprechenden Preis. Ein Student wird sich so einen Stall, der zwischen 700 und 900 Euro kosten wird, sicher nicht leisten können.
Zu Beginn des Projekts war noch die Überlegung, ob ich so ein teures Luxusobjekt mache, bei dem die Materialien wirklich tipptopp sind, oder ob ich so ein Open-Source-Ding schaffe, das sich Leute einfach nachbauen können. Jetzt für die Diplomarbeit habe ich mich für das Tipptopp-Modell entschieden. Ich überlege aber schon, Ställe aus beschichtetem Karton oder ähnlichem herzustellen, die dann extrem günstig sind, die man dann aber nach einem halben Jahr wegwerfen muss. Im Prinzip ist es schon mein Ziel, das Projekt Urban Chicken so zu gestalten, dass es jeder nachmachen kann.
Wie sieht ein Tag mit Fathima und Lucifa aus?
Der fängt sehr früh an. Sobald die Sonne aufgeht, kommen sie aus ihrem Stall. Und da ich immer meine Balkontür offen habe, höre ich sie dann rumflattern und weiß, dass sie essen wollen. Ich gebe ihnen also ihr Futter und frisches Wasser. Frisches Wasser ist sehr wichtig für Hühner! Je nachdem, wie schmutzig der Käfig ist, putze ich ihn jeden oder jeden zweiten Tag. Dafür reinige ich die Stangen und wechsle das Zeitungspapier aus. Wenn ich Frühstück gegessen habe, gebe ich ihnen noch das übrig gebliebene Porridge. Dann geh ich los und komme meistens erst Nachmittags oder Abends wieder nach Hause. Sobald ich wieder da bin, lasse ich sie dann frei herumrennen. Wenn ich tagsüber zu Hause bin, sind sie eh immer draußen und picken am Schnittlauch oder so. Abends esse ich meistens mit meinem Freund auf dem Balkon, während Fathima und Lucifa um uns herumwuseln. Abends bekommen sie dann nochmal ein bisschen Futter und frisches Wasser. Und sobald die Sonne untergeht, ziehen sich die Hühner in ihren Stall zurück und schlafen. Balkonhühner sind also nicht mehr Arbeitsaufwand, als jedes andere Heimtier auch.
Was gibst du deinen Hühnern – außer Porridgeresten – zu essen?
Ich selbst bin Vegetarierin und esse hauptsächlich Bio-Lebensmittel. Seit ich Hühner habe, produziere ich viel weniger Müll, weil ich meinen ganzen Bio-Müll einfach den Hühnern zum essen gebe. Sogar die Eierschalen. Zermahlen dienen die ihnen nämlich als Calciumzufuhr. Hühner sind quasi die besseren Bio-Mülltonnen. Ich gebe ihnen aber natürlich nicht nur „Müll“. Von meinhof.at beziehe ich Bio-Legehennenfutter. Da zahle ich für 30 Kilogramm rund 27 Euro. Im Vergleich zu Hunde- oder Katzenfutter ist das wesentlich billiger. Ich bringe ihnen auch manchmal Klee oder Löwenzahn von einem Spaziergang mit. Und ab und zu habe ich auch schon Mehlwürmer gekauft. Ernährungstechnisch sind die Hühner also sehr unkompliziert.
Gibt es auch einen finanziellen Nutzen?
Da die Anschaffungskosten für den Stall sehr hoch sind, glaube ich nicht, dass man mit dem Wert der gelegten Eier irgendwann wieder bei Null ist oder sogar Geld spart. Man muss auch berücksichtigen, dass die Hühner mal krank werden und man dann mit ihnen zum Tierarzt muss. Rein finanziell gesehen rentiert sich die Haltung von Balkonhühnern also nicht. Da geht es mehr so um die Tierliebe und die Hobbyhaltung. Stadtmenschen haben glaube ich immer diese romantische Sehnsucht nach einer Bauernhofidylle. Es ist eben ein Bedürfnis des Menschen, mehr Bezug zur Natur zu haben. Und selbst wenn es nicht profitabel ist, seine eigenen Hühner auf dem Balkon zu halten, so hat man doch zumindest das Gefühl, sich theoretisch autark ernähren zu können.
Was möchtest du mit dem Projekt Urban Chicken erreichen?
Wenn man sich anschaut, wie mit Tieren in der Massenhaltung umgegangen wird, müsste man eigentlich wirklich vegan leben. Aber das ist ein sehr radikaler Schritt, den nur wenige gehen. Lieber zeige ich den Leuten eine Alternative zwischen Massentierhaltung und Veganismus. Ich möchte die Leute damit konfrontieren, wo ihre Lebensmittel herkommen. Mit eigenen Nutztieren wird man sich bewusster, was Lebensmittel wirklich wert sind. Wenn man sein erstes Ei hat, denkt man einfach nur „Wow, das haben die für mich gemacht.“ Es ist ein Geben und Nehmen. Du gibst den Hühnern Futter und sie geben dir dafür ein Ei. Das fühlt sich gut an. Früher fand ich Eier immer ekelhaft, wenn ich an ihre Herstellung gedacht habe. Jetzt schmecken sie mir wieder. Und obwohl ich eigentlich kein Fleisch esse, kann ich es vertreten, meine Hühner zu essen und dieses Essen dann aber als etwas ganz besonderes zu zelebrieren.